Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke
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Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke

Автор: Heinrich Zschokke

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788027214945

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СКАЧАТЬ ist man recht ehrwürdig. Wer die Welt verschmähen kann, hat den Himmel. Ich verstehe das Evangelium von Christo täglich besser, seit ich es in der Schule des Schicksales lese. Die Gelehrten zu Oxford und Cambridge kommentieren nur Buchstaben, den Geist nicht. Die Natur ist die beste Auslegerin des Evangeliums.

      Mit diesen Betrachtungen schließe ich heute das Jahr.

      Es ist mir sehr lieb, daß ich seit einigen Jahren dieses Tagebuch fortsetze. Jeder Mensch sollte ein solches führen; man lernt aus sich selbst mehr, als aus den gelehrtesten Büchern, Wenn man sich durch Niederzeichnung seiner Gedanken und Empfindungen gleichsam täglich selbst abmalt, sieht man am Ende des Jahres, wieviel Gesichter man hat. Der Mensch ist sich in keiner Stunde gleich. Wer da sagt, er kenne sich selbst, hat nur Recht in dem Augenblick, da er es von sich sagt, denn da fühlt er sich. Wenige wissen, was sie gestern waren; noch wenigere, was sie morgen sein werden.

      Auch dazu ist das Tagebuch gut, daß man festeres Vertrauen auf Gott und Vorsehung gewinne. Die ganze Weltgeschichte lehrt das nicht so lebendig, als die Geschichte der Gesinnungen, Urteile und Gefühle von einem einzigen Menschen binnen zwölf Monaten.

      Ich habe auch dies Jahr die Wahrheit des Erfahrungssatzes bestätigt gefunden: ein Unglück kommt selten allein . . . aber wenn die Übel am höchsten gestiegen sind, beginnen wieder die schönen Stunden. Dann bin ich, mit Ausnahme der ersten Erschütterungen, wirklich am vergnügtesten, wenn es am ärgsten geht, denn ich freue mich schon auf das Bessere, was nachkommt, und lache, weil mich nichts anfechten kann. Hingegen bin ich, wenn alles nach Wunsch geht, ängstlich und schüchtern und mag mich nicht der Freude sorglos hingeben, denn ich traue dem Frieden nicht. Das ist das empfindlichste Übel, von dem man sich überraschen läßt. Auch ist es wahr, daß jedes Unglück in der Ferne furchtbarer scheint, als es ist, wenn man es hat. Gewitterwolken sind in der Nähe nie so schwarz, als wenn sie aus der Ferne heranziehen.

      Ich habe mir's zur Gewohnheit gemacht, bei allen bösen Vorfällen blitzschnell zu denken: welches können für mich die nachteiligsten Folgen davon sein? . . . Dann mache ich mich ohne weiteres auf das Äußerste gefaßt, und es kommt selten. Auch das finde ich gut. Ich spiele zuweilen wohl mit Hoffnungen, aber ich lasse die Hoffnungen nicht mit mir spielen. Um die Hoffnungen im Zaume zu halten, denke ich nur, wie selten das Glück mir wohl will. Dann weichen alle Träumereien zurück, als ob sie sich vor mir schämten. Wehe dem, der ein Spiel seiner Hoffnungen ist! Er geht tanzenden Irrwischen in die Sümpfe nach.

       Am Neujahrstage 1765, des Morgens.

      Eine wundervolle und traurige Begebenheit eröffnet dieses Jahr. Folgendes ist der Hergang der Sache.

      In der Frühe um sechs Uhr, da ich im Bette liegend über meine heutige Predigt nachdachte, hörte ich an der Hausthür pochen. Polly war schon in der Küche. Sie sprang hinaus, die Thür zu öffnen und nachzusehen, denn so frühe Besuche sind bei uns ungewöhnlich. Es trat ihr in der Dunkelheit des Morgens ein Mann entgegen, der eine große Schachtel in dem Arm hielt und an Polly mit den Worten übergab: Herr — (den Namen verstand Polly nicht) übersendet dem Herrn Vikar die Schachtel, und er möchte Sorgfalt haben für den Inhalt.

      Polly nahm mit freudiger Bestürzung die Schachtel. Der Träger derselben entfernte sich. Polly klopfte leise an meine Kammerthür, um zu hören, ob ich wache. Sie kam auf meine Antwort und wünschte mir mit dem guten Morgen zugleich auch Glück zum neuen Jahre und setzte lachend hinzu:

      »Siehst Du, Väterchen, daß Polly prophetische Träume haben kann! Hier ist die verkündete Bischofsmütze!«

      Nun erzählte sie, wie man ihr das Neujahrsgeschenk für mich übergeben habe. Es verdroß mich, daß sie nicht bestimmter nach dem Namen des unbekannten Gönners oder Wohlthäters gefragt habe.

      Während sie hinausging, die Lampe anzuzünden und Jenny aus dem Bett zu rufen, kleidete ich mich an. Ich läugne nicht, daß ich vor Neugier brannte, denn bisher waren die Neujahrsgeschenke für den Vikar in Crekelade ebenso unbedeutend als selten gewesen. Ich vermutete, mein Gönner, der Pächter, dessen Wohlwollen ich erworben zu haben schien, wolle mich mit einer Schachtel voll Kuchen überraschen, und bewunderte seine Bescheidenheit, mir das Geschenk zu übersenden, ehe es Tag geworden.

      Als ich ins Wohnzimmer trat, standen Polly und Jenny schon vor dem Tische bei der Schachtel, die sorgfältig versiegelt und von ganz ungewöhnlicher Größe war, wie ich noch nie eine gesehen hatte. Ich hob sie und fand sie ziemlich schwer. Im Deckel waren zwei sauber geschnittene runde Löcher.

      Ich öffnete mit Jennys Hülfe die Schachtel sehr behutsam, weil mir der Inhalt zur sorgfältigen Behandlung empfohlen war. Ein feines weißes Tuch ward abgedeckt und siehe da . . .

      Nein, unser Erstaunen ist nicht zu beschreiben. Wir riefen alle, wie aus einem Munde: »Mein Gott!«

      Da lag ein junges Kind, etwa sechs oder acht Wochen alt, schlummernd, in das feinste Linnen mit rosafarbenen Seidenbändern zierlich eingehüllt. Es ruhte mit dem Köpfchen auf einem weichen blauseidenen Kissen und war mit einem Bettdeckchen wohl zugedeckt. Die Decke, sowie das Häubchen des Kindes, waren mit den kostbarsten Brabanter Spitzen besetzt.

      Wir standen einige Minuten lang stumm betrachtend da. Endlich brach Polly in ein närrisches Gelächter aus und rief:

      »Was sollen wir damit anfangen? Das ist keine Bischofsmütze!«

      Jenny berührte schüchtern mit der Fingerspitze die Wangen des schlafenden Kindes und sagte mitleidig:

      »Du armes Geschöpf, hast Du keine Mutter, oder darfst Du keine haben? . . . Großer Gott, ein so liebenswürdiges, hülfloses Wesen verstoßen! . . . Und sieh nur, Vater, sieh nur, Polly, wie ruhig und vertrauensvoll es schläft, um sein Unglück unbekümmert, als wenn es fühlte, es läge in Gottes Hand! Schlaf nur, du armes, verstoßenes Wesen! Deine Eltern sind vielleicht zu vornehm für Dich, armes Geschöpf und zu glücklich, um ihr Glück durch Dich stören zu lassen. Schlaf nur, wir verstoßen Dich nicht! Man hat Dich ja an den rechten Ort getragen: ich will Deine Mutter sein.«

      Wie Jenny so sprach, fielen ein paar große Thränen aus ihren Augen. Ich nahm das fromme, weichherzige Mädchen an meine Brust und sagte:

      »Sei seine Mutter! Die Stiefkinder des Schicksals kommen zu den Stiefkindern. Gott prüft unsern Glauben . . . nein er prüft ihn nicht, er kennt ihn schon. Darum mußte uns das verstoßene, kleine Geschöpf zugetragen werden. Zwar wissen wir selbst nicht, wie uns in den nächsten Tagen das Leben fristen, aber der weiß es, welcher uns zu Eltern dieser Waise machte.«

      Also entschieden wir uns kurz. Das Kind schlief fort und fort sanft. Unterdessen erschöpfen wir uns in Mutmaßungen über seine Eltern, die wir ohne Zweifel kennen mußten, weil die Schachtel laut Aufschrift mir zugeschrieben war. Polly wußte uns leider vom Träger nicht mehr zu sagen, als sie schon erzählt hatte.

      Während das kleine Wesen süß schlummerte und ich meine heutige Neujahrspredigt von der Macht der ewigen Vorsehung durchlief, berieten sich meine Töchter über die Pflege des armen Ankömmlings. Polly freute sich kindisch; Jenny schien sehr bewegt zu sein. Mir war es, als wenn ich mit dem Anfang des neuen Jahres in eine Zeit der Wunder träte, und – sei es Aberglauben oder nicht – als wenn das Kindchen ein mir zugesandter Schutzgeist in der Not wäre.

      Ich kann nicht aussprechen, wie heiter ich atmete, wie stillselig meine Gefühle waren.

       An demselben Tage abends.

      Sehr erschöpft und müde von meinem heiligen Tagewerk kam ich nach Hause.

      Bei dem äußerst verdorbenen Wege mußte ich doch meine Wanderung СКАЧАТЬ