1984. George Orwell
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Название: 1984

Автор: George Orwell

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754126516

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СКАЧАТЬ was es war: Jemand, den der alte Mann sehr liebte – vielleicht eine kleine Enkelin – war ums Leben gekommen.

      Alle paar Minuten sagte der alte Mann immer wieder: „Wija hätt’n ihn’n nich’ trau’n dürf’n. Dit’ hab’ ick dija doch jesaacht, Muttaa, oda? Dit kommt davon, wenn de deen’n vatraust. Hab’ ick doch die jansze Szeit schon jesaacht. Wija hätt’n diese Scheijßkerle nich’ vatrau’n dürf’n!“

      Welche Scheißkerle das gewesen waren, denen nicht zu trauen gewesen war, daran allerdings konnte Winston sich nicht mehr erinnern.

      Seit ungefähr dieser Zeit war der Krieg buchstäblich ununterbrochen geführt worden, wenn es auch genau genommen nicht immer derselbe Krieg gewesen war. Mehrere Monate lang während Winstons Kindheit hatte es auch in London selbst verwirrende Straßenkämpfe gegeben, auch einige, an die er sich lebhaft erinnerte. Aber die gesamte Geschichte des Ganzen nachzuzeichnen, um sagen zu können, wer genau gegen wen zu welchem bestimmten Zeitpunkt gekämpft hatte, war völlig unmöglich, da keine schriftliche Aufzeichnung und kein gesprochenes Wort jemals etwas anderes als den gegenwärtigen Zustand beschrieben. Gerade jetzt, 1984 (falls es überhaupt 1984 war), befand sich Ozeanien im Krieg mit Eurasien und im Bündnis mit Ostasien. In keiner öffentlichen oder privaten Äußerung wurde jemals eingeräumt, dass diese drei Mächte zu einer anderen Zeit jemals anders zueinander gestanden hätten. Wie Winston selbst sehr wohl wusste, war es allerdings erst vier Jahre her, dass Ozeanien gegen Ostasien gekämpft und mit Eurasien verbündet gewesen war. Aber das war lediglich ein Stück verborgenen Wissens, das er einfach nur deshalb besaß, weil sein Gedächtnis nicht zufriedenstellend unter Kontrolle war. Offiziell war der Wechsel der Gegner und Verbündeten nie geschehen. Ozeanien befand sich im Krieg mit Eurasien, daher galt: Ozeanien war schon immer im Krieg mit Eurasien gewesen. Der immer gerade hier und jetzt vorhandene Feind stellte immer gerade hier und jetzt das absolut Böse dar, was bedeutete, dass jede frühere oder zukünftige Einigung mit ihm unmöglich gewesen und also undenkbar war.

      Das Beängstigende daran, so dachte Winston zum wohl zehntausendsten Mal, als er seine Schultern schmerzhaft nach hinten zwang (mit den Händen auf der Hüfte, den Körper von der Taille aus kreisend; eine Übung, die angeblich gut für die Rückenmuskulatur sein sollte), war allerdings, dass das alles ebenso auch wahr sein könnte. Wenn die Partei ihre Hand in die Vergangenheit strecken und von diesem oder jenem Ereignis sagen konnte: ES IST NIE GESCHEHEN, war das dann nicht noch schrecklicher als bloß Folter und Tod?

      Die Partei sagte, dass Ozeanien nie mit Eurasien verbündet gewesen wäre. Er, Winston Smith, wusste aber, dass Ozeanien sich noch vor vier Jahren in einer Allianz mit Eurasien befunden hatte. Aber an welcher Stelle war dieses Wissen vorhanden? Nur in seinem eigenen Bewusstsein, das auf jeden Fall bald vernichtet werden musste. Und wenn alle anderen die Lügen der Partei akzeptierten – wenn alle Aufzeichnungen dasselbe erzählten –, dann ging diese Lüge in die Geschichte ein und wurde zur Wahrheit. „Wer die Vergangenheit kontrolliert“, so lautete der slogan der Partei, „der kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, der kontrolliert die Vergangenheit.“ Und doch war die Vergangenheit, obwohl ihrer Natur nach veränderbar, niemals verändert worden. Was auch immer jetzt die Wahrheit sein sollte, war schon immer wahr gewesen und würde es auch für immer bleiben, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es war ganz einfach: Alles, was gebraucht wurde, war eine unendliche Reihe von Siegen über die eigene Erinnerung. „Realitätskontrolle“, nannten sie das; auf Newspeak hieß es: doublethink.

      „Steht bequem!“, bellte die Vorturnerin ein wenig freundlicher.

      Winston ließ seine Arme herabfallen und füllte seine Lungen langsam wieder mit Luft. Sein Geist glitt ab in die labyrinthische Welt des doublethink: zu wissen und gleichzeitig nicht zu wissen, sich der vollständigen Wahrhaftigkeit bewusst zu sein und dabei sorgfältig konstruierte Lügen zu erzählen; gleichzeitig zwei Meinungen zu vertreten, die sich ausschlossen; zu wissen, dass sie sich ausschlossen und an beide zu glauben; die Logik gegen die Logik ins Feld zu führen; die Moral abzulehnen und sich auf sie zu berufen; zu glauben, Demokratie wäre unmöglich und die Partei dennoch der Hüter der Demokratie; zu vergessen, was immer zu vergessen war, und es dann, in dem Moment, in dem es wieder gebraucht wurde, in die Erinnerung zurückzurufen, um es danach sofort wieder zu vergessen und, vor allem anderen, diesen Prozess auch auf den Prozess selbst anzuwenden; DAS war die ultimative Subtilität: die Unbewusstheit bewusst herbeizuführen und dann den Akt der gerade vollführten Hypnose wieder unbewusst werden zu lassen. Schon das volle Verständnis des Wortes doublethink war ohne die Anwendung von doublethink nicht möglich und setzte es bereits voraus.

      Die Ausbilderin ließ sie wieder strammstehen: „Und nun wollen wir mal sehen, wer von uns seine Zehen berühren kann!“, rief sie begeistert. „Von den Hüften herab, bitte, Genossen! EINS-zwei! EINS-zwei!“

      Winston verabscheute diese Übung, die ihm stechende Schmerzen von seinen Fersen hinauf bis zum Hintern verursachte und oft mit einem weiteren Hustenanfall endete. Dass es nicht ganz so schlimm wurde, verdankte er seinen Überlegungen, die ihn ablenkten. Die Vergangenheit, machte Winston sich klar, war nicht einfach nur verändert, sondern sogar zerstört worden. Wie ließ sich selbst die offensichtlichste Tatsache noch sicher feststellen, wenn es darüber keine Aufzeichnung außerhalb des eigenen Gedächtnisses gab? Er versuchte sich zu erinnern, in welchem Jahr er das ersten Mal von Big Brother gehört hatte. Das musste zu einer Zeit in den 1960ern gewesen sein, aber es war unmöglich, das Jahr genau zu bestimmen. In der Geschichte der Partei war Big Brother selbstverständlich schon seit jeher der Führer und Hüter der Revolution gewesen, seit deren allerersten Tagen. Seine Heldentaten waren allmählich in der Zeit weiter zurück verlegt worden, bis sie bereits in die fabelhafte Welt der 1930er und 40er reichten, als noch die Kapitalisten mit ihren merkwürdigen Zylinderhüten in großer Zahl durch die Straßen von London in glänzenden Autos oder verglasten Pferdekutschen gefahren waren. Es gab kein sicheres Wissen darüber, wie viel von dieser Legende wahr und wie viel erfunden war. Winston konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wann die Partei angefangen hatte zu existieren. Er glaubte nicht, dass er das Wort Ingsoc jemals vor 1960 gehört hatte, aber es war durchaus möglich, dass es in seiner Oldspeak-Form, English Socialism, bereits vorher dagewesen war. Alles verschwand im Nebel. Manchmal allerdings war es tatsächlich möglich, eine eindeutige Lüge zu erkennen. Es war unter anderem nicht wahr, wie es in den Geschichtsbüchern behauptet wurde, dass die Partei die Flugzeuge erfunden hätte: Winston erinnerte sich an Flugzeuge seit seiner frühesten Kindheit. Aber es war nicht zu beweisen. Es gab niemals Beweise. Nur einmal in seinem ganzen Leben hatte er einen unverwechselbaren Nachweis für die Fälschung einer historischen Tatsache in den Händen gehalten. Und bei dieser Gelegenheit...

      „Smith!“, schrie die Stimme aus dem telescreen. „6079 Smith, W! Ja, SIE! Tiefer bücken, bitte! Das können Sie besser. Sie versuchen es nicht richtig. Tiefer, bitte! So ist es besser, Genosse. Rührt euch jetzt, die ganze Truppe, und schaut mir zu.“

      Winston schwitzte plötzlich überall. Sein Gesicht jedoch blieb völlig unergründlich. Zeige niemals Bestürzung! Zeige niemals Verbitterung! Ein einziges Flackern der Augen kann dich verraten! Er stand da und schaute zu, während die Vorturnerin die Arme über den Kopf hob und – nicht unbedingt anmutig, aber mit bemerkenswerter Sauberkeit und Effizienz – sich bückte und das erste Fingergelenk unter die Zehen klemmte.

      „Dahin mit den Fingern, Genossen! So möchte ich euch das machen sehen. Seht mir noch einmal zu. Ich bin neununddreißig und habe vier Kinder auf die Welt gebracht. Jetzt seht hin!“ Sie beugte sich wieder vor. „Seht Ihr, MEINE Knie sind nicht gebeugt. Ihr könnt das alle so hinbekommen, wenn ihr nur wollt“, fügte sie hinzu. als sie sich aufrichtete. „Jeder unter fünfundvierzig ist ohne jede Frage in der Lage, seine Zehen zu berühren. Wir haben nicht alle das Privileg, in der vordersten Reihe zu kämpfen, aber wir können uns zumindest alle gesund halten. Denkt an unsere Jungs an der Malabar-Front! Und die Matrosen in den Floating Fortresses! Überlegt nur mal, СКАЧАТЬ