Till Türmer und die Angst vor dem Tod. Andreas Klaene
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Название: Till Türmer und die Angst vor dem Tod

Автор: Andreas Klaene

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738062090

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СКАЧАТЬ Jupp, zwei Gegensätze. Ihm wurde in diesem Moment klar, wie sehr er den Mann mochte. Der hatte es nicht nötig, sich wortreich zu erklären. Was andere von ihm dachten, kümmerte ihn nicht. Er machte sich nicht wichtig, sondern war es einfach. Er ruhte in sich, war zufrieden, wenn er still aufpassen und mitbekommen konnte, wo Hand anzulegen war.

      Kurz stellte Till sich vor, wie es wäre, wenn auch Sarah mit Worten geknausert hätte. Er wäre nicht auf sie aufmerksam geworden. Was sie draußen vor dem Toilettenfenster gesagt hatte, war in ihm noch fast wortgetreu vorhanden: »Nein, Ute, ich muss zu ihr. Es geht doch nicht, dass sie da so allein liegenbleibt. Ich möchte jetzt einfach bei ihr sein.« Er hatte keine Ahnung, wer die Frau war, für die sie auf dem Fest alles stehen und liegen gelassen hatte. Aber diese Frage beschäftigte ihn auch nicht.

      Er dachte daran, dass Jupp sich ebenso verhalten hätte. Allerdings ohne so eindringlich warmherzige Worte.

      Er blickte auf sein Handy, dann fiel ihm auf, dass er Jupp noch nie hatte rennen sehen. Der Mann bewegte sich fort wie ein Trecker, den man gedrosselt hatte. Aber mehr Tempo brauchte er nicht, er kam auch so immer rechtzeitig dort an, wo man ihn brauchte. Für gewöhnlich sogar, bevor sein Chef oder die vielen Freizeitreiter nach ihm riefen. Weil er da war, wusste Enno Casjens immer, dass auf seinem Hof alles seine Ordnung hatte. Er sah von sich aus, wann er die Pferdeboxen auszumisten hatte, sorgte im Winter auch nachts dafür, dass in eingefrorenen Pferdetränken das Wasser wieder fließen konnte, und immer war er es, der die Gerten fand, die Reiter im Sand des Paddocks verloren hatten. Jupp hob sie auf, ließ sie in seiner Wohnung verschwinden und rückte sie mit stillem Vergnügen wieder heraus, sobald ihn jemand fragte, ob er nicht zufällig eine gesehen habe.

      Obwohl Till sich Zeit gelassen hatte, seine Mailbox abzuhören, spürte er nun Ungeduld, als die Automatenstimme ihm in gewohnter Langsamkeit mitteilte, dass er eine Nachricht erhalten hatte. Dann endlich die Stimme von Enno. Diesem Mann war es bislang nie in den Sinn gekommen, sich einer Mailbox mitzuteilen. Nun hatte er es doch getan. Aber nicht in seiner ihm vertrauten plattdeutschen Sprache. »Hier ist Casjens. Enno! – Ich wollte dir sagen, dass Jupp nu tot ist. Und dann noch, ob du wohl kommen kannst? Wegen Beerdigung und dem ganzen Kram. Du kennst ihn doch am besten. – Danke! Wiederhören!«

      Till saß da, fühlte sich von Traurigkeit gepackt und stierte mit zusammengekniffenen Lippen an die Wand. Ennos Worte klangen in ihm nach: »Du kennst ihn doch am besten.« Diesem Satz war kaum zu widersprechen. Zu Jupps Lebzeiten hätte er sich über ihn gefreut. Doch jetzt hatte er eine andere Bedeutung. Jedenfalls für ihn. Dieser Satz brüllte ihn wie ein Hooligan an. Er hielt ihm entgegen, was er unwiederbringlich versäumt hatte. Und noch schlimmer: auch das, was er selbst für seine Pflicht gehalten hatte. Was der Bauer da sagte, traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht, obwohl er genau wusste, dass Enno ihm nichts vorwerfen wollte. Aber mit diesem Schlag stürzten alle Argumente ein, die er in den letzten Wochen vor sich aufgetürmt hatte. Argumente, hinter denen er sich versteckt hatte, wenn seine innere Stimme ihn drängte, den kranken Jupp zu besuchen, und er es nicht tat.

      Er hob die Hände, verschränkte sie hinter dem Kopf und ließ sie sogleich mit einer Ladung trauriger Wut auf die Schenkel klatschen. Wie aus einem Ventil entwich ihm das Entsetzen über sein eigenes Verfehlen mit einem einzigen Wort: »Verdammt!« Ganz kurz dachte er noch über eine logisch klingende Rechtfertigung seines Verhaltens nach, die sich aber unterm Strich so oder so schlicht wie unterlassene Hilfeleistung anfühlen würde. Dann schüttelte er den Kopf wie ein Richter, der jede Erklärung seines stammelnden Angeklagten nur noch für blanke Lüge hielt. Till dachte an Grossanter, Mooshammer und die vielen anderen, deren Namen ihm längst nicht mehr auf der Zunge lagen. Für sie alle hatte er seine Zeit mit Verstand und Einfühlungsvermögen zur Verfügung gestellt, hatte ihnen geholfen, Ratlosigkeit und Verzweiflung in lebenswerte Perspektiven zu verwandeln. Jupp hätte mit solchem Aufwand nichts anfangen können, aber mit Tills schlichter Anwesenheit eine Menge.

      Entdeckung

      Ihm war völlig klar, dass seine Chance, die Frau im roten Mini zu finden, nur minimal war, andererseits erschien sie ihm als zu groß, um sie nicht zu nutzen. Ein Blick auf die Armbanduhr sagte ihm, dass er noch zwei Stunden bis zum nächsten Termin hatte. Also könnte es klappen. Etwa fünfunddreißig Minuten würde er für die Hinfahrt brauchen. Dann bliebe ihm immerhin noch fast eine Stunde Zeit für seine Suche.

      Von Aurich aus steuerte er seinen in die Jahre gekommenen Benz Richtung Nordwesten bis zu dem kleinen Ort Upgant-Schott. Dort bog er links ab und fuhr geradewegs Richtung Meer. Vor ihm tauchte das Fischerdorf Greetsiel mit seinen zwei Windmühlen und den alten Bürgerhäusern auf.

      Er spielte für einen Augenblick mit dem Gedanken, in den Ort zu fahren. Es war schon immer so, dass er sich von diesem Greetsiel angezogen fühlte. Das hatte mit den kleinen, rot gepflasterten Straßen zu tun, deren uralte Fassaden noch viel von den Circsenas erzählten, jenen Grafen, die hier ihre Häuptlingsburg hatten. Das hatte aber auch mit dem kleinen Hafen und seinen Krabbenkuttern zu tun, an dessen Kaimauer es nach Grenzenlosigkeit roch.

      Er hatte keine Zeit, sich auf die Erzählungen der alten Backsteinhäuser einzulassen. Aber das war nicht schlimm, denn die Strecke, die nun vor ihm lag, gehörte zu seinen Lieblingstouren. Er steuerte über die schmale Störtebekerstraße Richtung Süden. Wie der lange Riemen einer Peitsche, die Freibeuter hier vergessen hatten, durchschnitt sie die Weite grüner Felder und Wiesen. Links und rechts, bis zum Warfendorf Pilsum, breitete sich das Grün wie ein gebügeltes Tuch auf einer riesigen Tafel aus. Rechts, in weiter Ferne, ragte der kleine Pilsumer Leuchtturm mit seinen gelben und roten Streifen aufmüpfig in den Himmel.

      Nach ein paar Kilometern sah Till Manslagt vor sich liegen. Es kam ihm ungewöhnlich vor, nicht hundert Meter weiter links ins Dorf abzubiegen und Casjens’ Reiterhof anzusteuern. Aber seine schwarze Stute stand heute nicht auf dem Programm, und jetzt war auch keine Zeit, mit Enno über Jupp und das Begräbnis zu reden.

      Er fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, Enno telefonisch bis zum Abend hingehalten zu haben. Er sah auf die Uhr hinter dem Lenkrad, meinte, gut in der Zeit zu sein, trat aber dennoch tiefer aufs Gas. Er musste über sich selbst lachen, als er merkte, dass er es ausgerechnet auf Höhe von Manslagt so eilig hatte. Schließlich wusste er, was man sich über dieses Dorf erzählte. Dort sollten die Frauen vor fast tausend Jahren ihre Männer erschlagen haben, und angeblich bedeutete Manslagt nichts anderes als Mord.

      Wieder drängte sich der Gedanke an Enno ins Gehirn. Was er auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte, schien hier, ein paar hundert Meter von seinem Hof entfernt, lauter, vehementer zu klingen. Es ließ sich nicht einmal vom Gedudel des Autoradios übertönen. Aber sobald Manslagt zu einem winzigen Bild im Rückspiegel geworden war, wurde auch Ennos Nachricht ganz klein und immer leiser, bis nur noch das Schnurren des Motors zu hören war.

      Ein Wegweiser sagte ihm, dass es nur noch vier Kilometer bis Pewsum waren. Ein Hinweis, der auf ihn wie ein Wecker wirkte, der ihn schrill aus dem Traum in die Aufmerksamkeit riss. Ihm wurde klar, dass seine Aktion völlig sinnlos wäre, wenn er seine Augen nicht ab sofort auf Rot eichte. Aber nun machte ihm sein Realitätssinn zu schaffen. Er hielt ihm vor, seine Zeit auf Suche nach einem ganz bestimmten roten Fahrzeug nur zu vergeuden. Die Frau, die Sarah heißen und in Pewsum zu Hause sein sollte, war womöglich verreist. Vielleicht stand ihr Auto für ihn unsichtbar in einer Garage. Sein Verstand kannte aber auch eine positive Denkart: Dieses Dorf war so überschaubar, dass es überhaupt nicht unwahrscheinlich war, fündig zu werden. Erst recht zu dieser Stunde. Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor sechs, und die meisten hatten bereits Feierabend. Wer also heute mit dem Auto unterwegs war, dürfte mittlerweile wieder zu Hause angekommen sein.

      Sobald Till das gelbe Ortsschild vor sich sah, schaltete er einen Gang herunter. Am liebsten wäre er von nun an im Schneckentempo weitergefahren, um links und rechts die Parkstreifen und Hofeinfahrten zu kontrollieren, aber das ging nicht. Die СКАЧАТЬ