Till Türmer und die Angst vor dem Tod. Andreas Klaene
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Название: Till Türmer und die Angst vor dem Tod

Автор: Andreas Klaene

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738062090

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СКАЧАТЬ Till nicht, weil er über den Seiteneingang in den Saal gelangt war. Aber das interessierte ihn jetzt auch nicht. Er hatte damit zu tun, die unbekannte Frau zwischen den vielen Menschen, die im Eingangsbereich standen und sich mit einem Glas Sekt in der Hand unterhielten, nicht aus den Augen zu verlieren. Er schob sich nah hinter ihr durch die Menge, so nah, dass er den Duft ihres kurzen blonden Haares in der Nase vernahm.

      »Hey, wo hast du sie gelassen?«, fragte ein Mann in ausgelassener Stimmung, als er Ute entdeckte.

      »Wen, Sarah?«

      »Natürlich Sarah«, antwortete er, als könnte an diesem Ort nur das Fehlen einer einzigen Person von Relevanz sein.

      Ute winkte ihn näher zu sich heran und sagte dann so, als sollte es nicht jeder hören: »Sie ist zurück nach Pewsum.«

      »Wie, was will sie denn ausgerechnet jetzt zu Hause? Ich bin doch hier!«

      »Sie ist nicht nach Hause. Ihr Handy hat sich gemeldet, ihr Dienst­handy.«

      »Ja und? Heute feiern wir, da hat dieses Ding doch nichts zu melden.«

      »Das sieht sie aber anders. Kannst ihr ja helfen, damit sie schneller wieder hier ist.«

      Der Mann verdrehte die Augen und winkte ab. »Um Gottes Willen! Das würde mich umhauen«, sagte er, ging weiter und verschwand in der feiernden Gesellschaft.

      Was Till da gehört hatte, war für ihn bei aller Rätselhaftigkeit wie ein überraschendes Geschenk. Nun hatte er ganz beiläufig immerhin Vornamen und Wohnort herausbekommen. Aber was nutzte ihm das, ihm fehlte das Werkzeug, mit dem er die verschweißte Verpackung seines Geschenks aufreißen konnte. Einen kurzen Moment überlegte er, ob er Ute in ein Gespräch verwickeln sollte, schlug sich das aber sogleich aus dem Kopf. Hier, wo er nicht dazugehörte, war das nicht die passende Vorgehensweise. Aber dass sie ausgerechnet in Pewsum, diesem besonderen Nest in der Weite ostfriesischer Küstenlandschaft, wohnte, gefiel ihm. Und das nicht nur, weil er diesen Ort von Aurich aus in einer guten halben Stunde erreichen konnte. Der Hinweis auf Pewsum war für ihn wie die erste kleine Skizze eines Planes, der ihn irgendwann zu seinem Ziel führen könnte.

      Verdrängter Anruf

      Als das Telefon klingelte, war wieder einmal keine Rufnummer im Display zu sehen. Genau wie beim Anruf eine Viertelstunde zuvor. Aber diesmal wurde nicht nach dem zweiten Klingelton aufgelegt. Till sah auf das Display, wartete noch ein paar Sekunden, bevor er abhob. Er hatte Erfahrung mit Anrufern, die sich nicht zeigten. Die meisten zögerten noch, sich ihm anzuvertrauen. Manche gestanden ihm später, irgendwie froh darüber gewesen zu sein, dass er nicht abnahm. Sein Anrufbeantworter kam ihnen gerade recht. Sie wollten erst einmal nur die Stimme hören, um dann zu entscheiden, ob sie vor diesem Mann ihre Hüllen fallen lassen konnten.

      Die Frau am anderen Ende nannte eilig ihren Namen. Zu eilig, als dass Till ihn hätte verstehen können. Aber er hakte nicht nach, ließ sie noch ein wenig hinter ihrem Vorhang stehen.

      »Ich schlage mich schon arg lange mit dem Gedanken herum, Sie um einen Brief zu bitten, Herr Türmer. Ihre Konditionen sind nicht das Thema. Ich habe mir die angesehen, die sind für mich akzeptabel«, sagte sie und verriet mit der Melodie ihrer Sätze ihre österreichische Herkunft. »Mir ist das alles sehr unangenehm, aber wenn ich sehe, was Sie im Internet so schreiben und wie Sie vorgehen, das gibt mir Vertrauen. Und darum hab ich gedacht, jetzt überwind ich mich einfach.«

      »Na ja, einfach ist es für kaum jemanden, wenn er mich zum ersten Mal anruft«, sagte Till. »Höre ich da etwa heraus, dass Sie aus Österreich anrufen?«

      »Ja«, sagte die Frau mit einem traurigen Lächeln in der Stimme, »das lässt sich wohl nicht verheimlichen.«

      »Ist doch gut so, das klingt hier oben im Norden wie Urlaub. Wenn sie mögen, erzählen Sie mir, worum es geht. Sie brauchen mir vorerst auch keinerlei Namen zu nennen.«

      Mit dieser kurzen Erklärung schien sich ein Riegel vor der Frau zu öffnen. Ihre Sätze stolperten zu Till herein.

      »Es geht um meine Ehe. Vielleicht sind Sie meine letzte Rettung. Mein Mann hat einfach alles hinter sich gelassen, unseren ganzen Betrieb, ja, und auch mich.«

      »Den Betrieb und Sie?! Das klingt nach zwei Katastrophen. Welche setzt Ihnen im Moment am meisten zu?«

      So, als hätte er mit dieser Frage einem Schlitten auf verschneitem Gipfel einen Tritt verpasst, geriet die Frau sofort in Erzählfahrt. Innerhalb von ein paar Minuten drang der Stoff für eine ganze Familiensaga an sein Ohr. Da gab es für ihn kaum ein Durchsteigen, und statt sorgfältig mitzuschreiben, kritzelte er nur noch einzelne Wörter in sein Notizheft. Die Reihen füllten sich mit Begriffen wie Hotelerbin, Pflicht, Geliebte, Dreiecksbeziehung.

      Ihm war klar, dass sein Gespräch so nicht weitergehen konnte. Er musste die Frau unterbrechen, ihr seine Fragen stellen, doch dazu war es noch zu früh. Er ließ sie erzählen, war in diesem Moment nicht auf sachliche Informationen aus. Till lauschte der Frau wie er auch italienischen Opern lauschte, deren Text er nicht verstand. Er brauchte nicht den Blick auf die Bühne, konnte mit geschlossenen Augen zuhören, einfach den Klang zu sich kommen lassen. Stimmen und Melodien verrieten ihm auf ihre Weise ihre Charaktere.

      Plötzlich merkte die Frau, dass sie ihrem Zuhörer einen Haufen Puzzleteile auf den Tisch geworfen hatte, statt ihm ein Bild zu malen. Während sie sich dafür entschuldigte, als hätte sie sich selbst bei einer peinlichen Dummheit erwischt, musste er schmunzeln. Er dachte daran, was Österreicher auf quasi jede Entschuldigung sagten, egal ob sie ihnen schmeckte oder nicht. Genau das sagte er hörbar amüsiert auch: »Passt schon!«

      Anschließend fiel es ihm leicht, herauszubekommen, was er wissen wollte. Sie konzentrierte sich auf seine Fragen und präsentierte ihm ihren Film aus über fünfzehn Ehejahren. Till schrieb mit, blickte auf seine Notizen und sah eine Frau, die einst mit vierundzwanzig ihre erste Liebe geheiratet hatte. In seinem Heft stand knapp formuliert, dass sie Erbin eines angesehenen Hotels am Attersee war. Ihr Mann war Meisterkoch, der auch das Hotelmanagement gelernt hat und mit seiner Frau zusammen das große Familienunternehmen führte. Das Paar hatte zwei Töchter, die Ehe verlief angeblich jahrelang gut, bis ihr Mann sich in eine andere Frau verliebte. Die Anruferin konnte nicht verstehen, warum er keinerlei Versuche startete, die Ehe zu retten. Sie hielt die Dreiecksbeziehung nicht mehr aus, er zog zu seiner Geliebten. Weil ihr Mann jedem persönlichen Gespräch aus dem Weg ging, hatte sie ihm einen langen Brief geschickt, auf den er allerdings nicht einging.

      Till glaubte, dass die mitgeschriebenen Lebensfragmente durchaus die Wahrheit skizzierten, jedoch nicht die wesentliche. Er versuchte, Licht auf die Zeit zu richten, als es noch keine Geliebte gab. Er wollte wissen, ob das Leben der Anruferin damals in etwa das war, was sie sich zu Beginn ihrer Ehe erträumt hatte. Er fragte auch nach den Zielen, die ihr Mann sich vor langer Zeit gesetzt hatte, nach erfüllten Träumen und nach dem Scheitern.

      Dabei trat Schritt für Schritt, geradezu schleichend, eine weitere Figur auf diese Ehebühne. Erst als sie nicht mehr zu übersehen war, stellte die Frau sie vor. Sie sprach von ihrem Vater und nannte ihn »den alten Mooshammer.« Aus ihrem Mund klang das, als würde sie einen Titel nennen, den jeder im Dorf mit Achtung über die Lippen brachte.

      »Mein Vater, das muss man ihm einfach lassen, hat das Hotel als junger Mann ganz langsam aus dem Nichts heraus aufgebaut. Angefangen hat das alles mit einem Kiosk bei uns unten am See. Mein Vater sprühte ja immer schon vor Unternehmergeist. Er hat halt in finanziellen Angelegenheiten das richtige Fingerspitzengefühl. Und als Wirt, im Kontakt mit Gästen, da ist er eh unschlagbar.«

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