Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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Noch besteht meine Barschaft in einundvierzig Shilling drei Pence. Wie soll das enden, wenn mir niemand mehr so viel vertraut, daß ich meine Lebensmittel am Ende eines Vierteljahrs bezahlen kann? . . . Und wenn Rektor Snart einen andern Vikar nimmt? . . . Dann bin ich mit meinen armen Kindern auf die Gasse hinausgeworfen.
Nun, Gott ist auch auf der Gasse!
Am 19. Dezember, in der Frühe.
Ich erwachte heute schon sehr früh und überlegte, was in meiner mißlichen Lage zu thun sei. Ich dachte wohl an Master Sitting, meinen reichen Vetter zu Cambridge; allein die armen Leute haben keine Vettern, nur die reichen. Brächte mir der Neujahrstag die Bischofsmütze aus Pollys Traum, wäre mir halb England verwandt.
Folgenden Brief habe ich an den hochwürdigen Herrn Doktor Snart geschrieben und heute auf die Post gegeben:
»Ich schreibe mit bangem Herzen, denn jedermann sagt, daß Eure Hochwürden einen andern Vikar statt meiner anstellen. Ich weiß nicht, ob das Gerücht Grund habe oder nur entstanden ist, weil ich einigen Personen von der Unterredung gesagt habe, die ich mit Ihnen hatte.
Dero mir anvertrautes Land habe ich mit Eifer und Treue verwaltet, Gottes Wort lauter und rein gelehrt, keine Klage über mich vernommen; selbst mein innerer Richter verurteilt mich nicht. Ich bat demütig um eine kleine Zulage zu meinem geringen Gehalte. Eure Hochwürden sprachen von Verminderung meines Lohnes, der kaum hinreicht, für mich und meine Familie die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens zu bestreiten. Möge Ihr menschenfreundliches Herz entscheiden!
Unter Eurer Hochwürden seligem Vorgänger habe ich sechzehn, unter Ihnen anderthalb Jahre gedient. Ich bin ein Fünfziger; mein Haar beginnt grau zu werden. Ohne Bekannte, ohne Gönner, ohne Aussicht auf ein anderes Amt, ohne Kenntnis, mir auf andere Weise mein Brot zu schaffen, hängt mein und meiner Kinder Glück allein von Ihrer Gnade ab. Lassen Sie uns fallen, so bleibt uns keine andere Stütze als der Bettelstab.
Meine Töchter, allmählich erwachsen, verursachen bei aller Einschränkung größere Ausgaben. Die älteste Tochter Jenny vertritt bei der jüngern Mutterstelle und führt das Hauswesen. Wir halten keine Magd; meine Tochter ist die Magd, die Köchin, die Wäscherin, die Schneiderin, die Schusterin sogar; so wie ich der Zimmermann, der Maurer, der Schornsteinfeger, der Holzhauer, der Gärtner, Bauer und Holzträger meines Hauses bin.
Gottes Barmherzigkeit war bisher mit uns. Keines ward krank. Wir hätten keine Arznei bezahlen können.
Crekelade ist ein kleiner Ort. Meine Töchter boten sich vergebens an, für andere Haushaltungen Arbeiten zu machen, zu waschen, zu flicken, zu nähen. Selten empfingen sie eine Arbeit. Hier im Orte hilft sich jede Haushaltung selbst; niemand ist reich.
Es wäre ein herbes Schicksal, wenn ich ferner mit zwanzig Pfund Sterling im Jahre mich und die Meinigen durchbringen sollte; es wäre das Traurigste, wenn ich es mit fünfzehn Pfund versuchen müßte . . . aber ich vertraue auf Ihr Erbarmen und auf Gott, und bitte Eure Hochwürden, mich wenigstens aus der Angst reißen zu wollen.«
Nachdem ich den Brief geschrieben, warf ich mich auf die Kniee, während ihn Polly auf die Post trug, und betete um glücklichen Ausgang. Da ward es mir im Gemüt sonderbar hell und wohl. Ach, ein Wort zu Gott ist immer ein Wort von Gott! Ich kam so leicht aus meinem Kämmerlein, und war doch so schwer hineingegangen.
Jenny saß am Fenster bei der Arbeit; sie saß da mit einer Ruhe, Seligkeit und Anmut, wie ein Engel. Es strahlte von ihrem Antlitze wie Licht. Ein schwacher Sonnenblick durch das kleine Fenster verklärte das ganze Zimmer. Mir war himmlisch wohl. Ich stellte mich an's Pult und schrieb meine Predigt: Von den Freuden der Armut.
Ich predige in der Kirche ebensoviel mir selber als anderen. Und geht keiner gebessert aus der Kirche, bin ich es doch; und schöpft keine Seele Trost aus meinen Worten, schöpfe ich ihn doch. Es geht dem Geistlichen, wie dem Arzt. Er kennt die Kraft seiner Arzneien, aber nicht immer ihre Wirkungen auf die Natur aller Kranken.
An demselben Tage Vormittags.
Am Morgen erhielt ich ein Billet, das mir ein Fremder aus dem Wirtshause schickte, welcher daselbst übernachtet hatte. Der Unbekannte bat mich wegen dringender Angelegenheiten auf einen Augenblick zu sich.
Ich ging zu ihm. Es war ein hübscher junger Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren, von edlen Gesichtszügen und vielem Anstande. Er trug einen alten, abgeschabten Überrock und Stiefel, an denen der gestrige Kot verhärtet war. Sein runder Hut, obwohl ursprünglich kostbarer als der meinige, war doch weit verdorbener und abgetragener. Der junge Mensch schien, ungeachtet seiner übelbestellten Kleidung, von gutem Hause zu sein. Er trug wenigstens ein sauberes Hemd vom feinsten Linnen, wenn es ihm nicht etwa von einer mildthätigen Hand erst verehrt worden war.
Er führte mich in ein Nebenzimmer der Wirtsstube, bat tausendmal um Entschuldigung, mich bemüht zu haben, und entdeckte mir demütig, er sei in der bittersten Verlegenheit, kenne niemand in diesem Orte, wo er gestern Abend angekommen wäre, und habe deswegen seine Zuflucht zu mir, als Geistlichen, nehmen wollen. Er wäre, setzte er hinzu, seines Standes ein Komödiant, jetzt ohne Anstellung und im Begriff, nach Manchester zu reisen. Nun aber sei er mit seinem Gelde zu Ende, so daß er nicht einmal genug habe, den Wirt völlig zu bezahlen, geschweige nach Manchester zu kommen. Demnach wende er sich in der Verzweiflung an mich. Mit zwölf Schillingen wäre ihm geholfen. Er wolle mir, wenn ich ihm den Vorschuß machen könne, das Geld, sobald er wieder bei einem Theater angenommen sein würde, ehrlich und dankbar zurückstellen. Sein Name sei John Fleetmann.
Er hätte nicht nötig gehabt, mir seine Not und Angst so ausführlich zu schildern. In den Zügen seines Gesichts lag noch mehr Kummer und Unruhe, als in seinen Worten. Allein in meinem Gesicht las er vermutlich etwas Ähnliches, denn wie er die Augen zu mir aufschlug, erschrak er und sagte:
»Wollen Sie mich hilflos lassen?«
Ich erklärte ihm nun ganz unumwunden meine Lage: daß er von mir nichts weniger als den vierten Teil meiner Baarschaft begehre, daß ich sogar in größter Ungewißheit über die fernere Dauer meines Amtes schwebe.
Plötzlich kalt und wie in sich zurückgesunken, sagte er:
»Sie rechnen einem Unglücklichen Ihr Unglück vor. Ich fordere von Ihnen nichts. Ist denn niemand anders in Crekelade, der, wenn auch keinen Reichtum, doch Mitleid hat?«
Ich sah den Herrn Fleetmann mitleidig an und schämte mich ein wenig, ihm meine böse Lage vorgestellt zu haben, um dahinter ohne Erröten hartherzig sein zu können. Zugleich sann ich umher unter meinen Crekeladern und getraute mir nicht einen zu nennen. Ich kannte ihre Herzen vielleicht zu wenig.
Dann trat ich ihm einen Schritt näher, legte meine Hand auf seine Schulter und sagte:
»Herr Fleetmann, Sie thun mir leid! Haben Sie noch ein wenig Geduld! Sie wissen, wie arm ich bin. Ich will Ihnen helfen, wenn ich kann. In einer Stunde gebe ich Ihnen Bescheid.«
Ich ging nach Hause. Unterwegs dachte ich: »Sonderbar, warum der Fremde sich eben an mich zuerst wendet und der Komödiant an einen Geistlichen! Ich muß etwas in meiner Natur haben, das den Instinkt СКАЧАТЬ