Название: Für ein Leben unter den Flügeln der Seele - Die heillose Kultur - Band 1
Автор: Dr. Phil. Monika Eichenauer
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783844217711
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Die klassische Medizin behandelt mittels des Descartes’schen Paradigma blaue Flecke, gipst Knochenbrüche zusammen, versorgt Wunden aller Art, sammelt messbare Parameter im Körper, ohne groß danach zu fragen, woher sie stammen und wie sie über das medizinisch-körperliche Erklärungsmodell hinaus erklärt werden könnten. Seelische und körperliche Verletzungen, bei denen solche Symptome nicht mehr zu sehen sind und über deren psychischen und seelischen Ursachen und Zusammenhängen inzwischen viele Jahre lang „Gras“ gewachsen ist, finden sich heute nicht wieder zuerkennen in medizinischen Diagnosen, die die Geschichte des einzelnen Menschen namenlos codiert und anonym kategorisiert, geschichts- und erkenntnislos für Medizin und Individuum ins so genannte individuelle und kulturelle „Unbewusste“ zurückfallen lassen. Nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Dann kann auch alles so bleiben wie es war und ist. Bei dem cartesianischen Ausgangspunkt der Medizin – auf den jeder naturwissenschaftliche Mediziner stolz ist und sich von Kollegen, die anderer Meinung und anderen, nämlich geisteswissenschaftlichen Geistes, sind, abwendet! – wundert es nicht, dass jährlich immer mehr Diagnosen in Form von Differentialdiagnosen auf rein körperlicher Ebene hinzutreten, ohne das adäquate Behandlungen im Sinne der Heilung von Patienten angeboten werden können. Differenzierung bis zur Erkenntnislosigkeit. Die klassische Medizin wird und ist Zulieferer der Pharmazie, die für Symptome Mittel ersinnt, um sie unsichtbar und nicht fühlbar zu machen, sprich, Menschen dopt. Der Mensch, seine Psyche und Seele werden nochmals zurückgedrängt: Damit soll er nun endgültig glauben, dass das, worunter er leidet, nichts mit seinem Leben in der Gesellschaft, in der er lebt, zu tun hat. Lebensgeschichte und Vergangenheit werden ebenso bedeutungslos wie der einzelne Mensch. Was Menschen zu ihren Krankheiten fühlen, wird als nicht interessant im medizinischen und gesellschaftlichen Leben berücksichtigt. Es sei denn, man verarbeitet Leiden in der Literatur, schreibt einen Roman, den man auf Gefühle, Befindlichkeiten, Gedanken, Erlebnisformen oder Weisheit fokussiert. Hier gäbe es viele sehr unterschiedliche Beispiele zu nennen und daher unterlasse ich es aus diesem Grunde. Diese persönlichen Mitteilungen in Romanen werden als Kunst oder Ausnahmeerscheinungen, aber nicht als gesellschaftlich relevante gültige Diagnostik eingestuft und bleiben als solche vor dem Gesundheitswesen stehen. Damit, ohne nun die eigentliche Intention von Autoren zu beurteilen, wird Geld verdient. Und/oder ein weiterer Zweig von vermeintlicher Konkurrenz zu Psychoanalyse und Psychotherapie initiiert, wie es bezüglich des Romans „Die Schopenhauer-Kur“ von Irvin D. Yalom in Bezug auf Philosophische Beratungspraxen heißt.
Ratio zählt, Gefühl ist unwissenschaftlich und vor allen Dingen „weiblich“ und nicht wirklich ernst zu nehmen, wenn es um gesellschaftliche und wirtschaftliche Belange geht.
Gefühl ist Privatsache. Man benutzt es zum Geldverdienen, aber nicht um die Welt besser werden zu lassen, indem man sie bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen gleichrangig zu anderen Entscheidungsfaktoren einbezieht.
Krankengeschichte ist Symptom- und Parametergeschichte, in der Menschen sich weder wieder erkennen noch aus der heraus sie sich selbst begreifen oder Zusammenhänge zwischen sich, ihrem Erleb(t)en und der Gesellschaft stiften können. Das ist Arztsache! Und der Arzt vergisst individuelle Gefühle seiner Patienten. So weiß der Mensch im Laufe seines Lebens immer weniger von sich selbst, statt mehr. In Familien wird von Älteren totgeschwiegen, was notwendigerweise gesagt werden sollte, damit es den jüngeren wohlergehe. Irgendwann erzählen Menschen ihr Leben entlang von Diagnosen, Symptomen und Befunden – dem Geländer des Descartes’schen Paradigmas in der Klassischen Medizin.
Dennoch gibt es Menschen, die sich für Zusammenhänge interessieren und ihre Einsichten wie Erkenntnisse unter einem anderen Blickwinkel, und ohne ihre Gefühle zu verstecken, mitteilen. Vergangenheit und Lebensgeschichte haben viele Dimensionen. Ebenso viele wie Mittel, diese persönliche Geschichte zu verdecken. Insofern gäbe es eine Vielzahl von Vergangenheitsbewältigungsdimensionen. Die gängigste ist, immer wieder das gleiche Muster von emotionalem Erleben mit allen Konsequenzen leben zu müssen, weil sie nicht gewusst und bewusst wird. Eine andere Dimension von Vergangenheitsbewusstsein bietet die Folgende:
Thomas Buergenthal, heute Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, hat als kleiner Junge mit eigenen Augen gesehen und erlebt, was im KZ geschah. Er kann sich bis heute nicht mit derartigen Bildern konfrontieren. Er kann nicht hinschauen, weil sie die Gefühle von damals wecken, wie er in einem Fernsehinterview anlässlich der Vorstellung seines Buches „Ein Glückskind. Wie ein kleiner Junge zwei Ghettos, Auschwitz und den Todesmarsch überlebte und ein zweites Leben fand“ unter starker emotionaler Betroffenheit mitteilte. Es habe ihn schon während des Schreibens unendlich viel Kraft gekostet, sich mit seiner Vergangenheit und dem Erlebten zu konfrontieren. Freunde hatten ihn eingeladen, den Film „La Vita è bella“ zu sehen. Er musste das Kino verlassen, weil das filmische Material ihn emotional direkt in seine eigenen Erlebnisse der Nazizeit katapultierte. Worum geht es in dem Film? „Das Leben ist schön“ ist ein Film von Roberto Benigni aus dem Jahr 1997: Ein Vater schützt seinen Sohn mit Geschichten und Phantasie vor der grausamen Realität eines Konzentrationslagers. Er macht ihm glaubhaft, dass es für die KZ-Häftlinge, die der Vater als Mitbewerber im Spiel erscheinen lässt, Punkte zu sammeln gilt und der Gewinner einen Panzer als Preis erhält. Schließlich fährt der kleine Junge auf einem Panzer – mit den Siegern – aus dem KZ heraus. Er hat die Grausamkeiten nie als Wirklichkeit wahrgenommen, für ihn war alles Spiel – der Vater ist kurz vor der Befreiung durch die Amerikaner von den Nazis erschossen worden. Auf seiner Fahrt auf dem Panzer erkennt er in einem Zug von Flüchtlingen seine Mutter. Bevor der Junge und die Mutter erfahren, dass der Vater tot ist, ist der Film zu Ende.
Ein denkwürdiger Film, in dem auf wundersame Weise die Wirksamkeit von Idealisierung und Verleugnung als Abwehrmechanismus filmisch umgesetzt wird und als Liebe eines Vaters zu seinem Sohn erscheint. Würde man den Film nun in der Realität filmisch für den kleinen Jungen hinsichtlich der Folgen umsetzen, wäre es fraglich, welche Gefühle er zu realisieren hätte, dass sein Vater erschossen wurde, während er, der kleine Junge, als Sieger des Spiels das KZ verlässt. Vielleicht würde auch er reagieren wie Thomas Buergenthal. Dieser kann sich nicht konfrontieren mit Bildern aus jener Hitler-Zeit, weil es ihn emotional zu sehr mitnimmt. Er ist sensibilisiert für das Leid, aber genau dadurch sensibilisiert für Recht und Unrecht, deren Einhaltung er zu seinem Berufsinhalt wählte – wenn diese Erfahrungen nicht als direkte Berufung zu verstehen sind. Das Leid wurde ihm zur Triebfeder in seinem Beruf, was keine Selbstverständlichkeit, aber auch keine Seltenheit ist. Erfahrungen werden auf viele verschiedene Arten und Weisen verarbeitet. So können negative Erfahrungen auch emotional verdreht als heilbringend, also gut, deklariert werden, wie Alice Miller schrieb, wenn nicht benannt werden darf, was bestimmte Erfahrungen tatsächlich bedeutet haben! Das „Wie“ oder die „Art und Weise“ wird zum alten Trägerstoff, der das vermeintlich „Gute“, den „neuen Inhalt“, transportiert. Dann wird Negatives in vermeintlich Positives, so der naive Glaube des Menschen, verkehrt. Diese Nahtstelle ist sehr genau unter СКАЧАТЬ