Название: Die Schlucht
Автор: Иван Гончаров
Издательство: Public Domain
Жанр: Русская классика
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»Ganz wie der Kanarienvogel, der sich an seinen Käfig gewöhnt hat: wenn man ihn öffnet, fliegt er nicht davon, sondern flüchtet sich ängstlich in eine Ecke. Sie gleichen ihm ganz und gar! Erwachen Sie aus Ihrem Schlummer, Cousine, lassen Sie alle Ihre Catherinen laufen, verzichten Sie auf diese Ausfahrten und lernen Sie das andere Leben kennen! Und wenn Ihr Herz nach der Freiheit verlangt, dann fragen Sie nicht, was die Cousine sagt . . .«
»Sondern was der Cousin sagt, nicht wahr?«
»Ja, denken Sie an Ihren Cousin Raiski und tauchen Sie getrost unter in dieses Leben voll Leidenschaft, in dieses Ihnen unbekannte Land . . .«
»Aber warum durchaus die Leidenschaft?« warf sie ein – »liegt denn in ihr das Glück?«
»Warum gibt es Gewitter in der Natur? . . . Und die Leidenschaft – ist das Gewitter des menschlichen Lebens . . . O, wenn Sie doch einmal solch ein gewaltiges Gewitter kennenlernten!« sagte er ganz hingerissen und versank in Nachdenken.
»Sehen Sie, Cousin: alle anderen außer Ihnen warnen mich vor der Leidenschaft, und Sie wollen mich mit Gewalt hineinstoßen, damit ich dann mein ganzes Leben lang Reue empfinde . . .«
»Nein, nicht Reue wird der Leidenschaft folgen: sie wird die Luft rings um Sie reinigen, wird die Miasmen, die Vorurteile in die Flucht jagen und Sie Ihr wahres Leben genießen lehren . . . Sie werden nicht sinken, Sie sind zu klar, zu rein dazu; das Laster kann Ihnen nichts anhaben. Die Leidenschaft wird Sie nicht erniedrigen, sondern im Gegenteil hoch emporheben. Sie werden zwischen Gut und Böse unterscheiden lernen, Sie werden das Glück in vollen Zügen genießen und dann in köstlichem Erinnern leben, das nichts gemein haben wird mit diesem schläfrigen, stillen Hinbrüten, in dem Sie jetzt Ihre Zeit verbringen. Sie werden die Ruhe haben, den Frieden – aber das Bewußtsein des Glücks wird in diesem Frieden pulsieren; Sie werden hundertmal schöner sein als jetzt, werden voll Zärtlichkeit, voll stiller Melancholie sein, die Tiefe Ihres eigenen Herzens wird sich Ihnen erschließen, und die ganze Welt wird Ihnen dann zu Füßen fallen, wie ich es jetzt tue . . .«
Er wollte in der Tat vor ihr hinknien, aber sie machte eine erschreckte Bewegung, und er hielt inne.
»Und wenn Sie mir dann begegnen, vielleicht ermattet vor Schmerz und Gram, aber auch reich an Erfahrung und Glück, dann werden Sie sagen, daß Sie nicht umsonst gelebt haben, und werden Ihre Unkenntnis des Lebens nicht als Entschuldigung anführen können! Und dann werden Sie auch dort hinausschauen wollen, auf die Straße, werden in Erfahrung zu bringen suchen, was Ihre Bauern treiben, werden sie ausreichend ernähren, sie belehren, ihre Leiden lindern wollen . . .«
Sie hörte nachdenklich zu. Zweifel, Bedenken, Erinnerungen huschten über ihr Gesicht.
»Nicht alle Männer sind so wie Bjelowodow,« fuhr er fort. »Vielleicht finden Sie einen Freund, der seinem Herzen und seiner Zunge nicht so Zwang anzutun weiß, und wenn Sie dann etwa in der sommerlichen Einsamkeit eines finnischen Dorfes die Stimme des Herzens vernommen haben, werden Sie erschrecken vor dieser Welt, in der Sie bis jetzt gelebt haben. Paris und Wien werden verblassen vor jenem Dörfchen. Fort mit dem prince Pierre, dem comte Serge, mit den Tanten, mit diesen Ahnenbildern, diesen Draperien – alles das ist dem Glücke nur hinderlich. Ihre Schweizer und Lakaien, Ihre Pascha und Dascha, Ihre Spazierfahrten werden Ihnen zuwider sein. Es wird Ihnen sein, als sollten Sie ersticken hier in diesem Leben, öde und langweilig wird es Ihnen scheinen ohne den, den Sie lieben, der Sie zu leben lehrt. Wenn er erscheint, werden Sie in Verwirrung geraten, Sie werden erbeben, erröten, erblassen beim Klange seiner Stimme; wenn er geht, wird Ihr Herz aufschreien und ihm nachstürzen wollen, und in banger Erwartung wird es sich härmen und dem Morgen, dem Übermorgen entgegenschauen . . . Sie werden nicht essen, nicht schlafen, werden die Nacht ohne Schlummer, ohne Ruhe hier in diesem Sessel verbringen. Und wenn Sie ihn dann morgen sehen, oder auch nur die Hoffnung haben, ihn zu sehen, dann werden Sie frischer sein als diese Blume da, Sie werden glücklich sein, und auch er wird unter Ihren strahlenden Blicken das Glück empfinden. Und nicht er allein, sondern auch jeder dritte, der Sie in diesem Glorienschein des Glückes, der Schönheit sehen wird . . .«
»Was ist das nur?« sagte sie und sah unruhig nach der Zimmertür – »es scheint, daß Papa nicht kommt?« Und ganz leise fügte sie nach kurzer Weile hinzu: »Was Sie da eben sagten, ist ganz unmöglich.«
»Warum?« fragte er und sah sie dabei durchdringend an. Seine Phantasie war aufs lebhafteste erregt: unwillkürlich, ganz unbewußt hatte er sich selbst an die Stelle des Helden, der ihm vorschwebte, gesetzt; er sah sie an, bald herausfordernd kühn, bald wie in tiefem Sinnen, als ob er sich selbst vor ihr auf den Knien sähe, mit glühendem Gesichte. Und sein Gesicht war wirklich wie in Flammen getaucht: sie sah ihn das eine und andere Mal an, wandte dann aber ihr Auge nicht mehr nach ihm hin, als hätte sie Angst, ihn anzuschauen.
»Warum unmöglich?« wiederholte er.
»Ich bin doch – ein Kanarienvogel!« versetzte sie.
»O, dann wird diese Portiere hier sich öffnen, und Sie werden hinausflattern aus dem Käfig; dann werden Sie die Tanten und diese verblichenen Herren hier hassen, und jenes Porträt« – er zeigte auf das Bildnis ihres Mannes – »werden Sie nur noch mit einem feindseligen Gefühl ansehen können.«
»Ach, Cousin! . . .« fiel sie ihm vorwurfsvoll ins Wort.
»Ja, Cousine, Sie werden jede Minute für verloren halten, die Sie so wie bisher verbracht haben . . . Ihr Auge wird nicht mehr diesen vornehm kühlen, stolzen Ausdruck haben, es wird so sanft, so nachdenklich blicken, Sie werden auch nicht mehr dieses steife, elegante Kleid tragen . . . unwillig werden Sie dieses massive Armband ablegen und das Kreuz auf Ihrer Brust wird nicht so ruhig und symmetrisch daliegen. Erst wenn Sie mit den Ahnen und Tanten abgerechnet und den Rubikon überschritten haben – erst dann wird für Sie das wahre Leben beginnen . . . Ihre Stunden, Tage, Nächte werden unmerklich dahinfließen . . .« Er setzte sich ganz dicht neben sie, und sie bemerkte es nicht, so tief war sie in Gedanken versunken.
»Sie werden nicht merken, wie sie Ihnen entschwinden,« flüsterte er, »Sie werden nur schwelgen und genießen, werden den Gedanken an ihn nimmer los werden – träumen werden Sie von ihm im Schlafen und Wachen . . .« Er nahm ihre Hand, und sie fuhr zusammen.
»Wenn Sie allein zu Hause weilen, werden Sie plötzlich in Tränen ausbrechen vor Glück: unsichtbar wird jemand in Ihrer Nähe weilen und auf Sie schauen . . . Und wenn in diesem Augenblick er selbst erscheint, werden Sie aufschreien vor Freude, werden aufspringen und . . . und . . . sich an seine Brust werfen . . .«
Beide erhoben sich plötzlich.
»Und Sie werden ihm alles . . . alles geben!« flüsterte er, während er ihre Hand hielt.
»Mon Dieu. mon Dieu!« sagte sie voll Erregung und Ungeduld und entzog ihm fast ärgerlich ihre Hand.
»Und Sie werden bedauern,« flüsterte er weiter, »daß Sie ihm nichts weiter geben, nicht noch ein größeres Opfer bringen können! Sie werden auf die Straße hinauseilen, in finsterer Nacht, allein . . .«
»Mon Dieu, mon Dieu!« rief sie und blickte nach der Tür – »was reden Sie da? . . . Sie wissen doch selbst, daß dies unmöglich ist!«
»Alles ist möglich,« flüsterte er. »Sie werden vor ihm niederknien, werden Ihre Lippen leidenschaftlich auf seine Hand pressen, werden weinen vor Glück und Lust . . .«
Sie nahm in dem Sessel Platz, warf den Kopf zurück und seufzte schwer.
»Je vous demande une grâce, cousin,« sagte sie.
»Sprechen СКАЧАТЬ