Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg
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Читать онлайн книгу Am Rande. Eine Bemerkung - Anna Lohg страница 18

Название: Am Rande. Eine Bemerkung

Автор: Anna Lohg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783742722935

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СКАЧАТЬ Jakob vorsichtshalber das Dorf verließ, wollte der sich wohl nicht auf seine Abstammung verlassen. Der Jakob war sein bester Freund, einer von der Sorte, die als solche sofort erkannt werden, gleich am ersten Schultag. Vorher hatten sie sich noch nie gesehen, denn Jakob wohnte außerhalb des Dorfes. An jenem ersten Tag hatten sie zwischen Tafel und Schulbank einander augenblicklich als beste Freunde erkannt, vermutlich weil sie beide stöpselig waren, genügen in dem Alter oft Kleinigkeiten, um eine unbedingte Freundschaft zu begründen. Vor allem wegen Jakob war Edmund Forstarbeiter geworden und als er den Wald verließ, wollte er Jakob mitnehmen, ihm eine Stelle bei der Post verschaffen. Doch Jakob wollte lieber Rabbi werden, wie sein Vater, den viele Rabbi nannten, nur weil er gegen eine kleine Spende jedes gewünschte Gebet erledigte.

      Den Rabbi allerdings sollten Gottfried, Friedrich, Johann, Wilhelm und die anderen Jungs in Uniform aufschrecken, zwar machten die Rüpel dem alten Mann keine Angst, aber seinem Sohn könnten sie vielleicht erheblichen Ärger bereiten.

      "Mir tun die nix.", sagte der alte Mann, der in der aufgetakelten Bande noch die kleinen Hosenscheißer sah, die sie einst gewesen waren. "Mich kennt hier jeder.", darauf vertraute er. "Unsere Familie lebt hier seit Jahrhunderten.", wähnte er sich zugehörig. "Aber für dich könnte es ein wenig unbehaglich werden.", sagte der Rabbi seinem Sohn und schickte ihn fort. Er verbrauchte all sein gespartes Geld und mehr für eine Überfahrt nach Amerika, dort sollte Jakob solange wie nötig bei einem Vetter wohnen und möglichst die geheiligten Schriften studieren. "Mein Junge, sobald sich alles beruhigt hat, kommst du wieder. Rabbiner werden wir hier dann sicher dringend brauchen."

      Auch Edmund dachte, er würde Jakob schon bald wiedersehen. Das dachte er noch, als andere Eltern ihre Kinder fort schickten. Die vom Metzger gingen kurz nach Jakob weg, bald folgten dem Bäcker seine Kinder, von dem einen Bauern, schienen nach und nach viele fort geschickt zu werden, von ihren beunruhigten Eltern. Aber Edmund wollte deren Bedenken nicht teilen. So wie viele, die blieben. Sie würden bleiben, wie die Generationen davor, den Laden weiter betreiben, das Gewerbe, den Hof, an Ort und Stelle einfach schwere Zeiten überstehen. Sie fühlten sich tief verwurzelt, mit dem Land ihrer Vorfahren, hier gehörten sie hin, das war ihr zu Hause. Sie würden ihre Heimat nicht aufgeben, für ihr Vaterland würden sie sogar in den Krieg ziehen, ihr Leben aufgeben. Doch das Vaterland hatte sich inzwischen neu ausstaffiert und damit die alte Heimat vertrieben, die auch Edmund nicht verlassen wollte.

      Vermeintlich unmöglich war der Wahnsinn Realität geworden, die umso mächtiger wird, je mehr daran glauben. Beherrscht von einer gewaltigen Idee war diese sogar in jedem Winkel des Dorfes sichtbar, als Hackenkreuze nunmehr das gesamte Bild bestimmten, bald auch übergroß auf Schaufenster geschmiert. Die Buchstaben daneben schienen regelrecht zu kreischen: Kauft nicht beim Juden! Edmund aber kaufte, weil das hatte er doch immer so gemacht, hielt er schlicht an seiner Wirklichkeit fest. Und auch andere kauften, weil der Bäcker doch das beste Brot hätte, der Metzger das frischeste Fleisch, der Bauer die größten Eier, manche kauften aus Trotz. Da standen sie dann vereinzelt in den Läden, starrten durchaus beklommen auf das schwarze Kreuz und die blutroten Buchstaben am Fenster, schüttelten verstohlen den Kopf, sprachen kaum ein Wort und wenn dann nur flüsternd: "Das geht bald vorbei." Wie Sterbende, die sich an das Leben klammern, blind vor dem Unvermeidlichen konnten sie nicht einmal Linderung finden, weil sie so leise sprachen.

      Was dann geschah, war reichlich offensichtlich, wollte hinterher allerdings niemand davon gewusst haben, dass nach und nach immer mehr Zweiburger scheinbar spurlos verschwanden. Eines Tages war der Bäcker mit seiner Familie weg, kurze Zeit später der Metzger und seine Angehörigen, auch der eine Bauer samt seiner weitläufigen Verwandschaft, sogar der Rabbi, sie alle waren eines Tages einfach weg, alle, ohne Abschied. Nach und nach wurden Nachbarn, Freunde abgeführt, selbst wer wegschaute, konnte es nicht übersehen. "Die werden in ein Arbeitslager gebracht.", hieß es im Dorf, als sei das völlig gerechtfertigt. Da war doch nun wirklich nichts dabei, irgendwen in ein Arbeitslager zu verbringen, das machte man jetzt eben so, ein ganz normaler Abtransport, das hatten die bestimmt verdient, die waren gewiss selber daran schuld. Und Edmund suchte bei dem Gedanken an ein Arbeitslager Trost, damit redete er sich Hoffnung ein, denn das, was ihm hie und da zu Ohren gekommen war, daran konnte er gar nicht glauben wollen.

      Das Hackenkreuz war längst kein Erkennungszeichen mehr für wahnhaft verkündete Gewissheiten, sondern stand nun endgültig für Recht und Ordnung. Und Endmund sah sich umgeben von einer Wahrheit, die ihm eine Lüge bedeutete, doch davor verschloß er die Augen. Er verblieb in der Welt, die es gut mit ihm meinte, als der unabkömmliche Briefträger, während um ihn herum jubelnd längst der totale Krieg ausgerufen worden war. Frohgemut ging es auf in die nächste Schlacht, marsch, marsch, weil die Herrenrasse mehr Raum brauche, ist der Krieg die Fortsetzung des ganz normalen Wahnsinns mit anderen Mitteln.

      Und also verließen wieder reichlich viele Männer völlig trunken das Dorf, um wieder völlig besoffen irgendwen, der ihnen nichts getan hatte, abzuschlachten, war ihnen das wohl ein ungemein ausgefeilter Plan. Dabei lächelte die Fratze des letzten Krieges sie noch unverblümt an, jene entstellte Gestalten, heimgekehrt von der letzten großen Schlacht, denen im besten Fall der Splitter einer Granate schmerzhaft durch den verstümmelten Körper marschierte, dagegen erschienen selbst die Toten wenigstens in der Erinnerung lebendig. Aber egal, das jetzt hier war ein ganz anderer Kampf: die Alten hatten ihren Krieg gehabt, die Jungen würden den ihren viel, viel besser machen, als könne jede Generation sogar den Tod noch steigern. So hatte offenbar nur Edmund seinen gestolperten Vater nicht vergessen, seine im Großen Krieg gefallenen Brüder und Onkels, scheinbar litt nur er noch an den Alpträumen seiner Kindheit, in denen, wie aus dem dunklen Nichts, ein blutrotes Trümmerfeld aus Knochen auftauchte. Edmund wollte in keinen Krieg taumeln, in kein Gefecht ziehen, fühlte er sich obendrein weder als Herrenmensch, noch vermeinte er, dafür mehr Platz zu brauchen. Er klammerte sich an seine blaue Uniform mit silbernen Knöpfen dran und behauptete, wenn nötig eindringlich, die Heimatfront zu verteidigen, welche ohne die Feldpost augenblicklich fallen würde. Sein Vetter, von der Direktion in der Post im nächst größeren Nest, sollte ihm wieder helfen, diesmal nicht Briefträger zu werden, sondern einer zu bleiben. Denn dem Vetter waren die blauen Uniformen auch viel lieber, die anderen nicht so ganz geheuer, so half er jedem Briefträger, der nicht in den Krieg wollte, dem Staat anderweitig zu dienen. An dem Vetter war es nicht gelegen, sondern einzig an seiner Sturheit, dass Edmund schließlich doch den Krieg mitmachte.

      Je länger das Gemetzel andauerte, desto mehr wurden an die Front geschickt, denn wenn der Krieg näher kommt, sind auch die Kinder entbehrlich, nur Edmund blieb der unabkömmliche Briefträger. Er brachte wie je gewissenhaft die Post, machte alles so wie immer, tat so, als hätte sich nichts verändert und erfreute sich an einer Realität, die er einfach ignorierte.

      "Einen schönen guten Morgen!"

      Edmund brachte die Post und preiste wie je den schönen guten Morgen, dabei hätte er einer einzigartigen Wahrheit und großartigen Ordnung huldigen können, wunderbar hergerichtet mit leicht erkennbaren Markenzeichen und einer grandios leichten Erzählung für jedermann, so dass alle wissen konnten, was zu denken sei. Dankbar dem Führer zu dienen, der sein williges Volk weise in ein tausendjähriges Reich geleiten würde, voll tüchtig glücklicher Herrenmenschen und ihren rein blonden, ewig gebärenden Frauen, doch Edmund grüßte lieber den Morgentau.

      "Heil Hitler!" Stramm den rechten Arm gen Himmel gereckt.

      "Einen schönen guten Morgen!", sagte dieser blau uniformierte Diener des Staates aus reiner Sturheit.

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      Mia dagegen war ganz entzückt. Ihr gefielen diese feschen Jungs mit ihren verwegenen Frisuren, in diesen herrlich schneidigen Uniformen, mochte deren Farbe nicht ganz so liebreizend sein, aber in diesen schwarzen Stiefeln war es ihr durchaus ein erfreulicher Anblick. Dazu diese ergreifende Geste, wenn diese feschen Jungs die Hand zum Gruß gebieterisch nach oben schnellten, das hätte sie auch gerne gemacht, wäre ihr dabei СКАЧАТЬ