Название: Kompetenzentwicklung im Netz
Автор: Werner Sauter
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783737518895
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Nun bieten die meisten Psychotherapieverfahren eigene, zuweilen scharf voneinander abgesetzte Erklärungen für ihre Wirkungen an. Dem Betrachter fällt allerdings in der Überschau der unendliche Fülle von speziellen Verfahren und Erklärungsmustern auf, dass sich, unabhängig von ihrem jeweils spezifischen Verständnis im Rahmen einer Therapieschule, bestimmte Phasen bei allen Psychotherapieverfahren wiederfinden lassen. Es sind dies beispielsweise:
(A) Orientierungsphase 1 Die Annahme einer primär nicht‑organischen Verursachung der Symptomatik 5, eines emotional - motivationalen Fehllernens von Bewertungen in fernerer oder näherer Vergangenheit und eines daraus resultierenden aktuellen Fehlverhaltens - stets in einem bestimmten Kultur‑ und damit Wertkontext.
(B) Orientierungsphase 2 Die initiale und fortgeführte therapeutische Setzung von nicht allein verstandesmäßig bewältigbaren, kognitiv dissonanten und deshalb zu starken emotional - affektiven Labilisierungen führenden konflikthaften Situationen, Kommunikationen und Aktionen.
(C) Unzufriedenheitsphase Der aufgrund der Labilisierung erfolgende Eingriff in die lebensgeschichtlich tradierte, im Gedächtnis verankerte Komplementarität von wertend qualifizierendem Emotionssystem und quantifizierendem Kognitionssystem, ein Aufbrechen ihres Zusammenspiels.
(D) Lösungsphase1 Bei Therapieerfolg die Etablierung einer neuen gedächtnismäßigen Verknüpfung, eines neuen Zusammenwirkens von wertend qualifizierendem Emotionssystem und quantifizierendem Kognitionssystem.
(E) Lösungsphase 2 Die Begleitung des gesamten Therapieprozesses durch eine nicht bloß verstandesmäßige Kommunikation von Werten in Form einer Kommunikation von Emotionen und Motivationen.
(F) Produktivphase Eine veränderte Handlungsantizipation, gegründet auf das neu etablierte Zusammenwirken von wertend qualifizierendem Emotionssystem und quantifizierendem Kognitionssystem, und ein dementsprechendes physisches und/oder kommunikatives Handeln.
Die zunehmende Kommunikation der neu interiorisierten Werte außerhalb des Therapiezusammenhangs teils in rationalisierter Form, teils in Form geänderter Emotionen und Motivationen.
Abb. 8 Psychtherapeutischer Interiorisationsprozess
Im einzelnen liefern Beschreibungen zu diesen Grundelementen psychotherapeutischer Prozesse (A) bis (G) weitere wichtige, weiterführende Aufschlüsse zum generellen Interiorisationsprozess von Werten und damit zum Aneignungsprozess von Kompetenzen, wie sie aus allgemein emotions- und motivationspsychologischer Sicht in den Punkten (a) bis (g) bereits gewonnen wurden.
Zu (A): Der Verweis auf die individuelle Wertgeschichte betont, dass Werte und Kompetenzen in sehr unterschiedlichen lebensgeschichtlichen Abschnitten (frühe Kindheit, Adoleszens, Stufen des Erwachsenenalters) – im Sinne einer Wert- und Kompetenzbiografie [12] - gewonnen werden und dass entsprechend unterschiedliche Labilisierungsmechanismen und Labilisierungsquellen für das emotional – motivationale Lernen wie “Fehllernen” verantwortlich gemacht werden können (Sexualität / elementares Triebgeschehen, kulturelle Adaptation, soziale Adaptation, instrumentelles und kommunikatives Handeln). Das schlägt sich in sehr unterschiedliche Theorien über die Ursachen psychischer Störungen und in entsprechenden Psychotherapieverfahren nieder.
Zu (B):
Die Labilisierung erweist sich auch hier als das zentrale Wirkmoment jedes Psychotherapieverfahrens. [13] Entsprechend vielfältig sind die angewandten Methoden der bewussten emotional-motivationalen Setzung von Konflikten. So können Gegenstandskonflikte (z.B. Konfrontation mit emotional stark, z.B. aversiv bewerteten Objekten), Instanzenkonflikte (z.B. Simulation konfliktgeladener Sozialstrukturen) und vor allem Kommunikationskonflikte gesetzt werden. Kommunikationskonflikte sind alsinterne Konflikte (Zwiesprache mit der Erinnerung, Übertragungseffekte), Partnerkonflikte (vornehmlich mit dem Therapeuten), Gruppenkonflikte (etwa in Therapiegruppen) und medial vermittelte Konflikte (z.B. in Musik-, Mal-, Bibliotherapie) möglich, wobei diese Formen vielfältig ineinander laufen. Alle solche Konfliktformen sind auch außerhalb des therapeutischen Bezugs wertsetzend und kompetenzverändernd! Eines der entscheidenden Ergebnisse moderner Psychotherapie – Wirkungsforschung scheint uns die Einsicht, dass Psychotherapieverfahren umso wirksamer sind, je stärker die entsprechende Labilisierung greift. [14]
Zu (C) und (D):
Das “Aufbrechen” und neues Zusammenwirken von wertend qualifizierendem Emotionssystem und quantifizierendem Kognitionssystem ist nach der Labilisierung eine weitere Stufe jedes emotional - motivationalen Lernens. Dazu existiert eine umfangreiche Literatur. Unterschiedlichen Annahmen über die “Mechanismen” emotional - motivationalen Lernens sind mit unterschiedlichen Methoden der Psychotherapie verknüpft. Sie lassen sich nicht einmal andeutungsweise aufzählen. Stattdessen sind zwei grundlegende Unterschiede anzusprechen.
Zum einen unterscheiden sich die Annahmen über die zugrundeliegenden psychophysischen Strukturen. Dass wertend qualifizierendes Emotionssystem und quantifizierendes Kognitionssystem existieren und sich funktionell unterscheiden, unterliegt kaum Zweifeln. Wie diese Systeme aber realisiert sind, ist Gegenstand von Forschung und Diskussion. Insbesondere wird gefragt: Sind die unterschiedlichen “Schichtenstrukturen”, die in psychotherapeutischen Theorien, Motivations‑ und Persönlichkeitstheorien postuliert werden (von den unterschiedlichsten “Motivationsfaktoren” und “Bedürfnishierarchien” bis zu den Topologien Freuds und seiner Nachfolger, das Unbewusste eingeschlossen) wirklich “hardwaremäßig” realisiert? Oder stellen sie eher Metaphern unaufschließbarer psychischer Komplexität dar? “Mechanische” Ansätze neigen zur ersteren, selbstorganisative zur letzteren Erklärungsart.
Zum anderen, und damit verbunden, spielt eine entscheidende Rolle, ob psychische Prozesse eher “mechanisch” oder eher selbstorganisativ erklärt werden [15] Es handelt sich in beiden Fällen um kausale Erklärungen - jedoch mit sehr unterschiedlichen Erwartungen an Prozessverlauf und Erklärungsanspruch. [16] Die Annahme von Akausalität würde jede gezielte Therapie schlicht unmöglich machen und keinerlei Kriterium von Wissenschaftlichkeit genügen. [17] Bei der ersten Erklärungsart wird bei definiertem, punktuell labilisierendem Setting und näher zu erforschenden (“intervenierenden”) Variablen des therapierten Individuums ein zumindest statistisch klar beschreibbarer Erfolgs - Output erwartet. Das ist der an behavioristische Erklärungsmuster anknüpfende - und fraglos sehr erfolgreiche - Weg von verhaltenstherapeutischen Ansätzen. Bei der letzten Erklärungsart wird die psychische Komplexität des Individuums, seine Ganzheit - das Selbst - in den Vordergrund gerückt. Die Labilisierung trifft seine ganze psychische Komplexität, oder doch hinreichend komplexe Teilbereiche, um die ausgelösten Prozesse mit dem Instrumentarium der Selbstorganisationstheorie zu beschreiben. Solche Ansätze erweisen sich gerade in letzter Zeit als zunehmend erfolgreich. [18] Das Ergebnis sind СКАЧАТЬ