Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке. Герман Гессе
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СКАЧАТЬ Empfindungen war Musik geworden.

      Nun sah ich an meinen hellen Tagen die Sonne und den Wald, die braunen Felsen und die fernen silbernen Berge mit doppeltem Gefühl von Glück und Schönheit und Empfängnis, und ich fühlte in den dunklen Stunden mein krankes Herz mit doppelter Glut sich dehnen und empören, und ich unterschied nicht mehr Genuss und Weh, sondern eines war dem andern gleich, und beides tat weh, und beides war köstlich. Und während es mir innen wohl oder weh erging, stand meine Kraft doch in Ruhe darüber, schaute zu und erkannte das Helle und Dunkle als geschwisterlich zusammengehörend, das Leid und den Frieden als Takte und Kräfte und Teile derselben großen Musik.

      Ich konnte diese Musik nicht aufschreiben, sie war mir selber noch fremd und ihre Grenzen mir unbekannt. Aber ich konnte sie hören, ich konnte die Welt in mir als Vollkommenheit empfinden. Und etwas konnte ich auch festhalten, einen kleinen Teil und Widerklang, verkleinert und übersetzt. Daran dachte ich und sog ich nun tagelang und fand, dass es mit zwei Geigen auszudrücken war, und fing an, wie ein junger Vogel das Fliegen wagt, in aller Unschuld, meine erste Sonate aufzuschreiben.

      Als ich den ersten Satz eines Morgens in meiner Kammer auf der Geige spielte, fühlte ich wohl die Schwäche und Unfertigkeit und Unsicherheit, aber es lief mir doch jeder Takt wie ein Schauer übers Herz. Ich wusste nicht, ob diese Musik gut war; ich wusste aber, dass es meine eigene Musik war, in mir erlebt und geboren und nirgends vorher gehört.

      Unten in der Gaststube saß, unbeweglich und weiß wie ein Eiszapfen, jahraus, jahrein der Vater des Wirts, ein Mann von mehr als achtzig Jahren, der nie ein Wort sprach und nur aus ruhigen Augen sorgsam um sich blickte. Es war ein Geheimnis, ob der feierlich Schweigende im Besitz übermenschlicher Weisheit und Seelenstille sei oder ob die Geisteskräfte ihn verlassen hatten. Zu diesem Greise stieg ich an jenem Morgen hinab, meine Geige unter dem Arm, denn ich hatte bemerkt, dass er meinem Spiel und jeder Musik immer mit Aufmerksamkeit zuhörte. Da ich ihn allein fand, stellte ich mich vor ihm auf, stimmte die Violine und spielte ihm meinen ersten Satz vor. Der uralte Mann hielt seine stillen Augen, deren Weißes gelblich und deren Lidränder rot waren, auf mich gerichtet und hörte zu, und wenn ich an jene Musik denke, so sehe ich auch den Alten wieder und sein regungslos steinernes Gesicht, aus dem die ruhigen Augen mich betrachteten. Als ich fertig war, nickte ich ihm zu, er blinzelte listig und schien alles zu begreifen, seine gelblichen Augen erwiderten meinen Blick, dann wandte er sich ab, ließ den Kopf ein wenig sinken und erlosch wieder zu seiner alten Starre.

      Früh begann der Herbst in dieser Höhe, und als ich eines Morgens abreiste, lag dicker Nebel und fiel in staubzarten Tropfen sprühend ein kalter Regen. Ich nahm aber die Sonne der guten Tage und außer der dankbaren Erinnerung auch einen frohen Mut für meine nächsten Wege mit.

      Drittes Kapitel

      Während meines letzten Semesters am Konservatorium lernte ich den Sänger Muoth kennen, der in der Stadt einen gewissen ehrenvollen Ruf besaß. Er war seit vier Jahren mit seinen Studien fertig und sogleich an der Hofoper angestellt worden, wo er zwar einstweilen noch mit mittleren Rollen auftrat und neben beliebten älteren Kollegen nicht recht zu Glanze kam, aber bei vielen für einen zukünftigen Stern galt, den der nächste Schritt zum Ruhm führen müsse. Mir war er von der Bühne her aus einigen Rollen bekannt und hatte mir immer einen starken Eindruck gemacht, wenn schon keinen reinen.

      Unsere Bekanntschafft entstand so. Ich hatte nach meiner Rückkehr zur Schule jenem Lehrer, der mir so freundliche Teilnahme gezeigt hatte, meine Violinsonate und zwei von mir komponierte Lieder gebracht. Er versprach, die Arbeiten durchzusehen und mir seine Meinung darüber zu sagen. Nun dauerte es lange, bis er es tat, und ich konnte ihm eine gewisse Verlegenheit anmerken, so oft ich ihm begegnete. Endlich rief er mich eines Tages zu sich und gab mir meine Noten zurück.

      »Da sind Ihre Arbeiten wieder«, sagte er etwas befangen. »Hoffentlich haben Sie sich nicht gar zu große Hoffnungen gemacht! Es ist etwas daran, ohne Zweifel, und es kann etwas aus Ihnen werden. Aber offen gesagt, ich hatte Sie schon für reifer und ruhiger gehalten, überhaupt Ihrer Natur nicht so viel Leidenschafft zugetraut. Ich hatte etwas Stilleres und Gefälligeres erwartet, was technisch sicherer wäre und was sich technisch beurteilen ließe. Nun ist aber Ihre Arbeit technisch missglückt, so dass ich wenig dazu sagen kann, und ist dafür ein kecker Versuch, den ich nicht bewerten kann, aber als Ihr Lehrer nicht loben möchte. Sie haben weniger und mehr gegeben, als ich erwartet hatte, und mich damit in Verlegenheit gebracht. Ich bin zu sehr Schulmeister, um die Stilsünden übersehen zu können, und ob sie durch die Originalität aufgewogen werden, mag ich erst nicht entscheiden. Ich will also warten, bis ich wieder etwas von Ihnen sehe, und wünsche Glück dazu. Weiterkomponieren werden Sie ja doch, soviel habe ich bemerkt.«

      Damit war ich abgezogen und hatte nicht gewusst, was mit dem Bescheid anfangen, der keiner war. Mir hatte es geschienen, man müsse einer Arbeit ohne weiteres ansehen, ob sie aus Spielerei und zum Zeitvertreib oder ob sie aus Bedürfnis und aus dem Herzen entstanden sei. Ich legte die Noten weg und nahm mir vor, das alles einstweilen zu vergessen, um in diesen letzten Lernmonaten recht fleißig zu sein.

      Da war ich einmal von einer Familie eingeladen, wo viel Musik getrieben wurde, und wo ich, als bei Bekannten meiner Eltern, ein oder zweimal im Jahr meinen Besuch zu machen pflegte. Es war ein Gesellschafftsabend wie alle, nur dass ein paar Berühmtheiten von der Oper dabei waren, die ich vom Sehen alle kannte. Auch der Sänger Muoth war da, der mich von allen am meisten interessierte, und ich sah ihn zum erstenmal so nahe. Er war groß und schön, ein imponierender dunkler Mann mit sichern und vielleicht schon etwas verwöhnten Manieren, man sah ihm an, dass er den Frauen gefiel. Doch sah er, von den Gebärden abgesehen, weder stolz noch vergnügt aus, sondern hatte in Blick und Mienen viel Suchendes und Unbefriedigtes. Als ich ihm vorgestellt wurde, grüßte er mit einem kurzen steifen Kompliment[27], ohne mit mir zu sprechen. Nach einer Weile kam er aber plötzlich zu mir her und sagte: »Heißen Sie nicht Kuhn? – Dann kenne ich Sie schon ein wenig. Der Professor S. hat mir Ihre Arbeiten gezeigt. Sie dürfen es ihm nicht übelnehmen, er ist nicht indiskret. Aber ich kam gerade dazu, und weil ein Lied dabei war, sah ich mir’s mit seiner Eraubnis an.«

      Ich war erstaunt und verlegen. »Warum sprechen Sie davon?« fragte ich. »Es hat dem Professor nicht gefallen, glaube ich.«

      »Tut Ihnen das weh? Nun, mir hat das Lied sehr gefallen; ich könnte es singen, wenn ich nur die Begleitung hätte. Die möchte ich mir von Ihnen erbitten.«

      »Es hat Ihnen gefallen? Ja, kann man es denn singen?«

      »Das kann man schon, freilich nicht in jedem Konzert. Ich möchte es aber gern für mich haben, für den Hausgebrauch[28]

      »Ich will es Ihnen abschreiben. Aber warum wollen Sie es haben?«

      »Weil es mich interessiert. Es ist ja wirklich Musik, das Lied, das wissen Sie doch selber!« Es sah mich an, und mich plagte seine Art, Leute anzusehen. Er blickte mir ganz gerade ins Gesicht, völlig unbekümmert studierend, und seine Augen waren voll Neugierde.

      »Sie sind jünger, als ich gedacht hätte. Sie müssen doch schon viel Schmerz erfahren haben.«

      »Ja«, sagte ich, »aber ich kann nicht davon sprechen.«

      »Das sollen Sie auch nicht, ich will Sie doch nicht ausfragen.«

      Sein Blick verwirrte mich, auch war er eine Art von Berühmtheit und ich noch ein Schüler, so dass ich mich nur schwach und schüchtern zur Wehr setzen konnte, obgleich mir seine Art zu fragen gar nicht gefiel. Hochmütig war er nicht, aber irgendwie verletzte er mir das Schamgefühl, ohne dass ich mich mehr als leise abwehren konnte, denn es kam doch auch kein rechter Widerwille in mir auf. Ich hatte das Gefühl, er sei unglücklich und habe eine ungewollt gewaltsame Art, die Menschen anzufassen, als wolle er ihnen etwas entreißen, was СКАЧАТЬ



<p>27</p>

mit einem Kompliment grüßen – приветствовать поклоном

<p>28</p>

für den Hausgebrauch – для домашнего употребления