Название: Flucht aus dem Morgengrauen
Автор: Marc Lindner
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783745014310
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Doch dann musste er ablegen, Sicherheit ging vor, und es beruhigte mich, dass er sie wohl nicht mit an Bord würde nehmen dürfen.
Als ich nun auf die andere Seite der Absperrung blickte und die Gesellschaft herannahen sah, bedauerte ich es fast, dass die Kamera nun blind war, denn dieser Anblick wäre es wert gewesen, festgehalten zu werden.
Der Dicke und die überdrehte Frau lieferten sich einen stummen Kampf. Beide wollten sie dominant sein, und doch so gelassen wie nur möglich erscheinen, um zu zeigen, dass dies alles für sie alltäglich war.
Dem Dicken schmeckte es nicht, dass ich bereits ohne den geringsten Aufwand alles Nötige hinter mir hatte, und seine Hilfe nicht in Anspruch nehmen musste.
Er sah sich gerne in der Rolle desjenigen, der alles regelte, der die Fäden in Händen hielt, doch diesmal war er zu spät gekommen. Es zerriss ihn, dieses tatenlos hinnehmen zu müssen. Er konnte nicht schneller gehen, sonst hätte er an anderer Stelle Hüllen fallen lassen müssen und wäre dann keuchend hier eingetroffen.
Kleider machen Leute, und er hatte sich zu groß präsentiert, als dass ihn die Seinen nun noch fassen konnten. Wieder fiel mir der Vergleich des Luftballons ein, und ich merkte, wie seine Hülle immer dünner wurde und diese verkraftete keine Risse. Ich musste achtgeben, dieses Spiel war sein Ventil, und ich stand an der Drossel, gab ich zu viel nach, so würden wir wegfliegen, öffnete ich nicht genug, so würde er platzen. Das würde eine spannende Reise werden, und das Abenteuer reiste mit, als blinder Passagier sozusagen. Und blind war er wirklich, dieser Millionär. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre abermals über einen Kieselstein gestürzt. Dabei machten die Angestellten nur ihre Arbeit. Konrad jedoch schien seine Probleme damit zu haben. Wenigstens versuchte er diesmal ruhig zu bleiben, vielleicht, weil er sah, dass ich ihn fast flehend ansah, dass er kein weiteres Aufsehen erregen sollte. Er fühlte wohl, dass er sich über die Dinge stellen musste, damit ich noch zu ihm aufblicken konnte. Mich überzeugte man nicht mit einem brachialen Auftreten, sondern mit Souveränität. Und in dem Moment, als der Dicke den Kloß herunter schluckte, der ihn fast wieder zum Schreien gebracht hätte, wusste ich, dass die erste Runde beendet war.
– 3 – Arztbesuch
Es gab ihn dann doch noch, diesen Kleinkrieg, doch wurde er diesmal sehr manierlich, und nur in Form von einer Papierschlacht ausgefochten.
Doch dieses Gemetzel interessierte mich nicht, und so zog ich mich abseits an eine kleine, dafür aber sehr hohe Fensterfront.
Von dieser Seite aus konnte ich einen riesigen Parkplatz überblicken. Die Startbahn sah ich nicht. Ich spürte nur die starken Vibrationen, wenn Flugzeuge vorbeikamen. Dass die schallisolierten Fenster den Großteil des Lärms schluckten, ließ das Ganze wie einen Traum wirken. So nah, und doch so fern, so als wäre ich selbst gar nicht hier. Ich liebte solche Momente, die Gedanken konnten dann so schön reisen.
Hinten gegen eine graue, unverputzte Betonwand gelehnt, ließ ich meinen Blick draußen über die Dächer der Autos wandern. Da waren sie wieder, die unzähligen Romane der Anderen. Alle warteten sie darauf gelesen zu werden, doch ich konnte es nicht. Die Bücher waren alle verreist. Keine Gesichter, die sie mir erzählen wollten.
Deshalb versuchte ich in mein eigenes Abenteuer zu versinken, doch es fühlte sich noch zu fremd an, und so durchlebte ich einen dieser Augenblicke, in dem die Gedanken auf Reisen gingen, und man, sobald sie wiederkehrten, nicht wusste, wo sie eigentlich gewesen waren.
«Na, wird es dir mulmig?», hörte ich eine warme, angenehme Frauenstimme in meinem Ohr und spürte, wie eine Hand sich freundschaftlich auf meine Schulter legte.
Ich war zu müde, um jetzt noch zu spielen, und wagte es nicht mich umzudrehen.
Auch wollte ich keine Freundlichkeit für eine dieser dunklen und kalten Kameras aufbringen, obwohl ich mir eingestehen musste, dass die Journalistin den richtigen Ton getroffen hatte. Beinahe hätte ich sie nicht einmal erkannt gehabt, wäre da nicht ihre Hand gewesen.
«Bist du eigentlich schon einmal geflogen?», fragte sie weiter und schien sich an meinem Schweigen nicht weiter zu stören.
Langsam, fast resignierend senkte ich den Blick, bevor ich diesen hereinrief.
«Nein, das ist mein erster Flug», sagte ich mit etwas übertrieben lauter und deutlicher Stimme. Doch da fehlte etwas. Wir waren allein. Allein, ohne diese Million Zuschauer auf der Schulter eines einzelnen Mannes, und selbst dieser fehlte.
Verwundert sah ich zu den anderen, die immer noch fleißig Papiere austauschten und unterzeichneten, die drei Mitarbeiter der Frau ungefährlich weit von mir weg und es schien fast als wollte keiner ein Auge für uns beide haben.
Um mir gleich noch mehr Rätsel zu bereiten, trafen sich unsere Blicke nicht, als ich die Frau direkt ansah. Der ihrige ging an mir vorbei nach draußen und ich sah an den Pupillen, die in ihren tiefbraunen Irissen gebettet waren, dass ihre Blicke keinen Halt fanden.
Wie vertraut und doch geheimnisvoll sie mir auf einmal vorkam. Ihre Berührung war fast zu einer Umarmung geworden, als ich mich umgedreht hatte. Und obwohl ich von der Frau wusste wie fordernd, neugierig und überdreht sie war, fühlte es sich angenehm an. Auch wenn es sich dabei um eine Illusion handeln musste, so gönnte ich mir es doch sie zu genießen.
Ich wusste nicht, wie lange wir so dastanden, aber wohl lange genug, als dass in dieser Zeit Kriege entschieden werden konnten.
«Hey, ihr beiden, ausgeträumt, es geht weiter», riss eine kräftige, belustigte Stimme aus weiter Ferne an uns, und ich spürte, wie die Frau kurz zusammenzuckte, bevor sie wieder verhärtete.
«Du wirst es sicherlich mögen», umgarnte sie mich wieder mit ihrem gewinnenden Lächeln, bevor sie zum Millionär davon huschte. Ihre Stimme aber hatte sich nicht so schnell ändern können und so war noch ein letzter Hauch ihrer Zuneigung mitgeschwungen, bevor diese, mitsamt der Wärme auf meiner Schulter, sich in der großen Halle verflüchtigen konnte.
Wieder wollte ich langsam hinter ihnen her schlendern, doch nachdem Konrad einige zugeflüsterte Worte mit ihr ausgetauscht hatte, schien dieser etwas gegen mein Vorhaben einzuwenden zu haben und wartete auf mich.
Als ich mich dann doch noch beeilt hatte und zu ihm gestoßen war, hatte sich die übrige Crew bereits aus meinem Gesichtsfeld entfernt.
«Du musst jetzt nur noch zum Arzt, ein paar Routineuntersuchungen und Impfungen, und schon kann deine Weltreise beginnen», meinte Konrad und war mit allem, und vor allem mit sich selbst zufrieden.
Doch bei diesem Stichwort fiel mir doch gleich etwas ein, was ich geklärt haben wollte.
«Aber muss man die Impfungen nicht eine gewisse Zeit im Voraus haben?», wollte ich mein bescheidenes Wissen ergänzt wissen.
«Mach dir da mal keinen Kopf», sagte er leichtfertig, «das ist alles geregelt», endete er und damit war dieses Thema für mich abgehakt.
Seltsam СКАЧАТЬ