Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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Ich habe aber beide Tage beim Pächter Hurst zu Mittag gespeist. Die Leute sind doch auf dem Lande bei weitem gastfreundlicher, als hier im Städtchen, wo seit einem halben Jahre niemand daran gedacht hat, mich zu sich einzuladen.
Ach, hätte ich meine Töchter bei mir am Tische haben dürfen! Welch ein Überfluß! Hätten sie am Weihnachtsfeste nur haben können, was von dem Überreste der Mahlzeit des Pächters Hunde bekamen! Nun, sie haben ja doch am Ende noch Kuchen bekommen und ergötzen sich jetzt, während ich schreibe, recht herrlich daran. Es war gut, daß ich den Mut hatte, als mir der Pächter und seine Frau noch mehr zu essen aufdrangen, ihnen zu sagen: wenn sie es erlauben wollten, möchte ich meinen Töchtern das Schnittchen Kuchen mitbringen. Die herzensguten Leute packten mir ein Säckchen voll und ließen mich, weil es erbärmlich regnete, in ihrem Wagen nach Crekelade fahren.
Am Essen und Trinken ist zwar im grunde wenig gelegen, wenn man nur hat, den Hunger und Durst notdürftig zu stillen, doch läßt sich nicht läugnen, daß auch die behagliche Pflege des Leibes eine angenehme Sache ist. Man denkt klarer, man fühlt wärmer.
Ich bin sehr müde. Meine Gespräche mit dem Pächter Hurst waren merkwürdig, ich will sie morgen anschreiben.
Am 27. Dezember.
Da haben wir nun die volle Freude erlebt . . . aber man muß sich auch in der Freude mäßigen. Die Mädchen müssen das auch lernen und sich darin üben. Darum lege ich das angekommene Geldpäckchen unentsiegelt hin, das mir der Herr Fleetmann schickt. Ich mache es nicht auf, bis nach dem Mittagessen.
Meine Töchter sind Evenstöchter; sie sterben bald vor Neugier, zu wissen, was Herr Fleetmann schreibt. Nun lesen sie die Aufschrift und das Päckchen läuft in einer Minute dreimal von der Hand der einen in die der andern.
In der That, ich bin mehr bestürzt, als erfreut. Ich habe Herrn Fleetmann nicht mehr als zwölf Schilling geliehen und er schickt mir fünf Pfund Sterling zurück. Gott sei Dank! Er muß eine gute Anstellung haben.
Wie doch Freud' und Leid wechseln! . . . Ich war diesen Morgen zum Alderman, Herrn Fieldson, gegangen, weil man mir gestern als Gewißheit erzählt hatte, der Fuhrmann Brook zu Wotton-Basset habe sich Schulden halber um's Leben gebracht. Ich hatte ihm vor elf oder zwölf Jahren wegen weitläufiger Verwandtschaft mit meiner seligen Frau um hundert Pfund Sterling bei einem Kauf, den er gemacht, Bürgschaft leisten müssen. Nun habe ich die Bürgschaft noch nicht zurück. Der Mann hat in den letzten Jahren viel Unglück gehabt und sich dem Trunk ergeben.
Der Herr Aldermann beruhigte mich aber sehr. Er sagte, daß er zwar auch von dem bösen Gerüchte vernommen, doch sei es sehr unwahrscheinlich, daß sich Brook entleibt habe, auch wäre noch keine Nachricht eingelaufen. So ging ich getrost nach Hause und betete unterwegs, Gott solle mir ferner gnädig sein.
Da sprang mir Polly schon von weitem auf der Straße entgegen und sagte ganz atemlos: »Ein Brief von Herrn Fleetmann, Vater, mit fünf Pfund Sterling! Das Päckchen hat aber auch sieben Pence gekostet.«
Jenny überreichte mir mit feuerrotem Angesicht das Geldpäckchen, ehe ich noch Stock und Hut ablegen konnte, die Kinder waren vor lauter Seligkeit halb närrisch. Da schob ich ihre Messer und Scheren zurück und sagte:
»Nun sehet Ihr wohl, Kinder, daß es weit schwerer ist, eine große Freude mit Gleichmut und Gelassenheit zu ertragen, als ein großes Übel. Ich habe Euern Frohsinn oft bewundert, wenn wir in der tiefsten Not lebten und nicht wußten, wovon wir uns den andern Tag ernähren sollten. Nun seid Ihr beim ersten Lächeln des Glückes ganz außer Fassung. Zur Strafe öffne ich das Päckchen und den Brief erst nach dem Mittagessen.«
Jenny wollte mir zwar behaupten, sie freue sich nicht sowohl über das viele Geld, ob es uns gleich not thue, als über Herrn Fleetmanns außerordentliche Dankbarkeit, über seine Rechtschaffenheit; sie wünsche nur zu wissen, was er schreibe, wie es ihm ergangen sei. Ich blieb bei meinem Ausspruche: die kleine Neugier soll sich in Geduld üben lernen.
An demselben Tage abends.
Die Lust hat sich in Traurigkeit verwandelt; der Brief mit dem Gelde kam nicht von Herrn Fleetmann, sondern vom Herrn Doktor Snart. Er kündigte mir laut unseres bestehenden Vertrages, als Antwort auf meinen Brief, meine Stelle bis Ostern auf, womit unsere Rechnung für immer abgethan sei. Er meldete, ich könne mich bis dahin nach einer anderen Versorgung umsehen und er habe deswegen mir nicht nur das Gehalt zu etwaigen Reisen vorausbezahlt, sondern auch dem neuen Vikar, als meinem Nachfolger befohlen, falls ich nichts dawider hätte, meine kirchlichen Verrichtungen zu besorgen.
Also war das Geschwätz der Leute hier im Flecken doch nicht ungegründet, und so mag auch wahr sein, daß man sagt, der neue Vikar habe seine Anstellung darum so geschwind erhalten, weil er eine nahe Verwandte des Doktors Snart, die, man wisse nicht von wem, schwanger sei, geheiratet habe. So verliere ich denn Amt und Brot wegen des Leichtsinnes eines Mädchens und werde mit meinen armen Kindern auf die Straße getrieben, weil sich ein Mann gefunden, der meine Stelle mit einer Ehrvergessenheit erkaufen konnte.
Jenny und Polly wurden totenbleich, als sie statt Herrn Fleetmann den Rektor reden hörten und im Päckchen statt des reichen Geschenks der Erkenntlichkeit den bittern, letzten Gnadenlohn meiner vieljährigen Amtsgeschäfte fanden. Polly warf sich schluchzend auf den Stuhl und Jenny ging hinaus. Meine Hand, in der ich den Brief und die förmliche Entlassung hielt, zitterte. Ich aber ging in mein Kämmerlein, schloß es hinter mir zu, fiel auf meine Kniee und betete, während Polly laut weinte.
Ich stand erquickt und beruhigt vom Gebete auf und nahm die Bibel. Und die ersten Worte, welche mir in die Augen fielen, waren: »Fürchte Dich nicht, denn ich habe Dich erlöset; ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen; Du bist mein!« Jesaias, Kap. 43, V. 1.
Da verschwand alle Furcht aus meiner Brust; ich sah empor und sagte: »Ja, Herr, ich bin Dein!«
Weil ich Polly nicht mehr weinen hörte, ging ich in die Stube zurück. Da ich aber sah, daß sie auf den Knieen lag, betend, ihre gefalteten Hände auf den Stuhl gesetzt, zog ich mich wieder zurück ins Kämmerchen und machte die Thür leise zu, um die liebe Seele ja nicht zu stören.
Nach einiger Zeit hörte ich Jenny kommen. Nun begab ich mich zu meinen Töchtern; sie saßen beide am Fenster; ich sah an Jennys verweinten Augen, daß sie ihrem Schmerz in der Einsamkeit Luft gemacht hatte. Sie blickten beide schüchtern zu mir auf. Ich glaube, sie fürchteten sich, in meinem Gesichte eine Spur der Verzweiflung wahrzunehmen. Wie sie aber sahen, daß ich ganz getrost und heiter kam und sie lächelnd anredete, wurden beide wohlgemut. Ich nahm den Brief und das Geld, indem ich dazu ein Liedchen pfiff, und trug es in mein Pult. Sie sprachen den ganzen Tag kein Wort von der Begebenheit, ich mochte sie auch nicht berühren. Bei ihnen war es ein schonendes Zartgefühl; bei mir Furcht, mich vor meinen Kindern schwach zu zeigen.
Am 28. Dezember.
Es ist gut, das man den ersten Sturm vorüberfahren lasse, ohne seine Verwüstung allzu genau ins Auge zu fassen. Wir haben alle sehr ruhig die Nacht geschlafen; nun sprechen wir von dem Briefe des Doktors Snart und von meiner Amtslosigkeit, wie von einer alten Geschichte. Wir machen allerlei Pläne für die Zukunft. Das Bitterste in diesen Plänen ist, daß wir drei uns notwendig für eine Zeit trennen müssen. Es läßt sich vor der Hand nichts besseres thun, als daß СКАЧАТЬ