Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg
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Название: Am Rande. Eine Bemerkung

Автор: Anna Lohg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783742722935

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СКАЧАТЬ nichts essen, wollte nicht leben auf dieser Welt, in dieser Gegend, in einer Zeit, in welcher der Wahnsinn allmählich normal wurde.

      Es war kaum so, dass sie eines Morgens aufwachten, aus dem kleinen Dachfenster schauten und verdutzt feststellten: "Oh, Jesses, Maria, wir sind ja alle verrückt geworden." Der Wahnsinn war gedeihlich jeden Tag ein Stück häufiger geworden und als sie längst mittendrin steckten, hielten sie es für völlig normal. Alles schien soweit gewöhnlich, nur einen belanglosen Nachweis erbringen, der sie als Arier auswies, obschon sie nicht einmal wussen, wer genau das sein sollte. Aber daran und besonders an allem anderen waren jetzt, mehr denn je, die Juden schuld. Das war nun überall zu hören, immer öfter, immer eindringlicher vermittelt durch die Röhren eines Radios, gehörte der Volksempfänger nicht einmal ihnen. So drang es von ganz weit her zu ihnen vor, von jenseits der Hügel und Wälder konnte das eigentlich nichts mit ihnen zu tun haben. Das musste Staatsräson sein, also die Angelegenheit von jenen sehr entfernten Herrschaften, die regieren, als seien sie erleuchtet, dabei bleibt die Erleuchtung das untrügliche Zeichen einer gravierenden geistigen Verwirrung. Und so dröhnte es ganz ungeniert durch den Lautsprecher, während sie sich weiter ungetrübt in ihrem Alltag verstrickten, liessen sie den Irrsinn immer näher kommen, bis er schließlich mitten im Dorf stand.

      Anfänglich waren es lediglich ein paar unübersehbare Kleinigkeiten, Wimpelchen an Fenstern, als Tischdekoration, als Wandschmuck, harmlose kleine Abzeichen vor denen sich niemand zu fürchten brauchte. Daran fanden so viele Gefallen, dass schon bald neben den Wimpelchen imposante Fahnen zur Geltung gebracht wurden, rote Stoffbahnen mit einem weißen Kreis in der Mitte, in dem ein verdrehtes schwarzes Kreuz prangte. Ein Hackenkreuz als Erkennungszeichen. Damit wurde jetzt bei all den frommen Festen das gesamte Dorf zugedeckt, an jedem Pfosten, jeder Laterne, jeder Tür, jedem Fenster hing eine Fahne, nichts wurde ausgelassen, als gelte es sich gegenseitig zu überbieten oder wenigstens nicht hinten anzustehen, bei diesem Rausch das Dorf in einem roten Meer voller schwarzer Hackenkreuze zu ertränken. Das Kunterbunte erstickte unweigerlich im Keim, als sich so viele dem Diktat eines einzigen Musters beugten und eine überwältigende Einheitlichkeit erschufen, war auch Mia ganz entzückt von diesem Dekor. Auch sie war ergriffen von dieser Ästhetik einer uniformen Geisteshaltung, die nur das eigene Motiv duldet, hätten sich davor eigentlich alle fürchten müssen, ganz besonders weil die erdrückende Gleichförmigkeit von einem erbarmungslosen Gebrüll begleitet wurde. Aber sie fürchteten sich nicht.

      Anderenorts wurde die Gleichschaltung auch mit Gewalt durchgesetzt, die bewährteste und simpleste Methode so gut wie jeden zu überzeugen: "Du glaubst jetzt sofort an das, was ich dir sage und hängst diese Fahne auf oder … ." Ich würde wohlwollend zur Kenntnis nehmen, dass ich immerhin vorher gebeten wurde, sodann meine Eingeweide und meine dumme Visage schonen, anstandslos gläubig werden und jederzeit bereit sein, alles mögliche aufzuhängen, Fahnen, …

      Aber so ganz allgemein musste nicht viel Gewalt angewendet werden, auch Mia und Edmund wurden nicht bedroht, das war im Dorf kaum nötig, die Einheitlichkeit wurde hier nachbarschaftlich organisiert, unter Freunden und Verwandten. Bis auf den Einen, der wollte partout nicht daran glauben, auch nicht als ihm auf den Eingeweiden rum getrampelt wurde. Gleich mehrere Mann sind mit Mistgabeln auf ihn los, macht das Prügeln im Schatten einer Gruppe stets sehr viel mehr Spaß, besonders weil es dadurch so unheimlich leicht wird, jemanden zu überzeugen. Aber dieser Eine ließ sich selbst mit heftiger Prügel nicht von seiner Meinung abbringen, er blieb bei seinem Glauben, hütete ein paar Tage schwer verletzt das Bett und verschwand schließlich auf Nimmerwiedersehen. Im Dorf gab es danach keinen Kommunisten mehr. Der eine von der Gewerkschaft war vorher schon weg gelaufen, tickten im Dorf nun alle gleich.

      Diese Geschichte verläuft mehr oder weniger fast immer und überall gleich: irgendein Typ hört Stimmen, vielfach vom vermeintlich ersten Beweger, der würde ihm sagen, wo es lang geht und gleichsam zuflüstern, er sei der auserwählte Führer. Irrt so ein Typ nun lange genug unbehelligt durch die Gegend, befedert der sich zwangsläufig mit irgendeinem Erkennungszeichen und verkündet lauthals seine fiebrigen Gewissheiten, planlose Beschwörungsformeln mit denen er Erlösung verspricht, vom baldigen Untergang oder was auch immer. Wenn nun gleichzeitig eine wuchernde Verelendung grassiert, reicht meist schon eine wachsende Verunsicherung, dann steigt unweigerlich die Sehnsucht nach irgendeinem Heilsbringer und so ein bekloppter Typ kommt da gerade recht. Um ihn schart sich schon bald ein immer größeres Gefolge, welches begierig die nebulösen Heilsbotschaften aufsaugt, um damit die eigene lähmende Hilflosigkeit zu betäuben. Und da der Wahn stets nach absolutem Gehorsam verlangt, unterwirft sich die Gefolgschaft bedingungslos den allerlei Ausscheidungen des selbsternannten Führers und wähnt sich endlich ebenfalls im Besitz der einen einzig wahren Wahrheit, die zur einen einzig wahren Ordnung führe. Trunken von den eigenen Hirngespinsten wird nun für die unerlässlich gerechte Sache gekämpft, Mistgabeln und Knüppel sind dazu nur der Anfang. Soweit hätte der Typ eigentlich nur dringend in psychatrische Behandlung gemusst, dort wäre er nicht weiter aufgefallen: "Ich bin der großartige Führer eines tausendjährigen Reiches." "Ja, ja. Ganz ruhig. Das wird schon wieder. Bald gibt es Abendbrot und die Medikamente." Aber den wahnwitzigen Anhängern ist nicht mehr zu helfen, lassen sie sich nicht davon abhalten, mit ihrem geliehenen Wahnsinn andere bestenfalls verrückt zu machen, hinterher, wenn alles in Schutt und Asche liegt, können sie sich an nichts mehr erinnern: "Ich hab von alledem nichts gewusst. Ich hab nur Befehle befolgt." Sobald Gewalt zum annehmbaren Mittel der Überzeugung wird, enden diese Geschichten immer gleich: für mindestens einen mit dem Tod. Da mag so ein Verrückter irgendwie ansteckend wirken, doch dass Ungerechtigkeit und Elend einen Irrsinn buchstäblich beflügeln können, zumindest dem Ekel und dem Hass als Nährboden dienen, wird oft übersehen, würden haltlose Zustände ansonsten tunlichst vermieden und nicht andauernd gedankenlos verharmlost.

      

      Und so wurde nun auch hier im Dorf, versteckt hinter Hügeln, eifrig ein neues Reich errichtet, welches für restlos alle gelten sollte, denn die eine einzig wahre Ordnung bleibt mit allem anderen unvereinbar. Edmund, der sorglose Briefträger, aber meinte, ihn würde es nicht betreffen, fiel ihm bloß auf, dass er in seiner Uniform längst nicht mehr alleine im Dorf war. Etliche andere hatten sich nun befedert, wenn auch nicht mit gefälligem Blau und silbernen Köpfen, erinnerten diese neuen Uniformen vielmehr an die Jauchegrube. Mit strammen Schritten marschierten die jetzt durch das Dorf, als wollten die in ihrer jauchigen Verkleidung irgendwem Angst einjagen. Edmund hätte nicht einmal in seiner weit schickeren Uniform so stelzen können, obendrein wäre er sich dabei ungeheuer albern vorgekommen. Anderswie wollte er auch niemanden verängstigen, er brachte viel lieber eine Freude ins Haus, wenigstens in den Briefkasten, das machte ihn glücklich, vielleicht ein bißchen stolz, dagegen waren diese jauchig uniformierten Prahlhanse ziemlich bedauernswerte Geschöpfe.

      Es waren Verwandte von ihm, alte Schulkameraden, vertraute Nachbarn die jetzt selbstherrlich in Uniform herum stolzierten, meinten die wohl, sie könnten damit irgendwen täuschen. Edmund kannte sie doch noch alle in zerschlissener Klamotte, kam es ihm wie eine Maskerade vor. Da hatte sich der Gottfried kostümiert, passte die Uniform immerhin zu seiner Leidenschaft, wehrlosen Tieren die Knochen zu brechen. Und der Friedrich schien endlich eine passende Ausstattung für seine Eitelkeit gefunden zu haben, passte das Kostüm ebenso hervorragend zu Johanns Beflissenheit, während der verklemmte Wilhelm dahinter vorteilhaft seine Unsicherheit verbergen konnte. Dennoch machten diese alten Bekannten in ihrer Kostümierung allseits großen Eindruck, gehörten sie doch schon bald zur Elite im Dorf, wenn sie Respekt erwarteten, ohne ihn zu vergeben. Diese Figuren brachten eben genau die Eigenschaften mit, die vom herrschenden Milieu begünstigt wurden, die Umstände waren wie geschaffen, sie mussten nur die Gelegenheit ergreifen, das Milieu zu ihren Gunsten zu wenden.

      Und so marschierten diese Angeber ungestört durch das Dorf, unmissverständlich an ihrem Habitus zu erkennen, waren sie jetzt die feinen Herren, eben die bessere Gesellschaft. Aber der sture Edmund ließ sich davon nicht beeindrucken, die würden ihm nichts anhaben, schließlich waren sie vom gleichen Stamm, gehörten dem gleichen Hügelvolk an, war dies doch eine Zugehörigkeit, die sie ähnlich sein СКАЧАТЬ