Till Türmer und die Angst vor dem Tod. Andreas Klaene
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Название: Till Türmer und die Angst vor dem Tod

Автор: Andreas Klaene

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738062090

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СКАЧАТЬ mit einem Tritt ins Hinterteil zu ahnden. Er beschleunigte dennoch nicht, zuckelte über die Manningastraße geradewegs Richtung Ortskern und versuchte, die ungeduldige Meute hinter sich zu vergessen.

      In diesem Moment meldete sich sein Handy. Er ließ es auf der Mittelkonsole liegen, warf nur einen genervten Blick aufs Display. Was er dort sah, war eine Überraschung. Allerdings keine, die ihn beflügelte, denn Grossanter war es, der gerade versuchte, ihn hier oben in der Krummhörn aufzuspüren. Till hatte schon befürchtet, diesen Mann nicht mit einem Kaffee loszuwerden. Typen wie er, dachte er, haben leider zu oft die Erfahrung gemacht, mit Penetranz ans Ziel zu kommen. Er rührte das Handy nicht an und sehnte sich mit jedem Ton mehr sein Schweigen herbei.

      An einem kleinen Kreisverkehr bog er rechts ab, und endlich hörte das Klingeln auf. Als er sich wieder ganz auf seine Suche konzentrierte, wurde ihm bewusst, dass sie lediglich auf Hoffnung und Zufall basierte. Es war also egal, welche Straßen er abklapperte. Jede konnte die richtige sein.

      Wie einem inneren Kompass folgend schlug er einen engen Bogen um den Kern des uralten Warfendorfes. Vorbei an prächtigen Villen fuhr er langsam über die Burgstraße auf den Drostenplatz. Sein Blick scannte sämtliche entgegenkommenden und parkenden Autos, und er fragte sich, was es wohl war, das ihn zu dieser Stelle zog. War es der alte Baumbestand, dessen mächtige Kronen Vögel jeglicher Art anlockten, und nun auch einen so komischen wie ihn? Er ließ sein Auto über die rote Pflasterung mit ihren Kreismustern bis vor einen der borkigen Stämme rollen und stellte den Motor aus. Vor ihm erhob sich die Häuptlingsburg der Manningas mit ihrem gelben Gemäuer. Er stieg aus, ging ein paar Schritte auf das Gebäude zu. Ein schwarzer Graben umringte die Burg, machte sich vor ihr breit wie ein muskulöser Türsteher. Die Sonne hatte seine dunklen Arme mit dem Spiegelbild des gelben Herrschersitzes tätowiert.

      Als Till über das Wasser schaute, landete sein Blick auf einer Reihe hoher Linden. Zwischen den hinteren Stämmen parkte ein rotes Auto. Es war so klein, dass es in sein Suchraster passte. Die Bäume versuchten, es unter ihren Schatten zu verstecken.

      Nun hatte er es eilig. Eng schlängelte er sich am weißen Lattenzaun eines Hauses vorbei, weil die vorbeifahrenden Autos mehr Platz brauchten, als die mittelalterlichen Stadtplaner gedacht hatten. Endlich konnte er den Wagen genauer erkennen. Er sah seine linke Seite. Ja, es schien tatsächlich ein Mini zu sein. Doch nach ein paar weiteren Metern wurde ihm klar, dass er umkehren konnte. Der Wagen hatte ein Hamburger Kennzeichen.

      Halb Pewsum schien an diesem frühen Abend auf den Beinen zu sein, aber Till registrierte die vielen Radfahrer und Fußgänger kaum. Seine Augen schienen nur dann mit dem Gehirn zu korrespondieren, wenn sie auf ein rotes Auto trafen.

      Mit Selektionsblick machte er sich auf den Weg über die Burg­straße in die Jannes-Ohling-Straße. Er merkte, wie schnell ihm die überschaubare Größe des Dorfes über den Kopf wuchs, da die Zeit bis zu seinem Termin so spürbar schrumpfte. Ihm fiel ein, dass er unbedingt noch etwas für sein Frühstück am nächsten Morgen einkaufen musste. Darum wollte er noch einige Straßen fahrend inspizieren und zwischendurch beim nächsten Supermarkt Halt machen.

      Till fuhr nun wahllos durchs Dorf. Er verließ die mittelalterliche Welt des Ortskerns, schlich durch moderne Siedlungen, vorbei am Sportplatz und über die Philipp-Reemtsma-Straße bis zum Friedhof, wo Grabsteine das Ende Pewsums markierten.

      Genau dort tauchte Jupp wieder in seinen Gedanken auf, dieser gutmütige hagere Mann mit seinem ewig schlecht rasierten Gesicht. – Ewig? Auf seinem inneren Film erkannte er, dass das nicht stimmte. Manchmal war sein stoppeliges Kinn ganz glatt. Und zwar immer sonntags. Till fragte sich, warum ihm das nicht eher aufgefallen war, viel früher, als Jupp noch lebte. Das wäre für ihn ein Anlass gewesen, diesen Mann noch genauer zu betrachten, zum Beispiel herauszubekommen, was Sonntage ihm bedeuteten. Auf diesem Hof waren sie wie jeder Tag, weil Pferde nach Kontinuität verlangten. Womöglich wechselte Jupp auch nur zum Wochenende seine Unterwäsche. Diese Vorstellung verwarf Till auf der Stelle. Er trug zwar immer seine um die knochige Gestalt flatternde Jeans und sein am Kragen abgewetztes Karohemd, aber er müffelte nie. Jedenfalls nicht nach Mensch, nur nach Stall und nach den Pferden, die er dort versorgte. Und die stanken nicht. Genau wie sie roch Tills größter Kindheitstraum, in dem er sich vor seinem eigenen Pferd stehen sah. Er glitt mit seiner kleinen Hand über die lange Blesse, drückte sein Gesicht auf die weiche, muskulöse Schnauze und war selig, wenn er den Duft, der aus den Nüstern wehte, inhalieren konnte.

      Jupp müssen sie wohl etwas bedeutet haben, diese winzigen Unterschiede in der Monotonie der Zeit. Vielleicht verzauberten sie seinen ständigen Gleichschritt heimlich in Walzerrhythmen. Jetzt bewegte er sich nicht mehr. Also konnte auch er nichts mehr bewegen. Nie mehr. Till fragte sich, ob das stimmte, ob von Toten wirklich nichts mehr ausging, und er spürte, dass er mit dieser Frage nichts zu tun haben wollte. Sie stand plötzlich wie ein Gespenst vor ihm in einem dunklen Raum, in dem es keinen Lichtschalter gab. Dann sah er Jupp leblos dort liegen, aber es war nicht der Mann, den er kannte. Der Tod hatte seine Persönlichkeit geplündert und nur die miese Kopie eines Menschen liegen lassen. Diese Vorstellung erinnerte Till aber nicht nur an Jupp, der erst jetzt, nach seiner Existenz, so richtig in ihm zu leben begann. Sie rief ihm mit schriller Stimme ins Bewusstsein, dass auch er irgendwann zur toten Kopie seiner selbst werden würde.

      Der Verkehr hatte sich beruhigt. Till musste also nicht mehr ständig auf der Flucht vor drängelnden Autofahrern sein. Mit Luchsaugen hatte er bereits mindestens zwei Dutzend Straßen durchschlichen. Rote Autos fuhren und standen überall, aber das, was er suchte, verbarg sich.

      Immer häufiger schaute er auf die Uhr. Am liebsten hätte er seinen Abendtermin abgesagt oder zumindest verschoben.

      Stattdessen gab er Gas, fuhr auf der Manningastraße Richtung Ortsausgang und kam zu einer breiten Einfahrt. Sie führte auf den großen Parkplatz genau jenes Supermarktes, den er an anderen Tagen im Vorbeifahren gesehen hatte.

      Am hinteren Ende angekommen, nahm er ein Stück Schimmelkäse aus dem Regal und bat die Verkäuferin, zehn Scheiben Gouda für ihn zu schneiden. Till sah auf ihre Hände, die in weißen Einweg­handschuhen steckten und den gelben Käselaib ans rotierende Messer der Schneidemaschine pressten. Die Frau sah so aus, als hätte sie außer dem Käse auch noch das Leben im Griff. Sie funktionierte. Bestimmt, so dachte er, ebenso zuverlässig wie das blitzend rotierende Messer. Das tat nach Kräften alles, was die Hände der Frau von ihm verlangten. Er malte sich aus, wie die scharfe Stahlscheibe mit Fingern und Knochen fertig werden würde und spürte plötzlich ein Verlangen nach Szenenwechsel.

      Till drehte sich um, schaute mit einem Blick, der keinerlei Ziel hatte, in die langen Gänge. Erst als ein paar Schritte vor ihm eine Frau mit ihrem Kind zwischen den Reihen auftauchte, vergaß er das Messer, das hinter ihm seine Arbeit tat. Ihr Einkaufswagen war bis an den Rand mit Waren gefüllt, und ihre Tochter thronte mittendrin. Er musste unweigerlich lächeln. Die Kleine sah es und lächelte zurück. Zuerst ganz spontan, dann verschämt. Er wollte ihre Scham vertreiben, zwinkerte ihr zu und erreichte damit, was er partout nicht wollte. Das Mädchen lehnte sich über die Brüstung des Wagens – wie eine, die unmittelbar vor ihrem akrobatischen Auftritt stand. Noch ein schneller Blick zu Till, und schon schob sie ihren kleinen Oberkörper weiter über den Rand, hielt sich fest und ließ ihn ganz langsam an der Außenseite so tief sinken, dass das Blut ihrem hellen Gesicht Farbe gab.

      Die junge Frau schien nichts von dieser Vorführung mitzubekommen. Ihre Augen hafteten mit der Ruhe einer Eule mal auf dem Einkaufs­zettel, der zwischen ihren Fingern klemmte, mal auf dem Regal. Sie reagierte auch nicht, als ein Apfelsaftpaket aus dem Wagen auf den Boden klatschte. Schlagartig lebendig wurde sie, als Till danach schnappte und es in den Wagen legte.

      Sie sah ihn mit einer freundlichen Quirligkeit an, die er bei so einem Eulenmenschen nie vermutet hätte, sagte auch etwas zu ihm, irgendetwas, das auf gewiss herzliche Weise ihren Dank ausdrückte. Doch was, das bekam er nicht mit. Er registrierte, dass hinter ihr СКАЧАТЬ