Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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»Wenn Du gesund bist, ziehst Du da den Kittel an.«
»Das ist ein Galeerenkittel. Wieso denn? Sagt mir doch, bin ich denn . . . ich will, ich kann nicht glauben . . . hat man mich verurteilt?«
»Wahrscheinlich! Wie man sagt, nur für neunundzwanzig Jahre an die Ruderbank.«
Der Kerl sprach leider nur zu wahr. Sobald ich genesen war, eröffnete man mir das schreckliche Urteil. Wegen ausgestoßener Drohungen und mörderischen Angriffs auf das Leben des Marschalls von Montreval, ungerechnet, daß ich erwiesenermaßen ein geheimer Protestant sei und zum besten der Ketzer in der Kanzlei und wo ich vermöge Amtes Einfluß gehabt manchen Unterschleif begangen hätte, war ich zu neunundzwanzigjähriger Galeerenstrafe verdammt worden.
Ich seufzte, doch im stolzen Gefühl meiner Unschuld zog ich ohne Schmerz den Sklavenkittel an. Meine Thränen flossen nur dem Schicksale Klementinens. Ich bemühte mich, ihr einige Zeilen zukommen zu lassen. Mit einer geborgten Bleifeder schrieb ich ihr auf einem halb zerrissenen Blättchen meinen Abschied. Ach, ich war zu arm, meinen Wächter zu bestechen! Er nahm meinen Brief, las ihn, und riß ihn lachend durch, indem er sagte: »Hier ist keine Post zu Liebesbriefen!«
Man legte mir die Ketten an, und führte mich, nebst andern Unglücksgefährten, zum Hafen und auf die mir bestimmte Galeere.
So sind nun neunundzwanzig Jahre vergangen! Was sind sie?
Der Tod, mein oft, mein heiß ersehnter Freund, kommt mich zu erlösen. Ach, mein Herr, und Sie haben die Barmherzigkeit für mich gehabt, die letzten meiner Stunden noch angenehm zu machen! Unsere Geister sind verwandt, und berühren sich vielleicht wieder.
21.
Hier legte der Abbé Dillon sein Heft nieder. »Dies waren Alamontades Schicksale!« sagte er.
Wir schwiegen. Unsere Seelen waren allzu sehr mit dem Unglück des edeln Mannes beschäftigt.
»Aber, lieber Abbé,« sagte ich, »noch eins müssen wir wissen! Kam Klementine de Sonnes nach Marseille? Wie glücklich muß unser Alamontade beim Anblick dieses geliebten Wesens nach so langer Trennung geworden sein!«
»Als ich ihm, erzählte Dillon, die Nachricht mitteilte, daß Klementine, sobald sie erfahren habe, er sei noch am Leben und in Marseille, den Entschluß gefaßt hätte, ihn zu sehen, war er tief erschüttert. Er schwieg lange. »So hat sie mich denn nicht vergessen!« rief er endlich innig bewegt. »Nun wünsche ich meinem Leben nur so lange Frist, bis ich sie noch einmal gesehen habe.«
Das Wiedersehen seiner Klementine schien dem liebenswürdigen Dulder die schönste Ausgleichung aller seiner überstandenen Leiden zu werden. Er hoffte mit Sehnsucht ihrer Ankunft entgegen. Er, dem bei so vieler Tugend so wenig Freude zuteil geworden war, sollte aber auch diese Seligkeit nicht genießen.
Er starb. Ich ward eines Morgens in der Frühe zu ihm gerufen. Als ich zu ihm trat, war er schon verblichen. Auf seinem blassen Antlitze ruhte ein sanftes Lächeln. Er schien mit dem Gedanken an Klementinen entschlummert und in ein besseres Leben übergegangen zu sein. Ich warf mich weinend zu den Füßen seines Bettes auf die Kniee nieder und war trostlos, wie um einen verstorbenen Vater.
Einen Tag später, nachdem er begraben war, kam Klementine. Sie war sehr krank, und in ihrem Wagen vom Arzte begleitet. Sie mußte sogleich wieder das Bett hüten. Ich ward zu ihr gerufen. Sie war schwach und abgezehrt, trug aber unverkennbar noch die Spuren ehemaliger Schönheit.
Als sie den Tod des geliebten Sklaven erfahren hatte, hob sie ihre matten Augen stumm, mit einem sehnsuchtsvollen Blick gen Himmel. Ich zeigte ihr Alamontades Bild. Sie küßte es und ließ es für sich abzeichnen. Auch mußte ich ihr aus Alamontades Nachlaß sein Messer und den blechernen Löffel geben, aus welchem sie von nun an allein die Arznei und die wenige Speise nahm, die sie genoß.
Sie sprach selten, doch schien sie heiter zu sein. Ich mußte ihr von ihm erzählen. Ihre Augen hingen unverwandt an Alamontades Bild, bis sie im Tode brachen. Auf ihren ausdrücklichen Befehl ward die Dulderin an der Seite ihres Freundes begraben, dem sie treu bis zum Tode war, und welchen sie, durch falsche Nachrichten getäuscht, schon längst tot geglaubt hatte.
Jetzt sind schon über fünfzig Jahre verflossen, seitdem dies alles geschah, aber Alamontades Andenken blieb mir gleich heilig und frisch.
Lasset uns, Ihr Lieben, leben, wie er! Lasset uns die Selbstständigkeit unseres Geistes, seine Befreiung von der Gewalt des Vergänglichen, als seine Bestimmung erkennen und in der Stunde der Versuchung die wankende Hoheit desselben durch den Blick auf die Ewigkeit und den Gedanken retten. Sei rein, wie Gott!
Blätter aus dem Tagebuche des armen Pfarr-Vikars von Wiltshire
Am 15. Dezember 1764.
Ich erhielt von Herrn Doktor Snart, meinem Patron, zehn Pfund Sterling als den Betrag des halbjährigen Gehalts.
Ich mußte den sauer verdienten Lohn noch unter manchen Unannehmlichkeiten in Empfang nehmen. Nachdem ich anderthalb Stunden im kühlen Vorzimmer des Herrn Rektors hatte warten müssen, erlaubte man mir endlich, in sein Gemach zu treten. Er saß gemächlich im großen Lehnstuhle am Schreibtische; das Geld war schon gezählt. Er erwiderte meine Verbeugungen mit einem majestätischen Kopfnicken seitwärts, indem er seine schöne schwarzseidene Hausmütze ein wenig aus dem Nacken empor und wieder zurückschob. Wirklich hat er viel Würde. Ich kann mich ihm nie ohne Ehrfurcht nahen. Ich glaube, ich würde zu dem Könige selbst nicht mit größerer Ehrerbietung hintreten. Er nötigte mich nicht zum Sitzen, obwohl er wissen konnte, daß ich den Morgen schon elf (englische) Meilen bei schlechtem Wetter gemacht und vom anderthalbstündigen Stehen im Vorzimmer auch nicht viel Trost für die müden Beine gehabt hatte. Er wies mit der Hand auf das Geld.
Mir schlug das Herz gewaltig, als ich nun mit der lange überlegten und wohleingelernten Bitte um einige Gehaltsvermehrung hervortreten wollte. Daß ich doch meine Schüchternheit auch in den allerunschuldigsten, ja ich darf sagen, in den gerechtesten Sachen nicht ablegen kann! Mit einer Angst, als wollt' ich ein Verbrechen begehen, hob ich zweimal vergebens an. Gedächtnis, Worte und Stimme verließen mich. Der Schweiß stand mir plötzlich in großen Tropfen auf der Stirn.
»Was wollen Sie eigentlich?« fragte er leutselig.
»Ich bin . . . alles ist teuer . . . kaum im stande, mit dem geringen Gehalt in diesen Zeiten auszukommen.«
»Geringes Gehalt, Herr Vikar? Wo denken Sie hin? Ich kann jeden Tag einen andern Vikar um fünfzehn Pfund Sterling Jahrgehalt haben!«
»Um fünfzehn Pfund! Nun ja, wenn er ohne Familie ist, mag er's mit dem Gelde machen.«
»Ihre Familie, Herr Vikar, hat sich doch nicht vermehrt, hoffe ich? Sie haben ja nur zwei Töchter.«
»Ja, Eure Hochwürden! Aber diese wachsen heran. Meine Jenny, die älteste, ist nun achtzehn Jahre, und Polly, die jüngere, bald zwölf Jahre alt.«
»Desto СКАЧАТЬ