Название: Flucht aus dem Morgengrauen
Автор: Marc Lindner
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783745014310
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Schlimmer gar wurde die nun folgende Nacht. Kein Auge bekam ich zu, unablässig sah ich diesen dicken Mann und neben ihm die fassungslose Frau. Du musst verrückt sein. Ich musste in mein dunkles, nur von der Straßenbeleuchtung erhelltes Zimmer lachen, während ich auf dem Bett lag. Die Arme hinter meinem Kopf verschränkt lag ich da. Und auf einmal konnte ich sie verstehen. Ich war verrückt. Und so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Die letzte Nacht, dann war es da, das neue Leben.
Es störte mich wie die Menschen mir immer auswichen. Wie ein Fisch, den man aus dem Strom zerrte. Mehr waren sie nicht, nur weiter wollten sie, geradeaus. Und dann noch diese Werte, in die sie mich zu zwängen versuchten. In viele passte ich schon lange nicht mehr hinein. Andere füllte ich nicht aus. Es reichte mir, jetzt wollte ich weg. Schnell. Einmal um die Welt, das sollte reichen. Einholen konnten sie mich nicht. Und ich sie auch nicht, denn ich lief in die andere Richtung. Ein Fisch auf Abwegen, deshalb interessierten sich die Medien dafür. Die wollten nicht wissen, was falsch lief. Nur wer anders war, zog sie an. Immer auf die zeigen, die anders waren, wie mich das störte. Standgericht. Verteidigen konnte man sich nicht, keiner würde es verstehen.
Die Nacht selbst war eine Reise, weit kam ich nicht, ich drehte mich immer nur von einer Seite auf die andere. Nur meine Gedanken irrten umher. Viele von ihnen nahm der dicke Mann in Anspruch, und wenn er mal Platz machte, tauchte die Frau auf, mit ihrem erstarrten Gesicht. Und sie machten mir Angst, Angst vor mir selbst. Keiner der mich kannte hätte mir zugetraut eine solche Entscheidung zu fällen, nicht einmal ich. Und noch nie war ich mir bei etwas so sicher gewesen, wie bei diesem Entschluss. Weltreise. Und ich hatte getan als würde ich eine Fahrkarte für den Bus in die Stadt kaufen. Deshalb hatte die Frau mich wohl nicht verstanden. Ich war völlig ruhig geblieben, das war einfach nicht ihre Art. Und sie schloss von sich auf Andere. So taten Menschen das. Hatte ich auch gemacht, früher, aber hatte zu oft merken müssen, dass es nicht klappte, mit diesen Rückschlüssen. Sie waren einfach zu anders, diese Fische. Deshalb sagten sie mir auch immer, ich würde zu viel reden. Und ich war stumm geworden, vereinsamt, inmitten einer Stadt. Hatte mich wie ein Fisch in der Masse versteckt. Doch jetzt war Schluss damit, ich würde einsteigen, beim Schaffner stehen bleiben, einmal um die Welt bitte, und dann ging es los. Ich wollte raus, raus aus dem System, raus aus der Masse, sie erdrückte mich. Endlich wieder allein sein, dann würde das mit dem Einsam sein schnell aufhören. Keiner der versuchte mich zu zensieren, keine Abstriche, nur noch ich. Endlich diese Schuppen loswerden, sie ließen meine Seele vertrocknen. Ich musste raus aus diesem Rennen. Du bist verrückt, erinnerte ich mich wieder an die Frau. Ich lachte, nein ich war normal, nur keiner konnte das sehen.
Wie ich die restliche Nacht und den dann anbrechenden Morgen verbrachte, war mir nicht bewusst.
Kleinigkeiten in meinen Augen, Nichtigkeiten hatte ich noch eilends erledigt. Für den Rest konnte ich die Aufbruchsstunde kaum noch erwarten. Und der Dicke hatte wirklich gewollt, dass ich zwei Wochen hätte warten sollen. Mehr als ein amüsiertes Lachen konnte mir dieser Gedanke nicht abverlangen.
Es war noch nicht lange her, dass ich den Mann das letzte Mal gesehen hatte und doch wollte mir meine Erinnerung ihn mir nicht mehr originalgetreu abbilden. Vielleicht war es um die Zeit zu überbrücken, auf jeden Fall malte ich mir eine Karikatur des Mannes, die nun in meinem Geist herumspuke. Und ich sah ihn nicht bloß einmal, denn für jede Geschichte, die ich in seinem Gesicht gelesen hatte, fertigte ich eine neue Gestalt an, die ihm versuchte gerecht zu werden. Ich malte mir aus, wie er in seiner Firma umherstolzierte, wie er die Anderen befehligte, wie ein Feldherr sah er für mich aus. Groß, imposant und dick. Auf eine gewisse Weise lächerlich bei dem Versuch sich seine eigene Macht vorzuspielen, wie eine tobende Seifenblase, die allen Angst machen wollte, damit keiner sich an sie heranwagte.
In mir war ich immer noch ein Kind geblieben, nicht weil ich nicht die Reife gehabt hätte, erwachsen zu sein, sondern weil ich es nicht wollte. Ich beabsichtigte nicht zu jenen Fischen gehören, die mich mit ihren fragwürdigen Werten abzumessen gedachten. Gewogen, und für zu leicht empfunden. Darüber konnte ich nur lachen. Ich merkte, wie die Anderen zu mir herab sahen. Mit ihren großen, blinden Augen. Und ich sah zu ihnen hinauf, wie bei einem Hochhaus. Ich wusste, ich trachtete nie dorthin zu kommen, ich hatte schon als kleines Kind immer Höhenangst gehabt. Die Luft war mir da oben zu dünn. Zu wenig Freiheit, da konnte man nicht laufen. Das beabsichtigte ich aber, das brauchte ich. Und jetzt, einmal um die Welt.
Seltsames Gefühl war es dann doch, als ich, ohne mich umzudrehen, aus der Wohnung gegangen war, und nun durch die Straßen der Stadt ging. Wie ein Fremder kam ich mir auf einmal vor, irgendwie hatte ich das Gefühl als müsste jeder merken, dass mit mir etwas nicht stimmte. Doch es blieb keiner stehen, keiner drehte sich um. Und immer noch liefen sie. Gehetzt sahen sie aus. Mir fiel es auf einmal noch mehr auf als sonst, viel schneller kam es mir vor, wie sie an mir vorbei liefen. Alle waren sie auf der Flucht, es war wirklich an der Zeit, dass ich hier einmal wegkam. Alle durchgedreht. Ich wollte ihnen noch weiter zusehen, doch ich konnte es nicht. Sie störten mich auf einmal, mit ihren gesenkten Blicken, mit ihren vollen Tüten und ausdruckslosen, leeren und starren Augen, die sie vor jedem zu verstecken versuchten. Die schweren Wolken hatten sich über Nacht verzogen. Mir erhellte eine aufsteigende Sonne den Weg.
Aus weiter Ferne konnte ich den Marktplatz erkennen. Unzählige kleine Straßen und Gassen liefen dort zusammen und es gab keinen Strom in dem die Menschen untergehen konnten.
Den Dicken und die Leute vom Fernsehen konnte ich aber noch nicht ausmachen. Die würden sich wohl irgendwo in der Mitte tummeln. Auffällig, fast störend postiert. Doch dieses Mal mussten sie warten, nicht wie zuvor die Leute erschrecken, kein Aufdrängen mehr. Sicher eine ganz neue Erfahrung für die junge, attraktive Frau. Ein Bild, auf das ich mich freute. So viel gab es nun, worauf ich gespannt war, dass ich es kaum noch erwarten konnte. Das Drehbuch und die Spielregeln hatte ich vergessen, doch ich wusste, dass es auch so eine spannende Geschichte werden würde. Einfach nur treiben lassen, aber aufpassen vor diesem schier unausweichlichen Strom der Menschen, die das Ganze dann auch noch Leben nannten.
Dann betrat ich den Marktplatz und mit jedem Schritt wurde mein Blick freier, da keine Gebäude ihn mehr einengten. Während ich auf die Mitte zuhielt, ließ die Menschenmasse nach und es gab keinen mehr der mir entgegen kam. Langsam lichtete sich der Schleier der Passanten und da sah ich sie.
Sie beanspruchten viel Platz für sich, oder vielleicht war es wieder die Masse, die sich aus Angst nicht dorthin wagen wollte. Ich aber hielt geradewegs auf sie zu. Den Dicken bemerkte ich diesmal als Ersten.
Unruhig blickte er um sich, als würde er selbst dieses Abenteuer bestreiten. Die Frau wirkte eher genervt als angespannt. Ihr Boss hatte ihr sicher eingeheizt, denn sie sah nicht aus, als glaubte sie, dass ich kommen würde. Und bei meiner Reaktion hatte ich ihr keinen Grund gegeben, es zu tun. Zu gelassen war meine Reaktion gewesen, als dass ich mir ernsthaft Gedanken darüber gemacht haben könnte. Sie hatte nicht in meinem Gesicht gelesen, sonst wüsste sie es. Sie kannte mich nicht und hatte mich mit den Werten gemessen, die sie kannte. Und da reagierte man anders.
Obwohl der Dicke sich unentwegt umdrehte und umher stierte, war es die Frau, die mich als Erste bemerkte. Ihre Kinnlade drohte herab zu stürzen, doch mit ihrer Erfahrung und ihrer schwatzhaften Art gewann sie ihre Beherrschung schnell zurück. Ohne Konrad zu beachten, ging sie an ihm vorbei und ließ ihn nichts ahnend stehen. Wieder mit einem gewinnenden Lachen im Gesicht kam sie auf mich zu. Diesmal war sie gleich von drei Kameras umringt, wobei sich eine auf mich stürzte, eine sich ganz ihr widmete und die dritte sich etwas entfernt postierte.
«Wie fühlst du dich?», fragte sie mich, während sie sich mir annäherte, als wären wir Altbekannte.
Die typische Journalistenfrage, wie ich sie hasste. So machten die das immer. Stand ein Mann vor seinem abgebrannten Haus. Und wie fühlen sie sich? Einfach kein Feingefühl, diese Sensationsreiter.
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