Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke - Heinrich Zschokke страница 109

Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke

Автор: Heinrich Zschokke

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788027214945

isbn:

СКАЧАТЬ Abendmahl ein! Kein Großer dieser Erde wird dort mit uns zu Tische sitzen, aber wir sind daselbst in Jesu Namen versammelt, und er wird mitten unter uns sein. Wir alle, einige Hundert mit Weib und Kindern, feiern diesen Morgen das heilige Abendmahl in meiner Mühle beim Karmeliterthor.«

      »Welche Verwegenheit?« rief ich. »Wisset Ihr nicht, daß der Marschall in Nismes ist?«

      »Wir wissen es, und der allmächtige Gott ist auch da!«

      »Wollt Ihr Euch denn mit Vorsatz in Elend und Kerker stürzen? Das Gesetz verbietet auf's Strengste alle Versammlungen dieser Art. Es drohet mit dem Tode.«

      »Welches Gesetz? Das Gesetz des sterblichen Königs? Du sollst Gott mehr gehorchen denn den Menschen!«

      So wußte mein Oheim jede meiner Einwendungen mit biblischen Sprüchen zu beseitigen, je mehr ich das Unerlaubte und Gefährliche solcher Zusammenkünfte einsah, je lebhafter ich ihm die möglichen Folgen davon schilderte, desto eifriger ward mein Oheim. Er hieß mich einen Abtrünnigen, einen Heuchler, einen Papisten und verließ mich im Zorn.

      Ich kehrte zu Klementinen zurück. Sie hatte meinen Oheim und Verdruß in allen seinen Geberden gesehen. Sie forschte nach den Ursachen; ich wagte nicht, sie ihr zu entdecken. Unter ihren unschuldigen Liebkosungen verlor sich allmälich meine Furcht und Unruhe. Sie erzählte mir von der Einwilligung ihrer Mutter in alle meine Wünsche. Dies erheiterte mich noch mehr. An Klementinens Busen schwärmte ich vom Glück der stillen Zukunft.

      Da trat mein Bedienter herein, bleich wie die Wand und atemlos.

      »Herr,« stammelte er, »die Hugenotten sind draußen am Karmeliterthor in der Mühle des Herrn Etienne zum verbotenen Gottesdienste . . .«

      Ich erschrak heftig. Also war's verraten. »Und weiter?« rief ich.

      »Die Mühle ist von Dragonern umringt. Alle drinnen sind gefangen. Denken Sie nur, der Herr Marschall von Montreval ist daselbst in eigener Person. Der Prediger und noch andere von den eingeschlossenen Ketzern wollten sich durchs Fenster retten; da winkte der Marschall und die Dragoner gaben Feuer.«

      »Gaben Feuer?« schrie ich »Wurde einer getötet?«

      »Ihrer vier liegen tot auf dem Platze!« antwortete der Bediente.

      Ohne weiter zu fragen, ergriff ich Stock und Hut.

      Ich kam vor's Thor. Ungestüm drängte ich mich durch das in ungeheurer Zahl zusammenströmende Volk, welches mit brennender Neugier, und mit Schaudern, Freude und Erwartung, Kopf an Kopf, gaffend dastand.

      Kalt vor Entsetzen sah ich über die Menge die blitzenden Gewehre der Dragoner emporragen, welche in dreifachen Reihen die Mühle meines lieben Oheims umstellt hatten. Erhaben über alle, auf seinem Pferde, von einigen vornehmen Herren umringt, sah ich den Marschall von Montreval.

      Er wandte sich um, sah mich an, und indem er mit dem Krückstock auf die Mühle zeigte, sagte er, ohne eine Miene zu verändern: »Die Elenden! Nun sind sie ertappt!«

      »Was denken Sie zu thun, gnädigster Herr?« fragte ich.

      »Darüber sinne ich schon seit einer Viertelstunde nach.«

      »Seien Sie großmütig, gnädigster Herr, und die Irrenden werden reuig zu Ihren Füßen sinken und nie wieder . . .«

      »Was?« unterbrach mich der Marschall. »Die Menschen sind unbekehrbar! Rebellen sind sie, wütige, tollkühne Rebellen.«

      »Nein, gnädigster Herr,« sagte ich und ergriff flehend des Marschalls herabhängende Hand, »Sie sind allzu gerecht, als daß Sie diesen Unglücklichen dort eine Greueltat anrechnen könnten, die vor beinahe anderthalbhundert Jahren geschehen ist!«

      »Es ist Zeit, ein warnendes Beispiel aufzustellen« sagte der Marschall, welcher bisher unentschlossen gewesen. Er entzog mir seine Hand, ritt einige Schritte vor, ohne auf mich zu achten, und rief mit lauter Stimme: »Steckt die Mühle in Brand!«

      Halb erstarrt wankte ich ihm nach. Ich ergriff die Zügel seines Pferdes und schrie: »Um Gotteswillen, Barmherzigkeit!«

      Ich hörte das Rasseln und Knistern der Flamme, sah die dicken Rauchwolken sich über das Dach der Mühle wälzen, und hörte das dumpfe Zetergeschrei der Eingesperrten.

      Bald verklang meine Stimme unter dem wilden Getöse weit umher, unter dem kläglichen Geschrei der dem Tode Geweihten, und unter dem Donner der Flinten. Was den Flammen entrinnen wollte, wurde von den Dragonern niedergeschossen.

      Da raffte ich mich auf und stürzte zur Mühle hin. In demselben Augenblicke warf sich ein Mädchen aus dem Fenster. Ich fing es auf. Es war Antonie, meines Oheims jüngste Tochter.

      »Der Hund!« schrie der Marschall. »Ich sagt's doch immer, er sei einer von ihnen!«

      »Nieder mit ihr!« brüllte er wieder. Zwei Dragoner rissen mir die ohnmächtige Antonie aus den Armen, und indem sie am Boden lag, erschossen die Henkersknechte das unschuldige Geschöpf zu meinen Füßen.

      »O Du abscheuliches Ungeheuer! Wie willst Du diese That verantworten vor Deinem und unserm König, vor Deinem und unserm Gott?« schrie ich.

      Er sprengte gegen mich, gab mir einen Stockstreich über den Kopf und ritt mich nieder. Ich glaubte im Taumel, er habe Befehl gegeben, mich umzubringen. Ich raffte mich auf, riß einem Dragoner die Flinte vom Arm, um mein Leben zu schützen. Niemand wagte sich an mich, ungeachtet der Marschall mehrmals hintereinander schrie: »Packt ihn! Packt ihn!«

      Indem ich wild um mich her sah, erblickte ich – o entsetzliches Schauspiel! – über Antoniens Leiche meinen Oheim, Herrn Etienne, mit blutigem Haupte. Ich erkannte ihn nur noch an der Gestalt und an den Kleidern. Er stieß einen schrecklichen Schrei gen Himmel aus und sank unter Flintenschüssen über dem Leichnam seines geliebten Kindes zusammen.

      Ich wollte zum Marschall reden, aber meine Zunge war gelähmt! Ich hob nur die Augen und den Arm mit der Flinte gen Himmel. Da fühlte ich mich getroffen und sank in dumpfe Empfindungslosigkeit nieder.

      20.

       Inhaltsverzeichnis

      Als ich wieder zu helleren Vorstellungen genesen war und die Dinge um mich her deutlicher erkannte, sah ich mich unter fremden Händen und mein verwundeter Kopf war verbunden.

      »Wo bin ich denn?« fragte ich. Ich erinnerte mich nun erst des unglücklichen Ereignisses wieder, dem ich wahrscheinlich mein Hiersein zu danken hatte. »Bin ich denn ein Gefangener?«

      »Allerdings, und das von Rechtswegen!« antwortete mein Wärter.

      »Weiß Madame de Sonnes davon? Hat sie nicht hergesandt?«

      »Kennst Du die Leute hier? Wo wohnt sie?«

      »In der Martinsgasse, im Hause Albertas.«

      »Du Narr! In ganz Marseille ist keine Martinsgasse.«

      »In Marseille? Wie? Seit wann bin ich hier?«

      »Es mögen drei Wochen sein, Du armer Teufel. Ich glaube es wohl, СКАЧАТЬ