Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3. Dr. Phil. Monika Eichenauer
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СКАЧАТЬ ruft auch niemand der Betroffenen nach der „roten Karte“, um sich als neues „Opfer“ zur Einordnung ideologischer Kategorien zur Verfügung zu stellen. Das Bewusstsein, dass Menschen nicht viel wert sind, liegt historisch und täglich aktuell und frisch in der Presse als Ergebnis von Bildung dieser Art von Menschlichkeit vor – es müsste eine lange Aufzählung von Normalitäten an dieser Stelle erfolgen, die keine Normalitäten sind. Ein willkürlicher Blick in die Tageszeitung zählt auf: 24 fast verhungerte Kinder vegetierten in Bagdad in einem Waisenhaus. Gewaltserie in Berlin innerhalb einer Woche: Fünf Kinder im Alter von 10 und 11 Jahren schlugen einen Mitschüler in Moabit zusammen; sie filmten das Geschehen auf Handy. In Neukölln wurde ein Lehrer von einem Jugendlichen zusammengeschlagen. An einer anderen Schule in Neukölln wurde ein 15-Jähriger von einem Mitschüler geschlagen – und am Dienstag von zwei schulfremden Jugendlichen bedroht. Ebenfalls am Freitag wurde an einer Realschule in Tempelhof eine Lehrerin von zwei maskierten Jugendlichen mit einer Stahlrute bedroht. Die Täter raubten die Handtasche, in der sie Zeugnisse vermuteten. In Lichtenberg bedrohte ein Schüler eine Lehrerin mit dem Tod, nachdem sie ihm das Handy weggenommen hatte. In Neu Delhi führte ein 15-Jähriger Junge einen Kaiserschnitt im Beisein seiner beiden Arzteltern durch, um ins „Guinnes-Buch der Rekorde“ zu kommen. Der Vater entgegnete empörten Kollegen: „Wieso soll ein 15-Jähriger nicht operieren, wenn 10-Jährige Autofahren können.“ Bombay will den Slum verkaufen – und lockt Anleger mit „Jahrtausend-Geschäft“; die Armen kämpfen um ihre Müllhütten … (Artikel in der Westfälischen Rundschau, 21.6.2007). Angesichts der täglichen Flut solcher Nachrichten fragt man sich doch, welche Wirkungen solche Mitteilungen noch haben. Ist der Mensch überhaupt noch gefragt? Das einzelne kleine Leben interessiert doch gar nicht. Die Zeit, das Leben und alles, was damit zu tun hat, hat der Ökonomie zu folgen: Wir „ticken“ alle wie der kapitalistische Wettbewerb es braucht, damit er es schön bequem hat. Dort „Oben“ verlässt man sich darauf, dass es Menschen gibt, die dafür bezahlt werden, das bisschen wieder einzurenken, was unter diesen Umständen an und in Menschen zerbricht. Was sind schon ein paar Millionen von Krankheitssymptomen und Kriegsfolgen betroffener Menschen verglichen mit den großen Ideen und Plänen der Wirtschaft und ihrer Profite. Was bedeuten die Tatsachen des Anwachsens von über 50 % der Kredit- und Scheckkartenkriminalität, das Ansteigen der Drogentoten erstmals wieder seit 2000 und dass Deutschland zum Anbauland von Haschisch werde sowie, dass täglich mehr als eine fremdenfeindlich motivierte Gewalttat in Deutschland begangen werde? (vgl. Ruhr-Nachrichten, 29.3.2008) Diese Entwicklungen sind eher als Abbau von Kultur und Werten im Menschen zu verstehen, denn als Ausweis eines Landes, in dem es Grund zur Zuversicht gäbe.

      Prognostisch wäre zu sagen, solange aber die persönliche Vergangenheit im Einzelnen nicht aufgearbeitet wird, werden sich gesellschaftliche Verhältnisse weiter zuspitzen, statt sich zum Positiven zu verbessern. Diese Art von Abstumpfung und Akzeptanz von Normalität durch ständige Hiobsbotschaften von menschlichem Leid in vielfältiger Form, muss sensibilisiert werden. Dabei hilft zum einen weniger, noch mehr Leid von anderen zu assimilieren, sondern eigenes emotionales Erleben anzunehmen. Was fehlt, ist eine kulturelle Struktur, in der der Strom dieser persönlichen und emotionalen Erkenntnisse und Reflexionen ein Ufer fände, das Menschen zusammenführt, sie in Kommunikation brächte. Die Etablierung von Anonymität, Entpersönlichung, Distanzierung und bürokratische Verwaltung in unserer Kultur forciert seit langer Zeit Vereinsamung, die als Reaktion Krankheit, Kriminalität und Drogensucht hervorbringt. Obendrein zeigt Deutschland im Straßenbild Menschen, die gleichgültig und desinteressiert wirken. Ob VerkäuferInnen, BeamtInnen, Straßenbahn-, Bus- und BahnschaffnerInnen, alle verbreiten ein Flair von Distanz, Pflichterfüllung, streng und cool an Vorschriften gebunden, nicht bereit auch nur zu einem netten Wort oder Verständnis und Einfühlung, wenn der Ablauf nicht so ist, wie er sein sollte. Beim Einkauf sind Menschen solange umworben und nett angesprochen, solange sich ihr Einkaufswagen noch vor der Kasse befindet. Das ändert sich drastisch, wenn die Waren bezahlt sind. Schnellstens muss eingepackt sein, sonst gibt es böse Blicke von nachfolgenden Kunden oder der Kassiererin. In Deutschland ist man nicht nett und freundlich. Unvergessen ist mir ein älteres Ehepaar, das hilflos und verloren vor einem REWE stand und schon mehrere Menschen angesprochen hatte, ob sie eine Münze tauschen könnten, um aus der miteinander verbundenen Einkaufswagenreihe einen für sich auszulösen. Ich fing einen Blick von ihnen auf und ging zu ihnen. Sie waren völlig überrascht und freuten sich riesig, als ich sie fragte, wie ich ihnen helfen könnte. Ich gab ihnen einen Euro. Berührt erzählten sie, wie sie bereits seit einiger Zeit völlig aufgeschmissen dort gestanden haben: „Das ist ja ungewöhnlich, dass es noch einen Menschen gibt, der mitbekommt, was wir hier gerade erleben......“ Diese Rede berührte mich dann wiederum, weil ich nicht nachvollziehen konnte, dass niemand den beiden geholfen hat.....

      Zum anderen, um wieder den Faden aufzunehmen, ist die Rede von dem Rad der ständigen Wiederholung dessen, was man selbst erlebt hat und dann unreflektiert an Familienmitglieder oder gesellschaftliche Interessengruppen weitergegeben wird. Dieser Mechanismus betrifft jeden Menschen, egal ob „Oben“ oder „Unten“. Insofern betrifft es auch die Ethik und Moral in der Wirtschaft und wer dort aufgrund welcher eigener Erlebnisse welche Entscheidungen fällt. Insofern wird die Erklärung „Weil es ging“ zur gesellschaftlichen Schlüsselerklärung: Warum leben wir in einer solchen Welt? Weil es ging, sie herzustellen! Weil man das alles mit den Menschen machen kann, weil sie nicht zu sich selbst gelangen, sondern von Anpassung, Leistungsdruck, Existenzangst und Vereinzelung kräftemäßig aufgesogen werden. Wie wäre es also dafür zu sorgen, dass es nicht mehr so geht? So friedlich, wie Gandhi es einst vormachte? Die politischen Spitzen haben weltweit für Kontrollen der Menschen im „Unten“ gesorgt.

      Aber was ist mit „Oben“? Hört die ethische und moralische Verpflichtung gesellschaftlich beim Kontostand auf? Wo, bitte schön, ist die Mitte, wo ist der Tisch, an dem, symbolisch gesprochen, alle Platz nehmen können? Demokratie scheint dafür jedenfalls kein Garant zu sein. Da die gewaltsamen, zerstörerischen Auswirkungen gesellschaftlicher Umbrüche wie z.B. durch Kriege bedingt, weiter in erzieherische Maßnahmen getragen werden, die Kindheitserlebnisse für jeden einzelnen Menschen bedingen und ausnahmslos alle Menschen betreffen, und genereller auch das Leben in der Gemeinschaft einer Kultur unbewusst prägen, unabhängig davon, ob der einzelne Mensch reich oder arm ist, ist die Intention, sich mit den Grundlagen des eigenen Handelns und der Psyche zu beschäftigen, gesellschaftlich weitestgehend abgespalten worden. Kein Mensch kann dem eigenen Schatten entrinnen, sei er insgesamt einem Land oder einem einzelnen Menschen zu Eigen. Der Schatten ist unbeliebt und wird blind ausgelebt. Dennoch ist eine Zeit angebrochen, in der Schattenarbeit, generelle Aufarbeitung von Vergangenheit, bewusster geworden ist und erstmalig für viele Menschen möglich wird. Vordringlich scheint mir, ist von Menschen, die als Verantwortungsträger in entscheidenden gesellschaftlichen Positionen sitzen, dieses Thema der Selbstreflexion anzugehen.

      Angezeigt wäre, dass Politiker bei Philosophen, Psychotherapeuten oder Sozialwissenschaftlern eine Supervision absolvierten, um ihr eigenes politisches Handeln zu reflektieren, wenn es in enormem Maße von den Bedürfnissen der Wähler abweicht. Oder sie sich öffentliche Stellungnahmen von zeitgenössischen Geisteswissenschaftlern oder Ökonomen einholten und sie ebenso öffentlich reflektierten. Lieber engagiert man Stilberater, Ghostwriter und Kommunikationstrainer à la „Wie sage ich global alles und nichts“ und sehe dabei gut aus. Medienagenturen, die Texte erarbeiten, die so glatt und glitschig sind wie frisch gefangene Fische, die von Politikern dann vorgetragen werden. Die öffentliche Bühne muss schließlich gut sichtbar für jeden Bürger und vor allen Dingen als irritationslose nachvollziehbar sein. Politik für jedermann, hinter einer Maske verborgen, als wüssten Bürger nicht um Zusammenhänge und die Tatsachen, die unser Leben bestimmen. Der gesellschaftliche Diskurs findet im Geheimen statt – aber nicht zur Läuterung, sondern um nochmals Ideen zum Vorschein zu bringen, die vorangegangene profitabel in den Schatten stellen. Die gesellschaftliche Reflexion kulminiert wieder in der profanen Einteilung von „Guten und Bösen“, die man Interessensgruppen zuspricht und die sich gegenseitig bezichtigen, als hätten sie in sich selbst kein eigenes Reservoire an Gutem und Bösen. Psychotherapeutische Methoden böten eine elegante und amüsantere Darstellung, wie ein Manager oder ein Politiker „so ist“ und СКАЧАТЬ