Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке. Герман Гессе
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Читать онлайн книгу Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке - Герман Гессе страница 11

СКАЧАТЬ stieß an, lachte, zog mich ein wenig auf, und bald kam eine von gutem Wein erhöhte Tafelfröhlichkeit zustande, der ich mich erlöst hingab. Ich war lange nimmer auf diese Weise vergnügt und entlastet gewesen, eigentlich seit einem Jahr nicht mehr. Jetzt tat mir Gelächter und Wein, Gläsergeläut, Stimmenwirrnis und der Anblick einer schönen fröhlichen Frau verschüttete Tore zur Freude auf, und ich glitt weich hinüber in die losgebundene Heiterkeit leichter und lebhafter Gespräche und lachender Mienen.

      Früh stand man von der Tafel auf und kehrte ins Musikzimmer zurück, wo sich das Gelage mit Wein und Zigaretten in alle Ecken verteilte. Ein stiller Herr, der wenig geredet hatte und dessen Namen ich nicht wusste, kam zu mir und sagte mir freundliche Worte über die Sonate, die ich ganz vergessen hatte. Dann zog mich die Schauspielerin ins Gespräch, und zu uns setzte sich Muoth. Wir tranken abermals auf gute Freundschafft, und plötzlich sagte er funkelnd mit seinen düster lachenden Augen: »Ich weiß jetzt Ihre Geschichte.« Und zu der Schönen: »Er hat sich beim Rodeln die Knochen gebrochen, einem hübschen Mädel zu lieb.« Und wieder zu mir: »Das ist schön. Im Augenblick, wo die Liebe am schönsten ist und noch keinen Fleck hat, kopfüber den Berg hinunter. Das ist schon ein gesundes Bein wert.« Lachend leerte er sein Glas und sah wieder dunkel und grübelnd aus, als er sagte: »Wie sind Sie zum Komponieren gekommen?«

      Ich erzählte, von der Knabenzeit her, wie es mir mit der Musik gegangen war, und erzählte vom vergangenen Sommer, von meiner Flucht in die Berge und von dem Lied und der Sonate.

      »Ja«, sagte er langsam. »Aber warum macht Ihnen das nun Freude? Man kann einen Schmerz doch nicht aufs Papier schreiben und damit los sein.«

      »Das will ich auch nicht«, meinte ich. »Ich möchte gar nichts hergeben und los sein als die Schwäche und Unfreiheit. Ich möchte empfinden, dass der Schmerz und die Freude aus der gleichen Quelle kommen und Bewegungen derselben Kraft und Takte derselben Musik sind, jedes schön und notwendig.«

      »Mann«, rief er heftig. »Sie haben doch ein Bein verloren! Können Sie denn das über der Musik vergessen?«

      »Nein, warum? Anders machen kann ich es doch nimmer.«

      »Und macht Sie das nicht verzweifelt?«

      »Es freut mich nicht, das können Sie mir glauben, aber ich hoffe, zum Verzweifeln bringt es mich nimmer.«

      »Dann sind Sie glücklich. Ich gäbe zwar kein Bein her um so ein Glück. Also so ist das mit Ihrer Musik? Sieh, Marion, das ist der Zauber der Kunst, von dem soviel in Büchern steht.«

      Zornig rief ich ihn an: »Reden Sie doch nicht so! Sie selber singen doch auch nicht bloß um Ihre Gage, sondern haben ein Freude und einen Trost daran! Warum verspotten Sie mich und sich selber? Ich finde das roh.«

      »Still, still!« machte Marion, »sonst wird er bös.«

      Muoth sah mich an. »Ich werde nicht böse. Er hat ja ganz recht. Aber das mit dem Bein kann nicht so schlimm sein, sonst würden Sie das Musikmachen nicht darüber trösten. Sie sind ein zufriedener Mensch, denen kann passieren was will, und Sie bleiben doch zufrieden. Aber ich habe nicht daran geglaubt.«

      Und er sprang auf, ganz zornig. »Und es ist auch nicht wahr! Sie haben ja das Lawinenlied komponiert, das ist kein Trost und keine Zufriedenheit, sondern Verzweiflung. Hören Sie!«

      Er war plötzlich am Flügel, es wurde stiller im Zimmer. Er fing zu spielen an, verwirrte sich, ließ dann die Einleitung weg und sang das Lied. Er sang es jetzt anders als damals bei mir, und ich konnte sehen, dass er es seither manchmal vorgehabt habe. Auch sang er diesmal mit voller Stimme, mit seinem hohen Bariton, den ich von der Bühne kannte, und dessen Kraft und strömende Leidenschafft die ungeklärte Härte seines Gesangs vergessen machte.

      »Das hat dieser Mann, wie er sagt, rein zum Vergnügen geschrieben, er weiß nichts von Verzweiflung und ist mit seinem Los unendlich zufrieden!« rief er und zeigte auf mich, und ich hatte Tränen der Scham und des Zorns in den Augen, sah alles in Schleiern wanken und stand auf, um ein Ende zu machen und fortzugehen.

      Da hielt mich eine feine, doch kräftige Hand und drückte mich in den Sessel zurück, und strich mir leise und zärtlich über das Haar, dass mich feine heiße Wellen bespülten, dass ich die Augen schloss und die Tränen verbiss. Aufschauend sah ich alsdann Heinrich Muoth vor mir stehen, die andern schienen meine Bewegung und die ganze Szene nicht beachtet zu haben, sie tranken Wein und lachten durcheinander.

      »Sie Kind!« sagte Muoth leise. »Wenn man solche Lieder geschrieben hat, ist man doch über so etwas hinaus. Aber es tut mir leid. Da hat man einen Menschen gern, und kaum ist man mit ihn zusammen, so fängt man Händel mit ihm an[36]

      »Es ist gut«, sagte ich befangen. »Aber ich möchte jetzt heimgehen, das Schönste von heute haben wir doch gehabt.«

      »Gut, ich will Sie nicht nötigen. Wir andern betrinken uns jetzt noch, denke ich. Dann seien Sie so gut und nehmen Sie die Marion mit heim, gelt? Sie wohnt am Innern Graben, das ist für Sie kein Umweg.«

      Die schöne Frau sah ihn einen Augenblick prüfend an. »Ja, wollen Sie?« Sagte sie dann zu mir, und ich stand auf. Wir nahmen nur von Muoth Abschied, im Vorzimmer half uns ein Lohndiener in die Mäntel[37], dann erschien verschlafen auch die kleine Alte und leuchtete mit einer großen Laterne durch den Garten zur Pforte. Der Wind ging immer noch weich und laulich, trieb lange schwarze Wolkenzüge dahin und wühlte in kahlen Baumkronen.

      Ich wagte nicht, der Marion den Arm zu geben, sie aber hängte ungefragt bei mir ein, sog Nachtluft mit zurückgeworfenem Kopfe ein und sah dann aus solcher Höhe fragend und vertraulich auf mich herab. Mir war, ich fühle immer noch ihre leichte Hand auf meinen Haaren, sie ging langsam und schien mich führen zu wollen.

      »Dort stehen Droschken«, sagte ich, denn es war mir peinlich, dass sie sich meinem lahmen Schritt anbequemen sollte[38], und ich litt darunter, neben der warmen, kraftvoll schlanken Frau einherzuhinken.

      »Nein«, meinte sie, »wir wollen noch eine Straße weit gehen.« Und sie gab sich Mühe, recht langsam zu gehen, und wenn es nur auf mein Verlangen angekommen wäre, ich hätte sie noch enger an mich gezogen. So aber zerriss ich Qual und Zorn, ich machte ihren Arm aus meinem los, und als sie mich erstaunt ansah, sagte ich: »Es geht nicht gut so, ich muss allein gehen, verzeihen Sie.« Und sie ging sorgsam und mitleidig neben mir, und mir fehlte nichts als ein aufrechter Gang und das Bewusstsein der körperlichen Sicherheit, so hätte ich von allem, was ich tat und sagte, das Gegenteil gesagt und getan. Ich wurde still und schroff, es war nicht anders zu machen, sonst hätte ich wieder Tränen in die Augen bekommen und mich danach gesehnt, ihre Hand auf meinem Kopf zu fühlen. Am liebsten wäre ich in die nächste Seitengasse entflohen. Ich wollte nicht, dass sie langsam ging, dass sie mich schonte, dass sie Mitleid mit mir hatte.

      »Sind Sie ihm böse?« fing sie schließlich an.

      »Nein. Es war dumm von mir. Ich kannte ihn ja noch kaum.«

      »Es tut mir leid, wenn er so ist. Er hat Tage, wo man ihn fürchten muss.«

      »Sie auch?«

      »Ich am meisten. Dabei tut er niemand weher als sich selber. Er hasst sich manchmal.«

      »Ach, er macht sich interessant!«

      »Was sagen Sie?« rief sie erschrocken.

      »Dass er ein Komödiant ist. Was braucht er sich und andere zu verhöhnen? Was braucht er die Erlebnisse und Geheimnisse СКАЧАТЬ



<p>36</p>

Händel anfangen – затеять ссору

<p>37</p>

in den Mantel helfen – подать пальто

<p>38</p>

dass sie sich meinem lahmen Schritt anbequemen sollte – что она должна была приспособиться к тому, что я хромаю