Die Schlucht. Иван Гончаров
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Название: Die Schlucht

Автор: Иван Гончаров

Издательство: Public Domain

Жанр: Русская классика

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СКАЧАТЬ ihre Wange an die seine legend. ›Seit vorgestern fühle ich mich weit besser, und ich schrieb dir, daß ich im Sterben liege . . . Aber ich wollte dich nur hierher locken . . . verzeih mir!‹

      Sie lächelte, er aber ward starr vor Entsetzen: er sah und hörte, wie es mit dieser Besserung stand. Doch er versuchte zu lächeln, drückte krampfhaft ihre Hände und ließ den ängstlichen Blick bald über ihre Gestalt, bald durchs Zimmer schweifen.

      Ganz plötzlich war er aus dem hellerleuchteten Saal, aus dem fröhlichen Kreise seiner Freunde, junger Künstler und schöner Frauen, in dieses schlichte Zimmer gekommen. Er setzte sich auf den Stuhl neben ihrem Bett und vertiefte sich in die Bilder seiner Phantasie: in schneidendem Kontrast erschien ihm sein ungebundenes, lustiges Leben zu diesem Schmerz, der sich plötzlich in seine Seele gesenkt hatte. Dort der große, hell und heiter erleuchtete Raum, die fröhlichen Genossen, in schwellender Jugendkraft und Gesundheit, heitere Lieder singend, angeregt plaudernd, beim üppigen Mahle, schäumende Becher auf der Prunktafel und duftende Blumen. Und zwischen ihnen, den Freunden, die fröhlichen Gesichter junger Frauen, in Lebenslust und Schönheit erstrahlend: Schauspielerinnen, Sängerinnen, Tänzerinnen, neben den Künstlern die goldene Jugend – Schönheit, Geist, Talent, Humor, kurz alles, was die Sonnenseite des Lebens bietet, in berauschender Harmonie beisammen! Und nun waren ihm plötzlich hier, in diesem ärmlichen, kleinen Zimmer, angesichts dieses früh vernichteten, vor seinen Augen verlöschenden Lebens die dunkelsten Schatten des Daseins entgegengetreten.

      Dort hatte er die in jugendlicher Frische strahlende Stirn, die herrlichen Augen, das in üppigen Flechten über Nacken und Schultern herabwallende Haar und die volle Büste der Königin des Festes bewundert. Und hier sahen ihn die eingefallenen, kaum noch flackernden Augen der Sterbenden an, ihr Haar erschien trocken und farblos, und der Körper war zum Skelett abgemagert . . . Der furchtbare Gegensatz der beiden Bilder schnitt ihm tief ins Herz; ein unüberbrückbarer Abgrund schien zwischen ihnen zu liegen – und doch waren sie beide wahr und wirklich. In einer Galerie hätte man sie nicht nebeneinander hängen dürfen, das Leben aber stellte grausam das eine neben das andere – und er stand da und starrte darauf mit verstörtem, stierem Blicke.

      Ein Schauer des Entsetzens, der tiefsten Seelenqual überlief ihn. Unwillkürlich gruppierte er die Gestalten, gab er jeder von ihnen, auch sich selbst, die Haltung, die die Komposition des Ganzen zu verlangen schien, fügte er Fehlendes hinzu, beseitigte er das Überflüssige. Und während die Phantasie so in seinem Innern erbarmungslos arbeitete, erschrak er zugleich über diesen seelischen Prozeß, faßte mit der Hand nach seinem Herzen, um den Schmerz zurückzudämmen, das erstarrte Blut zu erwärmen und die furchtbare Pein seiner Seele zu beschwichtigen, die sich bei jedem schmerzlichen Aufseufzen der Kranken in einem gellenden Aufschrei Luft zu machen suchte.

      Diese Liebe auf dem Sterbebett sengte sein Herz wie glühendes Eisen; jede Liebkosung nahm er mit einem Schluchzen entgegen, wie eine Blume, die von einem Grabe gepflückt war.

      Als sein Schmerz ein wenig zur Ruhe gekommen war und er nur noch die schweren Atemzüge Nataschas vernahm, rollte sich vor seinem Auge die Geschichte dieses jungen Menschenlebens auf, das da vor seinen Augen erlosch. Er sah sie als ganz junges Mädchen, mit offenem, leicht verschämtem Blick, unter der schwachen Aufsicht einer armen, kranken Mutter heranwachsend.

      Er hatte sie in einem gefährlichen Augenblick kennengelernt, als ihrer jugendlichen Unwissenheit und Unschuld schlimme Fallstricke bereitet wurden. Unter der Maske der Teilnahme und alter Freundschaft hatte ein vermeintlicher Freund der Mutter eine Pension erwirkt und ihr auch den Arzt geschickt. Jeden Abend erschien der alte, bereits ergraute Wüstling, um unter dem Vorwande, die Mutter zu besuchen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, seine Verführungskünste bei der Tochter zu versuchen. Die Mutter erlag damals langsam derselben Krankheit, der jetzt, nur wenige Jahre später, auch die sie überlebende Tochter zum Opfer fallen sollte. Raiski hatte damals sogleich die Sachlage durchschaut und war entschlossen, die Tochter zu retten.

      Er meinte es aufrichtig mit seinem Rettungswerk, öffnete der Mutter wie der Tochter die Augen über die wahren Absichten des »Wohltäters« und verliebte sich dabei selbst in Natascha. Er fand Gegenliebe bei ihr, sie wurden glücklich miteinander und empfingen den Segen der sterbenden Mutter für ihren Herzensbund.

      Sie meinten es beide so gut, so ehrlich miteinander. Er achtete ihre Unschuld, sie schätzte sein treues, aufrichtiges Herz – beide sahen im ehelichen Bunde den natürlichen Abschluß ihrer Liebe, und beide waren zu schwach, um auszuharren . . .

      Ein halbes Jahr brachte die Mutter auf dem Krankenlager zu, dann starb sie. Ihr Grab stand zwischen ihnen und dem Traualtar— die tiefe Trauer, die sich plötzlich auf Nataschas junges Leben gesenkt hatte, griff den zarten, von der ererbten Krankheit bedrohten Organismus schwer an, während zugleich, noch stärker als die Krankheit, die Liebe mit ihrer Ungeduld und ihrem Hunger nach Glück an ihm zehrte.

      Die Ärzte setzten den heißen Wünschen der beiden Liebenden ihr Machtwort entgegen: sie müßten, hieß es, drei bis vier Monate warten, ehe sie vor den Altar träten. Aber die Liebe wartet nicht – sie riß sie mit sich fort.

      Er hatte sie wohl vor dem alten Wüstling und vor der Not gerettet, nicht aber vor sich selbst. Sie liebte ihn nicht mit verzehrender, flammender Leidenschaft, sondern mit einer furchtlosen, unerschütterlichen Hingebung, ohne Tränen, ohne Qualen, ohne Opfer, weil sie nicht begriff, was ein Opfer ist, wie man lieben und doch wieder nicht lieben könne.

      Für sie hieß lieben so viel wie atmen, leben – nicht lieben dagegen erschien ihr gleichbedeutend mit nicht atmen, nicht leben. Wenn er sie fragte: ›Liebst du mich? Wie?‹ – dann umschlang sie seinen Nacken, preßte ihn ganz fest an sich und sagte nach Kinderart: ›So liebe ich dich, siehst du!‹ Und fragte er sie: ›Wirst du je aufhören, mich zu lieben?‹ – dann sagte sie nachdenklich: ›Ja, wenn ich sterbe!‹

      Sie liebte, ohne etwas zu verlangen, ohne einen Wunsch zu äußern, sie nahm den Freund so hin, wie er war, und kam nie auch nur auf den Gedanken, daß er vielleicht anders sein könnte oder sollte. Niemals fiel es ihr ein, zu fragen, ob es nicht noch eine andere Art zu lieben gebe, oder ob alle so liebten wie sie.

      Er aber träumte von einer Leidenschaft, die sich in endlos wechselnden Formen offenbarte, von funkelnden Blitzen, von einer heißen Glut, einer starken, lodernden, eifersüchtigen Liebe, der die Zeit nichts anhaben konnte, die mit der Dauer nicht an Kraft verlor.

      Natascha war voller, schöner geworden, sie war heiter und froh – niemals jedoch erschien auf ihrem Gesichte jener geheimnisvolle Strahl verhaltenen, stillen Entzückens, nie zuckte in ihrem Auge jener süße Wahnsinn, in dem die flammende Leidenschaft aus der heiß durchloderten Seele emporschlägt.

      Und doch war alles da, was zu dauerndem Glücke gehörtet ein stiller, behaglicher Winkel, in dem das Herz sich heimisch fühlen konnte, und eine lohnende, schöne Lebensaufgabe für den Geist: an der eigenen Vervollkommnung zu arbeiten und zugleich diese junge, empfängliche Frauenseele zu entwickeln und zu leiten. Auch das war ja schöpferische Arbeit: so auf ergiebigem Boden für sich selbst zu schaffen und das lebendige Ideal des eigenen Glückes zu gestalten.

      Aber seine Phantasie hatte ein Verlangen nach dem Mannigfaltigen, dem Wechsel, der Unruhe. Rastete sie, so schlief sie ein, sein Leben kam gleichsam zum Stillstand. Sie aber wußte nichts davon, hatte nicht den geringsten Argwohn, welche böse Schlange neben der Liebe in seinem Herzen lauerte.

      Von dem Augenblick an, da sie ihn liebgewonnen hatte, war in ihren Augen und ihrem Lächeln ein stilles Paradies aufgeleuchtet: zwei Jahre lang hatte es darin gelebt, und noch jetzt strahlte es aus den sterbenden Augen. Die erkaltenden Lippen flüsterten unverändert, wie im Anfang: ›Ich liebe‹ – und die Hände wiederholten die zärtlichen Liebkosungen, die sie gewöhnt waren.

      Von ihrer Liebe ermüdet, war er zuweilen für ganze Wochen und Monate verschwunden, СКАЧАТЬ