Название: Till Türmer und die Angst vor dem Tod
Автор: Andreas Klaene
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738062090
isbn:
Jetzt rief er Simon an. Leider meldete sich nur die Stimme seines Anrufbeantworters. Wenn er diesen Mann nicht bestens gekannt hätte, wäre das, was da in sein Ohr drang, ein Grund gewesen, sofort wieder aufzulegen. Der Simon, den er nun hörte, war nicht der, dem er sich seit zwei Jahrzehnten verbunden fühlte. Hier klang er reserviert, kurz angebunden, fast wie einer, bei dem man sich für seinen Anruf entschuldigen musste. Till wusste, woran das lag. Für seinen Freund waren sämtliche Kommunikationstechniken durchaus zweckmäßige Werkzeuge, nie jedoch zeitraubende Quasselgeräte.
Till entschuldigte sich nicht, er fasste schnell für Simon zusammen, was über Marco Grossanter zu sagen war und was jeder wissen durfte. Abschließend bat er seinen Freund darum, ihm spätestens bis Samstagvormittag mitzuteilen, was er über diesen Mann wusste.
Am Samstagnachmittag schickte sein Freund endlich eine SMS. Darin stand: »Bin für den BR in Amman. Ziemlich eingespannt. Du und Grossanter? Lass die Finger von dem. Es sei denn, du willst ohne Honorar arbeiten. Nächste Woche mehr. Gruß, Simon!«
Till wurde ungeduldig, drückte auf Antwort, schrieb zurück.
»Danke, aber das ist mir zu wenig. Bitte ein bisschen konkreter, wenn möglich. Ich treffe ihn gleich.«
Die Antwort ließ auf sich warten. Noch eine Viertelstunde bis zum Treffen. Er machte sich auf den Weg zum Lamberti-Palais, zog unterwegs sein Handy aus der Tasche. Mit einer weiteren Info von Simon wäre er lieber in sein Gespräch gegangen. Till kam pünktlich an. Das hieß in seinem Fall, fünf Minuten vor dem Treffen. Ihm ging es nicht um Überpünktlichkeit. Wo auch immer er sich mit jemandem verabredete, wollte er der Erste sein. Manchmal kam er auch eine Viertelstunde früher. Er legte Wert darauf, sich mit dem Ort vertraut zu machen, die Atmosphäre zu schnuppern, möglichst genau zu wissen, wo er war.
In der Lounge war es still. Rechts von ihm blickte er auf eine zweiflügelige Tür, hinter der er einen Saal vermutete. Dumpf drang von dort die Unterhaltung einer größeren Gesellschaft zu ihm herüber, dann Gelächter. Die Tür öffnete sich, ein paar festlich gekleidete Frauen und Männer kamen heraus, gingen lachend durch die Hotelhalle, um vor der Eingangstür eine Zigarette zu rauchen. Till sah sich um, suchte sich einen Platz, von dem aus er durch die große Glasfront die Hotelzufahrt im Blick hatte.
Ein Kellner kam, fragte, ob der Herr einen Wunsch habe. Was Till sich wünschte, konnte dieser Mann ihm nicht geben. Weil er aber so aussah, als ließe er sich nicht davon abhalten, Wünsche zu erfüllen, bestellte Till einen Kaffee. Die überaus galante Bedienung verneigte sich tief. Zu tief, für Tills Geschmack, und sagte, was sein Gast befürchtet hatte: »Seeeeehr gern!« Dieses »Sehr« hatte der Kellner so sehr in die Länge gezogen, dass in Till etwas zu reißen drohte. Er mochte Höflichkeiten, wenn sie ehrlich waren. Wenn nicht, fühlte er sich dermaßen gestochen, dass es ihm schwerfiel, nicht unhöflich zu reagieren.
Zehn nach sechs brummte es in der Seitentasche seines Blazers. Nun war doch noch etwas von Simon gekommen. Eine ziemlich lange Nachricht – für seine Verhältnisse. Wieder wurde die Saaltür geöffnet. Die fröhliche Stimmung von nebenan gesellte sich wie ein Fremdkörper an Tills Seite. Er ignorierte sie, las, was Simon mitzuteilen hatte: »Der Mann hatte und hat nichts. Außer ein unverschämtes Selbstdarstellungstalent. Er hatte auch eine Frau. Eine ganz liebe. Millionenerbin. Ihr Geld hat er an der Börse verzockt. Gesessen hat er auch. Hat als Unternehmensberater Kunden betrogen und das Geld in ein paar Luxusschlitten und jede Menge Reisen gesteckt. Seine Frau ist jetzt mit dem Staatsanwalt liiert, der ihn ans Messer geliefert hat. Kein Witz! Das ist verbindlich. Sollte dir reichen. Halt die Ohren steif, mein Bester, und mach keinen Fehler.«
Für einen Augenblick wusste Till nicht so recht, wie er nun vorgehen sollte. Dann stellte er fest, dass er sich entspannt und sogar erleichtert fühlte. Denn was er erfahren hatte, bewies ihm, dass auf seinen Bauch doch noch Verlass war. Nun wollte er noch eine Zeitlang in seinem Ledersessel bleiben – in der Hoffnung, seinem Gast sehr bald in die Augen sehen zu können.
Fünf vor halb Sieben glitt eine stattliche PS-Eleganz langsam über die Hoteleinfahrt auf den Eingang zu. Ein schwarzer Jaguar. Eine maskuline Gestalt, die im Film prima die Gewinnergesellschaft verkörpern könnte, stieg aus, schritt geradewegs in die Eingangshalle, schwenkte einen kurzen Moment den Blick hin und her, bis er auf Till sicher landete.
Obwohl die Männer sich nie begegnet waren, wussten beide im selben Moment, wen sie vor sich hatten. Tills Gast trat im dunklen Anzug und mit einem Lächeln auf ihn zu und streckte ihm dynamisch die Hand entgegen.
»Marco Grossanter!«, sagte er, und augenblicklich war es wieder da, genau das, was Till schon am Telefon gestochen hatte, diese breite, tiefstimmige Inszenierung.
Till quittierte sie mit einem freundlichen Lächeln, in dem nur seine besten Freunde Ironie entdeckt hätten, und reichte ihm seine Hand. Wie einer, der nun umgehend zur Sache kommen wollte, ließ Grossanter sich auf dem Sessel gegenüber nieder. Sein eigentliches Thema sprach er dann aber doch nicht an, und eine Erklärung für seine Verspätung lieferte er auch nicht. Stattdessen formulierte er lobende Worte über die ostfriesische Küstenlandschaft und die Freiheit, die den Menschen dort mit der Weite schon in die Wiege gelegt werde.
»Sie wissen ja wahrscheinlich, was man sich über unseren Landstrich erzählt«, sagte Till.
Weil der Andere ihm mit fragendem Blick seine Ahnungslosigkeit zeigte, verriet er es ihm. »Dass man hier schon morgens sieht, wer einen abends besuchen kommt. Man hat also viel Zeit, sich auf seinen Gast vorzubereiten.«
Grossanter wollte darauf eingehen, aber Till hatte noch etwas anzuknüpfen. »Auch ich habe übrigens über die Freiheit nachgedacht, nicht nur über die ostfriesische. Wann hat Ihre Frau Sie eigentlich verlassen, während oder nach Ihrer Inhaftierung?«
»Verstehe.« Er kniff die Lippen zusammen. »Daher weht also der Küstenwind. Kompliment. Ich mag es ja, wenn einer nicht mit seinem Wissen hintern Berg hält und klar zur Sache kommt. Aber mit Ihrem Tempo – das muss ich gestehen – haben Sie mich nun doch ein wenig überrascht.«
Es gab eine kurze Unterbrechung, weil der Kellner kam und nun auch der neue Gast einen Kaffee bestellte.
»Kompliment, Herr Türmer«, sagte er noch einmal, diesmal sehr lang gedehnt, und sah Till so freundlich an, als hätte der ihm gerade einen Ball zugespielt. »Sie kommen ja schneller auf den Punkt als ich meine Karten auf den Tisch legen kann.«
»Welche wollten Sie denn gerade ausspielen?«
»Das hier ist kein Spiel«, sagte er ernst. »Da Sie bereits im Bilde sind, will ich Sie nicht mit der Vorgeschichte langweilen. Aber eines muss klar ausgesprochen werden …«
Grossanter beugte sich vor, stützte seine Ellenbogen auf die Oberschenkel und presste die Handflächen zusammen. »Ich habe einen Fehler gemacht, indem ich das Kapital meiner Kunden anders als vereinbart angelegt habe«, sagte er fast flüsternd. »Das ist ein No-Go, und dafür bin ich in den Knast gegangen. Außerdem habe ich dafür finanziell geblutet. Natürlich kann man die Sache auch anders sehen. Wenn das nicht aufgeflogen wäre, hätten meine Kunden Riesengewinne gemacht. Und keinen dieser Saubermänner, das können Sie mir glauben, Herr Türmer, hätte es einen Dreck interessiert, wie ich das gemacht habe. Damit will ich …«
Till stoppte ihn mit erhobener Hand. Er wollte nicht noch weitere Halbwahrheiten hören. Wenn Grossanter zugegeben hätte, mit dem ergaunerten Geld sein Luxusleben finanziert zu haben, wäre das immerhin eine beeindruckende Aussage gewesen. Eine, mit der er womöglich eine Tür bei Till hätte öffnen können. Nun blieb sie zu. Er hatte keine Lust mehr, in diesen Mann noch mehr Zeit СКАЧАТЬ