Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3. Dr. Phil. Monika Eichenauer
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СКАЧАТЬ Abwertung ihrer Profession verunmöglicht, wie ich in Band 2 der Heillosen Kultur beschrieb. Prof. Dr. Rainer Richter (2008) merkt an:

      „Der Einbruch des Wettbewerbs in die Gesundheitsversorgung habe auch für die psychotherapeutische Versorgung Folgen, die man in ihren Auswirkungen noch nicht ermessen könne.“ (Rainer Richter in: Bühring, Petra & Gerst, Thomas: 2008, S. 248).

      Kritisch merkt er an, dass Psychotherapie eher als „Entschleunigung“ zu verstehen ist. Die Forderungen der Ökonomie, auch psychotherapeutische Prozesse zu beschleunigen, sprich kürzer und effizienter zu gestalten, steht im krassen Widerspruch zum Wesen der Psychotherapie, „die sich auch als individuelle Entschleunigung charakterisieren lässt.“ (Ebda, 2008, S. 248).

      Die Änderungen durch die Gesundheitswirtschaft beschleunigen jedoch massiv Problemfelder, die dringend gesellschaftlich in Augenschein genommen und für die Lösungen erarbeitet werden müssen, die ein friedliches Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichem gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund in Deutschland überhaupt gewährleisten könnten!

      Die aktuellen Vorgänge im Gesundheitswesen geben Anlass, das Thema bezüglich der Erschaffung von Sündenböcken aufzugreifen. Die ökonomische Systematik der Gesundheitswirtschaft mittels Wettbewerb sorgt für zahllose neue Sündenböcke, denen man die Schuld für ein Nichtfunktionieren in unterschiedlichen Bereichen systematisch zu schiebt. Nicht Geldknappheit, Fehlen systematischer Zusammenarbeitsstrukturen, Kompetenz- und Verantwortungsklärungen werden in den Fokus gerückt, sondern die Berufsgruppen, die mit den Problemen in ihrem Tätigkeitsfeld befasst und zum Teil überfordert sind. Ärzte sind hier ebenso serienmäßig Opfer wie Psychologische Psychotherapeuten, Sozialarbeiter, Erzieher und andere im sozialen Bereich Tätige.

      Problembereiche, die sich aus Migrationhintergründen in Schulen, an Arbeitsplätzen, in Wohnvierteln und Städten ergeben, streben mit durchdringender Deutlichkeit ebenso wie die durch Globalisierung in Gang gesetzte Verarmung und generell Dauerstress und Existenzängste in die Öffentlichkeit und brechen in die Praxen ein. Offizielle Strukturen, um diesem Schwall von Not, Elend und Ängsten beruflich gerecht zu werden, sind äußerst schwach und brechen im Alltag weg.

      Hinsichtlich der ärztlichen und psychotherapeutischen Profession bedeutet dies permanente Erweiterung von Kompetenz ohne Netz und doppelten Boden, wenn aber was schief geht, sind sie schuldig und unfähig. Würde sich jedoch ein Arzt noch zusätzlich unfreundlich verhalten und sich wenig hilfsbereit Patienten gegenüber zeigen, etwa so, wie ein Blick in die Wirtschaft serienmäßig im Service von Ämtern, in Kaufhäusern und Lebensmittelgeschäften frei gibt, stünde der Vorgang am nächsten Tag in der Zeitung und der ärztliche Ruf stünde zur Disposition.

      Nicht so im Wirtschaftsleben! Hier ist Unterordnung der Kunden mit unmöglichen Terminverschiebungen über Stunden und Tage hinweg, fehlenden, aber zugesagten Lieferungen und Dienstleistungen die neue, selbstverständlich sachliche wie kühle Normalität. Ärzte werden mit anderem Maß, dem Hippokratischen Eid, gemessen, egal, um was es sich handelt. Bürger haben sich der Umkehrung des eigentlichen Inhaltes von Service angepasst. Sie erbringen, was der Dienstleistungsanbieter offerieren müsste. Einkauftüten mit Logo bekommen Kunden nicht kostenlos oder bekommen noch etwas dafür ausgezahlt, dass sie damit Showlaufen gehen, sondern zahlen selbst. Schlecht deutsch sprechendes Personal im Service, ob persönlich oder am Telefon, wo der Kunde am besten selbst mehrere Sprachen beherrscht, damit er denjenigen, den er um Auskunft anfragt oder ihm Auftrag verschaffen möchte, sprachkundig begegnen kann. Telefonische Serviceleistungsanbieter nehmen mit der größten Selbstverständlichkeit Zeit, Geld und Sprachkenntnis der Kunden in Anspruch.

      All das sollten Ärzte nicht tun, um ihren Ruf zu wahren. Bei Kassenpatienten sind lange Wartezeiten inzwischen eine Realität wie Jahrzehnte zuvor Termine im Gesundheitsamt. Kassenbehandlung passt sich Amtsverhältnissen (z.B. vergleichbar mit Arbeitsämtern) zeitlich an – und zwar nicht unbedingt, weil der Arzt das so möchte, sondern weil zum Beispiel regionale Unterversorgung ein Thema ist. Ein weiteres ist, dass Ärzte möglichst viele Patienten aufgrund niedriger Honorarsätze behandeln müssen, um die Praxis halten zu können. Eine generelle Erwartung, die Ge-sundheitswirtschaft im Menschen bemüht ist zu wecken, ist die, das Menschen Gesundheit mitbringen und zusätzlich Gesundheitsleistungen und Gesundheitsprodukte einkaufen! Dies bedeutet, Menschen bringen selbst mit, was Gesundheitswirtschaft als Produkt anbietet: Gesundheit. Je gesünder die Menschen, desto besser der Verkauf und der Rufe von Dienstleistungen in diesem Wirtschaftszweig.

      Wie bereits in Band 2 erwähnt, bot ich in meiner Praxis – dank ausländischer Kollegen – Psychotherapie in zehn verschiedenen Sprachen an. Bis heute gibt es kein vergleichbares Angebot in der Nähe. Ärztliche Kollegen rufen immer noch in meiner Praxis an und fragen nach, ob es in meiner Praxis Behandlungsmöglichkeiten für ausländische Patienten in Muttersprache für gibt. Nach dem Psychotherapeutengesetz versuchte die örtliche KV, diesen Service selbst anzubieten, während meine damalige gut funktionierende Praxisstruktur dem Psychotherapeutengesetz zum Opfer fiel. Der KV Westfalen-Lippe (KVWL) ist es selbst nach neun Jahren nicht gelungen, ein solches Angebot zu schaffen. Jetzt werden Sonderbedarfszulassungen zur Versorgung fremdsprachiger Patienten durch ausländische Psychotherapeuten abgeschafft, wie Bernd Halbe als Rechtsanwalt und Fachanwalt für medizinrecht in seinem Artikel „Sonderbedarfszulassung/Ermächtigung für fremdsprachige Psychotherapeuten?“ Die Begründung des Bundessozialgericht (BSG) offenbarte eine völlig andere Sichtweise wie vorher durch verschiedene Landessozialgerichte (LSG) dargelegt.

      Bern Halbe (2008) teilt mit: „Dabei ist das höchste deutsche Sozialgericht zur genau gegenteiligen Auffassung gelangt, dass nämlich eine Sonderbedarfszulassung oder Ermächtigung speziell für die psychotherapeutische Behandlung von Patienten in einer Fremdsprache nicht erteilt werden könne, weil der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen auch im Falle von Psychotherapie gerade nicht die Gewährleistung einer Verständigung des Therapeuten mit dem Versicherten in dessen Muttersprache umfasse.“ (Bern Halbe, 2008, S. 37).

      Im Prinzip heißt das, Migranten haben nur den Anspruch auf einen Psychotherapeuten im deutschen Gesundheitswesen, aber sie haben keinen Anspruch darauf, dass sie sich sprachlich mit ihm auch verständigen können! Damit dürften Projekte, die bestrebt sind, dies zu ändern, nun endgültig scheitern. So kann eine miserable Versorgung gesetzlich in diesem Sinne verankert nur noch schlechter werden! Wie man sich allerdings vorstellt, das in der psychotherapeutischen und ärztlichen Basis in Praxen und Kliniken hinsichtlich psychoökonomischer Globalisierungsfolgen in Form von Verarmung und Migration wie Integrationsproblemen medizinisch und psychotherapeutische Hilfe angeboten und gearbeitet werden kann, sagt niemand! Einen Forderungskatalog diesbezüglich anzulegen, ist nicht Erfolg versprechend, da es von offiziellen Stellen immer nur eine Standardantwort gibt: Es ist kein Geld da!

      In dem vor kurzem erschienenen Handbuch „Gesundheit und Integration“ (Berlin, 7/2007) durch die „Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration“ teilen Martina Stickan-Verfürth und Sigrid Pettrup in ihrem Beitrag mit: „Das deutsche Gesundheitswesen zählt immer noch zu den besten der Welt – nicht aber zu den einfachsten. Nicht nur für Menschen, die gerade erst nach Deutschland gekommen sind oder noch nicht lange hier leben ist es oft schwer zu verstehen, wie es funktioniert. In Deutschland verfügt mittlerweile jeder achte Einwohner über einen Migrationhintergrund. Trotzdem haben Migrantinnen und Migranten noch immer erhebliche schlechtere Gesundheitschancen als die übrige Bevölkerung. Die notwendige Orientierung im Alltag eines fremden Landes lässt die Vorsorge für die eigene Gesundheit oft in den Hintergrund treten. Hinzu kommen nicht selten kulturelle Barrieren, so dass Ärzte zu spät oder gar nicht aufgesucht werden. Der gleichberechtigte Zugang zur gesundheitlichen Versorgung sollte auch für Migrantinnen und Migranten eine Selbstverständlichkeit sein. Verständliches, kultursensibles und mehrsprachiges Informationsmaterial ist deshalb dringend notwendig.“ (Ebda., 2007, S. 80)

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