Название: 1984
Автор: George Orwell
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754126516
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Die Warteschlange rückte ein Stück vor. Er drehte sich um und sah Syme erneut an. Beide nahmen sich ein fettiges Metalltablett vom Stapel am Ende der Ausgabe.
„Warst du gestern dabei, als die Kriegsverbrecher gehängt wurden?“, fragte Syme.
„Ich war arbeiten“, antwortete Winston gleichgültig. „Werd’s mir im Kino ansehen, denke ich mal.“
„Ein nur unzureichender Ersatz“, meinte Syme, und seine spöttischen Augen schweiften dabei über Winstons Gesicht. „Ich kenne dich“, schienen diese Augen zu sagen. „Ich durchschaue dich. Ich weiß sehr gut, weshalb du nicht bei der Hinrichtung warst.“ Auf intellektuelle Weise war Syme geradezu giftig orthodox. Er sprach mit einer unangenehm schadenfrohen Genugtuung von Hubschrauberangriffen auf feindliche Dörfer und über Strafprozesse und Geständnisse von thought-criminals und die Hinrichtungen in den Kellern des Ministeriums der Liebe. Im Gespräch mit ihm ging es vor allem darum, ihn von solchen Themen abzulenken und, wenn möglich, dazu zu bringen, sich über die technischen Einzelheiten von Newspeak auszulassen, von denen er sehr viel verstand.
Winston drehte den Kopf ein wenig beiseite, um der Überprüfung durch Symes große, dunkle Augen zu entgehen.
„Es war eine gute Hinrichtung“, sagte Syme. „Ich glaube, es verdirbt es, wenn sie ihre Füße zusammenbinden. Ich mag es, sie strampeln zu sehen. Und vor allem, am Ende, die heraushängende blaue Zunge: ein ganz helles Blau. Das ist ein Detail, das mich anspricht.“
Eine Küchenfrau mit weißer Mütze und Schöpfkelle brüllte: „Neechst’n, bitte!“, und Winston und Syme schoben ihre Tabletts unter das Gitter und erhielten das reguläre Mittagessen: einen Blechnapf mit rosa-grauem Eintopf, ein Stück Brot, einen Würfel Käse, einen Becher Victory-Kaffee ohne Milch und eine Süßstofftablette.
„Dort drüben ist ein freier Tisch, unter dem telescreen “, sagte Syme. „Lass’ uns auf dem Weg noch einen Gin holen.“
Der Gin wurde in henkellosen Keramikbechern ausgeschenkt. Winston und Syme ließen sich jeder einen davon geben, schlängelten sich durch den überfüllten Raum und stellten ihre Tabletts auf den metallverkleideten Tisch, auf dem jemand an einer Ecke eine Lache Eintopf zurückgelassen hatte: eine schmutzige, flüssige Pampe, die aussah wie Kotze.
In der Hand seinen Becher Gin, hielt Winston kurz inne, um sich zu sammeln, und schluckte dann die ganze Dosis auf einmal hinunter. Er zwinkerte sich die unvermeidlichen Tränen aus den Augen, bemerkte plötzlich, dass er hungrig war und fing an, den Eintopf hinunterzuschlingen, der neben der schmierigen Grundlage außerdem noch Würfel einer schwammigen rosafarben Substanz enthielt, die wahrscheinlich so etwas wie eine Fleischzubereitung sein sollte. Weder Winston noch Syme sprachen ein Wort, bis sie ihre Näpfe geleert hatten. Am Tisch links hinter Winston redete jemand schnell und ununterbrochen: ein heiser kreischendes Geplapper, ähnlich dem Schnattern einer Ente, das den allgemeinen Aufruhr im Raum noch übertönte.
„Wie geht es mit dem Wörterbuch voran?“, fragte Winston schließlich, mit lauter Stimme gegen den Lärm ankämpfend.
„Langsam“, antwortete Syme. „Ich bin gerade mit den Adjektiven beschäftigt. Es ist faszinierend.“
Seine Laune und sein Gesicht hatten sich bei der Erwähnung von Newspeak sofort aufgehellt. Er schob den Blechnapf beiseite, nahm das Stück Brot in eine seiner feinnervigen Hände und in die andere den Käse, lehnte sich über den Tisch, um sprechen zu können, ohne zu schreien, und sagte: „Die elfte Ausgabe ist die definitive edition. Wir bringen die Sprache in ihre endgültige Form; die Form, die sie haben wird, wenn niemand mehr etwas anderes spricht. Wenn wir mit ihr fertig sein werden, dann werden Leute wie du sie noch einmal lernen müssen. Du denkst wahrscheinlich, es wäre unsere Hauptaufgabe, neue Wörter zu erfinden. Aber nicht ein bisschen davon! Wir zerstören Wörter; viele, Hunderte von ihnen, jeden Tag. Wir schneiden der Sprache das Fleisch von den Knochen. Die elfte Ausgabe wird kein einziges Wort enthalten, das vor dem Jahr 2050 veralten wird.“
Syme biss hungrig in sein Brot und schluckte ein paar Bissen hinunter, dann sprach er weiter, mit jener Art von Leidenschaft, wie sie nur Pedanten haben. Sein dünnes, dunkles Gesicht war lebhaft geworden, seine Augen hatten ihren spöttischen Ausdruck verloren und einen fast verträumten Ausdruck angenommen:
„Es ist solch eine wunderschöne Sache, die Zerstörung von Worten! Selbstverständlich sind hauptsächlich die Verben und Adjektive überflüssig, aber es gibt auch Hunderte von Substantiven, die sich ebenso entfernen lassen. Es sind nicht nur die Synonyme, sondern auch die Antonyme. Welche Rechtfertigung gibt es schließlich für ein Wort, das einfach das Gegenteil eines anderen Wortes beschreibt? Ein Wort enthält sein Gegenteil bereits in sich selbst. Denke nur an good: Wenn es ein Wort wie good gibt, welcher Bedarf besteht dann noch an einem Wort wie bad? Ungood ist genauso gut – sogar noch besser, weil es ein genaues Gegenteil bezeichnet, bad aber eben nicht. Oder welchen Sinn hat es wiederum, wenn eine Steigerung von good erforderlich ist, dafür eine ganze Reihe von unbestimmten, also nutzlosen Worten zu verwenden wie excellent und splendid oder dergleichen? Plusgood deckt die Bedeutung völlig ab oder auch doubleplusgood, wenn noch etwas Stärkeres erforderlich sein sollte. Natürlich verwenden wir diese Formen bereits, aber in der endgültigen Fassung von Newspeak wird es nichts anderes mehr geben. Am Ende wird die gesamte Begrifflichkeit von ‚gut oder schlecht‘ mit nur noch genau sechs Worten abgedeckt werden können; tatsächlich mit nur einem einzigen Wort, nämlich good, von dem alle anderen abgeleitet werden. Siehst du nicht das Schöne daran, Winston? Es war ursprünglich eine Idee von BB, selbstverständlich“, fügte er im Nachhinein hinzu.
Eine Art faden Eifers huschte bei der Erwähnung von Big Brother über Winstons Gesicht. Dennoch bemerkte Syme sofort einen gewissen Mangel an Begeisterung.
„Dir fehlt einfach die wahre Wertschätzung für Newspeak, Winston“, sagte er fast traurig. „Selbst wenn du es schreibst, denkst du immer noch in Oldspeak. Ich habe einige der Artikel gelesen, die du gelegentlich in der Times verfasst. Sie sind gut genug, aber es sind Übersetzungen: In deinem Herzen ziehst du es vor, bei Oldspeak zu bleiben, mit all seiner Unbestimmtheit und seinen nutzlosen Schattierungen der Bedeutung. Du begreifst einfach nicht die Schönheit der Zerstörung von Worten. Wusstest du, dass Newspeak die einzige Sprache der Welt ist, deren Wortschatz jedes Jahr kleiner wird?“
Selbstverständlich wusste Winston das. Aber er lächelte nur (ausreichend sympathisch, hoffte er) und traute sich nicht, etwas zu sagen.
Syme biss ein weiteres Stückchen des dunkel gefärbten Brots ab, kaute es kurz und fuhr fort: „Verstehst du denn nicht, dass das ganze Ziel von Newspeak darin besteht, die Bandbreite der Gedanken zu verringern? Am Ende werden wir jegliches thoughtcrime buchstäblich unmöglich machen, denn es wird keine Wörter mehr geben, um es zu begehen. Jedes Konzept, das jemals benötigt werden kann, wird durch genau ein, in seiner Bedeutung starr definiertes Wort ausgedrückt werden, und alle Nebenbedeutungen werden ausradiert und vergessen sein. Bereits in der elften Ausgabe sind wir nicht mehr weit von diesem Punkt entfernt. Aber dieser Prozess wird noch lange nach deinem und meinem Tod weitergehen. Jedes Jahr wird es immer weniger Wörter geben, und die Reichweite des Bewusstseins wird dadurch immer weiter ein wenig kleiner werden. Selbstverständlich gibt es auch jetzt noch keinen Grund oder eine Entschuldigung für thoughtcrime. Es zu vermeiden, ist lediglich eine Frage der Selbstdisziplin, der reality control. Aber am Ende wird es auch dieser Anstrengung nicht mehr bedürfen. Die Revolution wird vollständig sein, wenn die Sprache perfekt sein wird. Newspeak ist Ingsoc, und Ingsoc ist Newspeak “, fügte er mit СКАЧАТЬ