Название: Am Rande. Eine Bemerkung
Автор: Anna Lohg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742722935
isbn:
Und während der Briefträger auf ein Motorrad sparte, sollte Mia immer noch tanzen, wenngleich bei zunehmend schwindender Auswahl. Mit dem adretten Sohn des Bürgermeisters tanzte sie längst nicht mehr, nachdem sie seinen Antrag abgelehnt hatte, ehelichte der die Tochter vom Bäcker, worauf Mia mit dem schicken Sohn vom Apotheker die Hüfte schwang, bis sie auch dessen Antrag ablehnte, blieb Schritt für Schritt kaum einer für ein Tänzchen übrig. Herrjemine, die Jungs wollten alle immer gleich heiraten, das verdarb wirklich jeden Spaß.
"Es machen wie die Bienen." Das war es, was Mia wollte. "Von Blüte zu Blüte."
Stattdessen dachten alle bloß an das Eine, schien keiner weiter als bis zur Hochzeit zu denken, obschon sogleich danach das Fest zu Ende wäre. Fortan ginge er lustlos seinen Geschäften nach, sie würde sich umgehend Holzschuhe anziehen und in einer unbefransten Schürze die undankbare Hausarbeit erledigen, tagein, tagaus, müsste sie ohne Erbarmen beizeiten auch noch seine Kinder kriegen. Und das alles für einen Mann, der mit der Hochzeit aufgehört hatte zu denken und dem es alsbald selbstverständlich werden würde, dass sie ihm die stinkenden Socken wäscht, jede einzelne Socke im Trog mit Seife schrubben und rubbeln, seine zu lange benutzen Unterhosen dazu. Die würde er sich gewiss nicht selber waschen wollen. Und Mia eben auch nicht. Sie tanzte viel lieber. Allerdings gab es da eine Sache, eine nicht ganz unerhebliche Sache, die auf gar keinen Fall passieren durfte: Mia musste unbedingt vermeiden eine alte Jungfer zu werden. Dieses höchst bedrohliche Gebrechen suchte ausschließlich unverheiratete Frauen heim und war weit schlimmer als jeder derb grobe Ehemann. Die einzige Medizin gegen den elenden Zustand einer alten Jungfer, war die Ehe, ganz egal wie elend es einer Ehefrau erginge.
Mia hatte unverdrossen weiter getanzt, bis die ersten alarmierenden Zeichen nicht mehr zu übersehen waren, als kaum mehr einer blieb, der sie zu einem Tanz aufforderte. All die vortrefflichen Sprösslinge der ehrenwerten Gesellschaft hatten nach und nach geheiratet und sie mit jeder Hochzeit mehr und mehr zu einer alten Jungfer gemacht, schien das bald unabwendbar ihr Schicksal zu werden. Als hätte sie sich nach einer letzten Rettung umgesehen, fiel ihr Blick fast unvermeidlich auf ihn, sie kannte ihn zwar längst vom sehen, ein Dorf eben, aber erst jetzt sollte sie ihn eingehender betrachten. Dort stand er am Rand der Tanzfläche neben seinem Motorrad, als hätte er dort die ganze Zeit gestanden und auf sie gewartet: Edmund, mein Großvater. Er würde meine Großmutter auf Händen tragen, wohin er wollte.
Die schwarze Witwe rang nach Luft, sie musste sich setzen, um nicht umzufallen. Der Briefträger! Mia wollte den Briefträger heiraten.
Bevor Mia und Edmund heiraten konnten, mussten sie erst noch eine nebensächliche Formalität erledigen, nur noch eben kurz den Nachweis erbringen, dass sie in der dritten Generation Arier waren. Das machte man jetzt so. Obschon ihr Stammbaum sie als Arier auswies, waren sie nicht gerade arisch, das sollte groß, blond und blauäugig sein, aber diese läppische Unstimmigkeit schien nicht sonderlich wichtig. Sowieso wollten sie sich keine großen Gedanken machen, sondern bloß heiraten: Edmund Mia, seit er sie das erste Mal gesehen hatte und Mia Edmund, um nicht als alte Jungfer zu enden. Somit hatte dieser belanglose Nachweis rein gar nichts mit ihnen zu tun, den mussten schließlich alle vorlegen und sowas normales konnte doch auf gar keinen Fall verrückt sein. So gilt, nach der wunderbaren Auslegung einer herrlichen mathematischen Kurve, als normal, was häufig vorkommt. Demgemäß wird auch der Wahnsinn normal, sobald er häufig auftritt und sodann erscheint es vernünftig, völlig verrückt zu sein. Wie Mia und Edmund wollten ganz viele doch nur heiraten, arbeiten, einfach nur leben, so haben sie sich bei diesem unwichtigen Nachweis eben nichts gedacht, außer vielleicht jene, die ihn nicht erbringen konnten, aber das war dann deren Problem – nicht meins.
Nach der Hochzeit zog Mia mit zwei Koffern zu Edmund in das kleine Haus, so war das vorgesehen, weil das schon immer so gemacht wurde. Wie ein Stück Vieh in den Stall gehörte, sollte die Ehefrau in das Haus des Ehemanns, um sich zuerst diesem, anschließend seiner Familie unter zu ordnen. Und auch das war ganz normal, obschon ein bißchen eng. Denn Mia und Edmund teilten sich nun unhinterfragt das Dachgeschoß mit seiner Mutter, während unten Erwin, der mürrische Bruder, dessen Ehefrau und deren vier Kinder wohnten. Und natürlich sollte Mia sich die Holzschuhe anziehen und sich eine Schürze überwerfen, putzen, kochen und seine Socken schrubben und dazu die zu lang getragenen Unterhosen seiner Mutter. Aber für ihren Weg zum Bäcker, zum Metzger einmal quer durch das Dorf, richtete sich Mia immer noch her. In reichlich befranster Klamotte machte sie die Besorgungen, auch weil Edmund sie dafür liebte.
Doch Mia nähte nicht mehr, sie benutzte nicht einmal die alte Nähmaschine bei ihrer Mutter im Haus, als gehöre sie dort nicht mehr hin, schüttelte die schwarze Witwe auch darüber schweigend den Kopf. Aber Edmund sparte stillschweigend Geld, überraschte er sie schon bald mit einer nagelneuen Nähmaschine. Mias erste eigene Nähmaschine, ein richtig tolles Ding, das noch heute funktioniert. Ein schmaler hölzerner Tisch unter dem sich ein Pedal befindet, mit dem über eine Schnur ein seitlich angebrachtes gußeisernes Rad in Schwung gesetzt werden kann, welches schließlich die Nadel an der Nähmaschine ihre klopfenden Bewegungen vollführen lässt. Wenn die Nähmaschine nicht gebraucht wird, kann sie durch eine Klappe zum verschwinden gebracht werden, dann hängt sie in einem Gehäuse versteckt unter dem Tisch. Ein Deckchen drauf und eine Vase und das mechanische Gerät sieht aus wie ein harmloses Tischchen. Da stand sie nun mit einem Stuhl davor in diesem kleinen Schlafzimmer direkt am Fenster, förmlich eingequetscht zwischen dem klobigen Schrank und dem ebenso riesigen Ehebett. Diesen eingekeilten Quadratmeter machte Mia zu ihrem Himmelreich, in dem sie jede freie Minute verbrachte und nähte, auch das Alltägliche. Dort sitzend war sie sogar glücklich.
Dem Lauf folgend kam es, wie es in der Regel eben kommt und Mia gebar ein Kind, dessen Wiege nur knapp zwischen dem riesigen Ehebett und der Wand einen Platz gefunden hätte. An dem Kindchen war alles dran, ein winziger Körper mit Armen und Beinen, nur essen konnte es nicht. Mia stillte es und stillte es, aber es behielt nichts für sich, auch nicht die Milch der Ziegen, der Kühe, nichts, alles kam oben wieder raus. Eine Mutation, die wie ein Versuch daher kam, es mit einem Lebewesen zu probieren, das gänzlich auf die Nahrungsaufnahme verzichten kann. Das Kind aber verhungerte kurz nach der Geburt, wie ein Beweis dafür, dass die Evolution nicht einem verständigen, zielgerichteten Plan folgt, sondern eher einem Prozess zwischen Versuch und Irrtum gleicht, bei dem sich mitunter der Irrtum als lebensfähig erweist. Heute ist es ein erprobter operativer Eingriff, nur ein Jungfernhäutchen am Mageneingang zu entfernen, aber damals kannte niemand den Grund und so nahm Mia die kleinen Hemdchen, die sie in Erwartung genäht hatte und legte sie in eine Truhe, ganz zu unters, und СКАЧАТЬ