Название: Die Schlucht
Автор: Иван Гончаров
Издательство: Public Domain
Жанр: Русская классика
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Niemals ein Vorwurf, eine Träne, ein erstaunter oder beleidigter Blick, weil er nicht mehr so war wie früher, weil er morgen wieder ein anderer sein würde als heute, weil sie ihre Tage allein und verlassen, in quälender Einsamkeit zubringen mußte.
Ihr Herz, ihr Sinn wußte nichts von Klagen und Tränen, kein unwilliges Wort kam von ihren Lippen. Sie ahnte nicht, daß es Leid und Tränen gab für ein liebendes Herz, daß man eifersüchtig sein, Wünsche haben, ja sogar fordern dürfe auf Grund der Rechte, welche die Liebe verlieh.
Sie kannte nur ein Recht, hatte nur einen Wunsch: zu lieben. Sie war davon überzeugt, daß man nur so lieben, nur so geliebt werden könne, und daß alle Welt so liebe und so geliebt werde.
Seine Abwesenheit empfand sie wohl als eine unangenehme Zufälligkeit, doch nicht anders, als etwa seine zufällige Erkrankung. Und kehrte er dann zurück, so schwelgte sie in stiller, demütiger Glückseligkeit und war vollkommen überzeugt davon, daß, wenn er fortblieb, es eben nicht anders sein konnte.
Wohl war ihr im Leben auch von anderer Seite schon Böses zugefügt worden: sie war erblaßt vor Schmerz, vor Bestürzung, war in die Knie gesunken vor Schreck und hatte unbewußt gelitten – aber voll Demut hatte sie das alles hingenommen, ohne zu wissen, daß man eine Beleidigung erwidern, daß man Böses mit Bösem vergelten könne.
Sie hing sich gleichsam an das, was ihrem Herzen sympathisch war, und starb aus lauter Anhänglichkeit, immer in dem Glauben, daß es nur so und nicht anders sein könne.
Sie war wie ein reines, leuchtendes Bild, wie eine der Greuzeschen Gestalten, voll einfältiger, unbewußter Lieblichkeit und Liebessehnsucht, liebend in die Welt gekommen und liebend, mit einem stillen, demütigen Gebet auf den Lippen aus der Welt scheidend.
Das Leben und die Liebe hatten ihr ihre Hymnen gesungen, und sie hatte ihnen nachdenklich, in süßem Sinnen gelauscht, und mit Tränen der Rührung und des Glaubens, ohne Vorwurf, daß ihr ein Schmerz, ein Leid angetan worden, schied sie aus dem Dasein.
Sie starb als ein Opfer mangelhafter Erziehung und Aussicht, als ein Opfer der dumpfen Enge, in der sie ihre Kindheit verbracht hatte, und des ererbten Krankheitskeimes, der sich in ihrem Organismus weiter entwickelt hatte – starb, weil dieses ewige ›Es muß so sein‹, ob sie gleich keinen Widerstand leistete, sich doch schwerer und schwerer auf ihre schwache, junge Brust legte und sie erdrückte.
Sie hätte, selbst wenn sie alt geworden wäre, niemals das Leben oder den Freund angeklagt, hätte ihm wegen seiner unbeständigen Liebe nie Vorwürfe gemacht noch überhaupt jemandem an ihrem Schicksal Schuld gegeben, wie sie auch jetzt niemandem die Schuld an ihrem Tode zuschrieb. Für ihr ganzes schmerzensreiches, martervolles Leben wie für ihren vorzeitigen Tod hatte sie nur das eine Wort: ›Es muß so sein.‹
Sie fragte niemals, was diese Apathie, diese Langeweile, dieses Schweigen bedeute, das im Wesen des Freundes oft zutage trat, wenn er bei ihr weilte. Sie ahnte nicht, daß seine Liebe sich überlebt hatte, und was der Grund davon war.
Er aber dachte oft, wenn er so mürrisch und schweigend neben ihr saß, ohne auf ihr harmloses Liebesgestammel zu hören oder ihre zärtlichen Liebkosungen zu beachten: ›Nein – das ist nicht das Weib, das wie ein kräftiger Strom in mein Leben einbricht und, alle Hindernisse hinwegreißend, sich breit über die Fluren ergießt. Oder das wie eine Feuersäule meinen Weg erhellt, meine Kräfte hervorlockt, ihre Energie entflammt und jeden Augenblick, jeden Gedanken mit zitternder Glut, mit Schönheit und Leidenschaft erfüllt . . . Nein, das ist nicht jene, die mein Leben zu lenken vermöchte, die mir helfen könnte, seinen Sinn und sein Ziel zu ergründen und die Aufgabe, die es mir stellt, zu erfüllen. Wo finde ich eine solche Löwin? Denn dieses Lämmchen da ist zufrieden, wenn es sein Gras zupfen, sich mit dem Schwanze die Fliegen jagen und sich an mich wie an eine Mutter anschmiegen kann . . . Das ist das Vegetieren einer Pflanze – das ist kein Leben mehr, sondern ein Träumen . . .
Er beantwortete ihr verliebtes Geflüster und ihre Zärtlichkeiten mit einem breiten Gähnen, nahm den Hut und verschwand für Wochen und Monate, um sich entweder in seine Kunststudien zu vertiefen oder an den geräuschvollen Schmausereien im Freundeskreise zu betäuben.
Jetzt saß er an ihrem Sterbebett – die Geschichte Nataschas und seiner Liebe zu ihr zog an seinem Geiste vorüber, und als nun das Bild der Sterbenden mit stummem Vorwurf vor sein geistiges Auge trat, da erbleichte er.
Er erinnerte sich der schweren Vernachlässigung, deren er sich ihr gegenüber schuldig gemacht hatte. Es war ja die einzige Art von Kränkung, die er ihr zugefügt hatte; aber selbst der Teufel wäre in die Knie gesunken vor dem stillen, sanften Blick dieser blauen Augen. Er hätte sich selbst verfluchen mögen, weil er als Entgelt für dieses junge Leben, das sich ihm – nur ihm allein – ganz und gar hingegeben, nicht einen ganzen Ozean von Liebe dargeboten hatte, daß er sie nicht mit aller Zärtlichkeit eines Vaters, eines Bruders, eines Gatten umgeben, nicht alle Widerwärtigkeiten, jeden Windhauch und vollends den Tod von ihr ferngehalten hatte.
›Den Tod! O Gott, gib ihr das Leben und das Glück und nimm dafür alles hin, was ich habe!‹ tönte es in ihm wie ein verzweiflungsvolles Gebet. Er sah sich in Gedanken zum Schafott emporsteigen und den Kopf auf den Richtblock legen, und er schrie:
›Ich bin ein Verbrecher! . . . Wenn ich sie auch nicht getötet habe, so ließ ich es doch zu, daß sie getötet ward. Ich wollte sie nicht verstehen – ich suchte Höllenflammen und Blitze dort, wo nur das stille, holde Leuchten eines Lämpchens war. Wer bin ich denn nur, o mein Gott? Bin ich wirklich ein Bösewicht? Habe ich wirklich? . . .‹
Er barg sein Gesicht wieder in dem Kissen, betete im stillen, sie möchte doch nur nicht sterben, und gelobte, mit allen Mitteln, bis zur Selbstaufopferung, fortan nur ihr Glück erstreben zu wollen.
›Zu spät! Zu spät!‹ rief ihm die Verzweiflung ins Ohr, und ihr schwerer Atem bestätigte das Wort.
Er stellte sich vor, wie er damals, als sie noch das einzige Ziel seines Lebens war und er sein eigenes Glück in Gedanken ganz mit ihrer Erscheinung verwob, gleich der Schlange, die sich der Farbe ihrer Umgebung anpaßt, sich ganz nach ihr gerichtet, gleichsam selbst ihr still leuchtendes Wesen angenommen hatte; die Aufrichtigkeit und Zärtlichkeit, die ihr sittliches Ich ausmachte, schien auch auf ihn übergegangen, ihr Lächeln war auch das seinige, er konnte mit ihr entzückt sein beim Anblick eines Vogels, einer Blume, er freute sich kindlich mit ihr über ihr neues Kleid, weinte am Grabe ihrer Mutter und ihrer Freundin, weil sie weinte, pflanzte mit ihr zusammen Blumen auf die Grabhügel der Toten . . .
In alledem, in seiner Freude über den Vogel, seinem Lächeln, seiner Trauer war er ebenso aufrichtig gewesen wie sie selbst. Wo waren diese Tränen, dieses Lächeln, diese naive Freude geblieben, warum erschienen sie ihm jetzt abgeschmackt, warum bedurfte er ihrer nicht mehr? . . .
›Worüber sinnst du nach?‹ ließ ihre schwache Stimme sich an seinem Ohr vernehmen. ›Gib mir zu trinken . . . Nicht doch, sieh mich nicht an!‹ fuhr sie fort, als sie getrunken hatte – ›ich bin so häßlich geworden! Gib mir den Kamm. . . und das Häubchen, ich will es mir aufsetzen. Sonst hörst du am Ende noch auf, mich zu lieben . . . weil ich so gar nicht mehr hübsch bin!«
Sie glaubte immer noch, daß er sie liebe! Er reichte ihr den Kamm und das kleine Häubchen; sie wollte sich kämmen, aber die Hand mit dem Kamme fiel ihr in den Schoß zurück.
›Es geht nicht, ich bin zu schwach!‹ sagte sie und verfiel in schwermütiges Sinnen.
Ihm aber ward zumute, als schnitte man СКАЧАТЬ