Название: Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке
Автор: Герман Гессе
Издательство: КАРО
Жанр: Зарубежная классика
Серия: Moderne Prosa
isbn: 978-5-9925-0881-9
isbn:
»Nur nicht so schüchtern!«, rief er mir zu, ohne das Spiel zu unterbrechen, und wir spielten das Ganze durch.
»So, es geht ja!«, sagte er, »Schad, dass Sie keine bessere Geigen haben. Tut aber nichts. Das Allegro nehmen wir dann aber ein bissel schneller, dass man’s nicht für einen Trauermarsch anschaut. Los!«
Und da spielte ich nun neben dem Virtuosen ganz zutraulich meine Noten herunter, meine einfache Geige klang mit seiner kostbaren zusammen, als müsse es so sein, und ich war erstaunt, den apart aussehenden Herrn so zwanglos, ja naiv zu finden. Als ich warm geworden und etwas zu Mut gekommen war[33], fragte ich ihn zögernd nach seinem Urteil über meine Komposition.
»Da müssens ein andern fragen, lieber Herr, ich versteh nit viel davon. Ein bissel sonderbar ist’s schon, aber das haben die Leut ja gern. Wann’s dem Muoth gefällt, könnens sich schon was einbilden, der frisst nicht alles.«
Er gab mir Ratschläge wegen des Spiels und zeigte mir einige Stellen, denen Änderungen not taten. Dann wurde auf morgen eine weitere Probe verabredet, und ich konnte gehen.
Es war mir ein Trost, diesen Geigenmann so einfach und bieder zu finden. Wenn der zu Muoths Freunden gehörte, konnte ich dort zur Not auch bestehen. Freilich war er ein fertiger Künstler und ich ein Anfänger ohne große Aussichten. Leid tat mir nur, dass niemand sich so offen über meine Arbeit äußern wollte. Das härteste Urteil wäre mir lieber gewesen als diese gutmütigen Sprüche, die nichts sagten.
Es war in jenen Tagen bitter kalt, man konnte es kaum erheizen. Meine Kameraden liefen eifrig Schlittschuh. Es jährte sich seit unserem Ausflug mit Liddy. Für mich war das keine gute Zeit, und ich freute mich auf den Abend bei Muoth, ohne mir sonst viel davon zu versprechen, nur weil ich solang keine Freunde und keine Fröhlichkeit mehr gesehen hatte. In der Nacht vor dem elften Januar erwachte ich an einem ungewohnten Geräusch und einer fast erschreckenden Wärme der Luft. Ich stand auf und ging ans Fenster, verwundert, dass es nimmer kalt war. Da war plötzlich der Südwind gekommen, es wehte gewaltig feucht und lau, in der Höhe schob der Sturm große schwerfällige Wolkenzüge vor sich über den Himmel, an dem in schmalen Lücken einzelne Sterne sonderbar groß und blendend strahlten. Die Dächer hatten schon schwarze Flecken, und am Morgen, als ich ausging, war aller Schnee vergangen[34]. Die Straßen und Gesichter sahen seltsam verändert aus, und über allem schwamm ein verfrühter Hauch von Frühling.
Ich ging an jenem Tage in einem leisen fieberhaften Rausch umher, teils wegen des Südwindes und der gärenden Luft, teils in großer Erregung und Erwartung des Abends. Oftmals nahm ich meine Sonate vor und spielte Stücke daraus, und warf sie wieder weg. Bald fand ich sie wahrhaft schön und hatte meine stolze Freude an ihr, bald kam sie mir plötzlich kleinlich, zerrissen und unklar vor. Ich hätte diese Aufregung und Bangigkeit nicht lange ertragen. Schließlich wusste ich nimmer, ob ich mich auf den herankommenden Abend freue oder fürchte.
Er kam dennoch, ich zog den Gehrock an, nahm meinen Geigenkasten mit und suchte Muoths Wohnung auf. Weit in der Vorstadt in einer unbekannten und unbegangenen Straße fand ich in der Dunkelheit mit Mühe das Haus, es lag allein in einem großen Garten, der verfallen und ungepflegt erschien, hinter der unverschlossenen Gartentür fiel ein großer Hund mich an, der von einem Fenster her zurückgepfiffen wurde und murrend mich zum Eingang begleitete. Hier empfing mich eine alte kleine Frau mit ängstlichen Augen, nahm mir den Mantel ab und führte mich durch einen hell erleuchteten Korridor hinein.
Der Geigenspieler Kranzl wohnte sehr nobel, und ich hatte erwartet, es auch bei Muoth, der für reich galt, ziemlich glänzend zu finden. Nun sah ich zwar große, weite Räume, viel zu groß für einen Junggesellen, der wenig zu Hause ist, sonst aber alles sehr einfach, oder eigentlich nicht einfach, sondern zufällig und ungeordnet. Die Möbel waren zum Teil alt und schienen zum Hause zu gehören, dazwischen standen neue Sachen, wahllos gekauft und ohne Sorgfalt aufgestellt. Glänzend war nur die Beleuchtung. Es brannte kein Gas, statt dessen eine große Menge weißer Kerzen in einfachen, schönen Zinnleuchtern, im Hauptraume auch eine Art Kronleuchter, ein schlichter Messingring mit vielen Kerzen besteckt. Hier stand als Hauptstück ein sehr schöner Flügel.
In dem Zimmer, in das ich geführt wurde, standen einige Herren im Gespräch beisammen. Ich stellte meinen Kasten ab und grüßte, einige nickten und wandten sich wieder zueinander, ich stand fremd da. Nun kam Kranzl, der bei ihnen war und mich nicht gleich beachtet hatte, zu mir, gab mir die Hand, stellte mich seinen Bekannten vor und sagte: »Das ist unser neuer Geiger. Haben Sie auch die Geigen mitgebracht?« Dann rief er ins Nebenzimmer hinüber: »Du, Muoth, der mit der Sonaten ist da.«
Jetzt kam Heinrich Muoth herein, begrüßte mich sehr freundlich und nahm mich mit ins Flügelzimmer, wo es festlich und warm aussah und eine schöne Frau im weißen Kleid mir ein Glas Sherry[35] einschenkte. Es war eine Schauspielerin vom Hoftheater, übrigens sah ich zu meinem Erstaunen sonst keinen Kollegen des Hausherrn eingeladen, auch war sie die einzige Dame.
Als ich mein Gläschen halb in Verlegenheit, halb in unwillkürlichem Wärmebedürfnis nach dem feuchten Nachtgang rasch ausgetrunken hatte, schenkte sie mir wieder ein und ließ meine Abwehr nicht gelten: »Nehmen Sie nur, es kann nichts schaden. Wir kriegen nämlich erst nach der Musik etwas zu essen. Sie haben doch die Geige mitgebracht und die Sonate?«
Ich gab spröde Antwort und war befangen, wusste auch nicht, in welchem Verhältnis sie zu Muoth stehe. Sie schien die Hausfrau zu machen und war übrigens eine Augenweide, wie ich denn auch in der Folge meinen neuen Freund stets nur mit exemplarisch schönen Frauen Umgang pflegen sah.
Indessen sammelten sich alle im Musikzimmer, Muoth stellte ein Notenpult aus, man setzte sich, und bald war ich mit Kranzl mitten in der Musik. Ich spielte, ohne es zu fühlen, es kam mir miserabel vor, und nur wie jagendes Wetterleuchten überflog mich zwischenein je und je für Sekunden das Bewusstsein, dass ich hier mit Kranzl spiele, und dass das der zag erwartete große Abend sei, und dass da eine kleine Gesellschafft von Kennern und verwöhnten Musikern sitze, denen wir meine Sonate vorspielten. Erst während des Rondos begann ich zu hören, dass Kranzl herrlich spielte, doch war ich immer noch so befangen und außerhalb der Musik, dass ich ununterbrochen an anderes dachte und mir plötzlich einfiel, dass ich Muoth noch gar nicht zum Geburtstag gratuliert habe.
Nun war die Sonate ausgespielt, die schöne Dame erhob sich, gab mir und Kranzl die Hand und öffnete die Tür zu einem kleineren Zimmer, wo uns ein gedeckter Tisch mit Blumen und Weinflaschen erwartete.
»Endlich!« rief einer von den Herren. »Ich bin schier verhungert.«
Die Dame meinte: »Sie sind doch ein Scheusal. Was soll der Komponist denken?«
»Welcher Komponist, ist er denn da?«
Sie zeigte auf mich. »Da sitzt er.«
Er sah mich an und lachte. »Das hättet ihr mir auch vorher sagen können. Übrigens, die Musik war recht schön. Nur, wenn man Hunger hat – «
Wir begannen zu essen, und kaum war die Suppe weg und der weiße Wein eingeschenkt, da tat Kranzl einen Trinkspruch auf den Hausherrn und dessen Geburtstag. Muoth erhob sich gleich nach dem Anstoßen: »Lieber Kranzl, wenn du gedacht hast, ich würde jetzt eine Rede auf dich halten, hast du dich getäuscht. Wir wollen überhaupt keine Reden mehr halten, ich bitte drum. Die einzige, die vielleicht nötig ist, nehme ich hiermit auf mich. Ich danke unserem jungen Freund für seine Sonate, die ich famos finde. Vielleicht wird unser Kranzl einmal froh sein, wenn er Sachen von ihm zu spielen kriegt, СКАЧАТЬ
33
zu Mut kommen – набраться мужества, храбрости
34
war aller Schnee vergangen – весь снег сошел
35
Sherry – шерри, алкогольный напиток