Название: Der Sturm-Heidehof
Автор: Emily Bronte
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754181768
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Wir kamen zur Kapelle. Ich habe sie tatsächlich auf meinen Wanderungen zwei- oder dreimal gesehen; sie liegt in einer Talsenkung in der Nähe eines Sumpfes, dessen feuchte Torfmasse, wie es heißt, die dort Begrabenen mumienhaft erhält. Pfarrer Jabes also hatte in meinem Traum eine große und aufmerksame Gemeinde um sich versammelt; und er predigte – großer Gott! welch ein Sermon, eingeteilt in vierhundertundneunzig Teile, von denen jeder einer der üblichen Kanzelreden gleichkam und jeder eine besondere Sünde behandelte! Wo er diese auftrieb, kann ich nicht sagen. Er hatte eine eigene Art, die Sprüche auszulegen, und es gehörte zu seinen Voraussetzungen, daß die »geliebten Brüder« bei jeder Gelegenheit andere Sünden begingen. Und das waren gar seltsame Vergehungen, wie ich sie nie vorher geahnt hatte.
O, wie müde wurde ich. Wie ich mich krümmte, und wie ich gähnte und einnickte und wieder erwachte! Wie ich mich kniff und mir die Augen rieb, wie ich aufstand und wieder niedersaß und Josef Zeichen machte, mir mitzuteilen, ob er wohl jemals zum Ende kommen würde. Ich war verdammt, alles bis zum Schluß anzuhören. Endlich war er bei der »ersten der Einundsiebzig« angelangt. Da kam mir eine Inspiration.
Ich fühlte mich veranlaßt, mich zu erheben und Jabes Branderham als den Sünder der Sünde, für die kein Christ Verzeihung erlangt, anzuklagen.
»Herr!« rief ich aus, »hier innerhalb dieser vier Mauern sitzend, ertrug und vergab ich Ihnen die vierhundertundneunzig Teile ihres Diskurses. Siebenzig mal siebenmal habe ich meinen Hut nehmen und fortgehen wollen – siebenzig mal siebenmal haben Sie mich gezwungen, meinen Sitz wieder einzunehmen. Der vierhunderteinundneunzigste Teil ist zuviel! Genossen im Martyrium, los auf ihn! Reißt ihn nieder und zermalmt ihn in Atome, daß der Ort, der ihn kennt, ihn nicht mehr kennen möge!«
»Du bist der Mann!« schrie Jabes nach einer ernsten Pause, sich über das Kanzelpolster lehnend. »Siebenzig mal siebenmal hast du gähnend dein Gesicht verzerrt – siebenzig mal siebenmal hat meine Seele nach Rat gesucht. Weh! das ist menschliche Schwachheit. So mag dies auch vollendet werden! Der erste der Einundsiebzig ist gekommen, Brüder! Richtet ihn, wie es geschrieben steht.«
Nach diesem Schlußwort stürzte die ganze Versammlung, ihre Pilgerstäbe schwingend, auf mich los, und da ich zu meiner Verteidigung keine solche Waffe besaß, begann ich mich mit Josef, meinem nächsten und eifrigsten Angreifer, um die seinige zu raufen. Manche mir zugedachten Hiebe sausten auf andere Schädel nieder. Die ganze Kapelle dröhnte von der Prügelei. Jeder erhob die Hand gegen seinen Nachbar, und Branderham, der nicht gewillt war, müßig zu bleiben, bezeigte seinen Eifer in einem Hagel lauter Schläge auf den Rand der Kanzel, die so laut widerhallten, daß sie schließlich – zu meiner unaussprechlichen Erleichterung – mich weckten. Und was war es, das den ungeheuren Aufruhr verursacht hatte? Wer hatte in diesem Streit die Rolle des Jabes gespielt? Nur der Zweig einer Fichte, der bis ans Fenster reichte und mit seinen dürren Zapfen an die Scheiben prasselte. Einen Augenblick horchte ich auf, erkannte den Störenfried, wendete mich zurück und nickte von neuem ein und träumte wieder, womöglich noch unangenehmer als vorher.
Diesmal war ich mir bewußt, daß ich in dem eichenen Kabinett lag, und ich hörte deutlich den stürmischen Wind und das Schneetreiben; ich hörte auch, daß der Fichtenzweig sein kratzendes Geräusch wiederholte, und wußte, woher der Laut kam. Aber er quälte mich so sehr, daß ich beschloß, wenn möglich, ihn zum Schweigen zu bringen. Und ich träumte, daß ich aufstand und versuchte, das Fenster zu öffnen. Der Haken war aber in die Öse festgelötet, ein Umstand, den ich in wachem Zustand wahrgenommen, nun aber vergessen hatte. »Und dennoch – der Lärm muß aufhören!« knurrte ich, zerschlug die Glasscheibe mit der Faust und streckte den Arm aus, um den zudringlichen Zweig zu ergreifen; statt dessen schlossen sich meine Finger um eine kleine kalte Hand! Mich überkam das grauenhafte Entsetzen eines Albtraumes: ich versuchte, den Arm zurückzuziehen, aber die Hand umklammerte fest die meine, und eine höchst traurige Stimme schluchzte: »Laß mich ein – laß mich ein!« – »Wer bist du?« fragte ich und mühte mich, mich von dem Griff zu befreien. »Catherine Linton«, antwortete es fröstelnd. (Warum dachte ich gerade Linton? Ich hatte Earnshaw wohl zwanzigmal mehr gelesen als Linton.) »Ich bin heimgekommen, ich hatte im Moor den Weg verloren!« Während es sprach, erkannte ich die schwachen Umrisse eines Kindergesichtes, das durch das offene Fenster blickte. Entsetzen machte mich grausam. Da es mir nicht gelingen wollte, das Geschöpf abzuschütteln, zog ich sein Handgelenk auf die zerbrochene Scheibe nieder und rieb es hin und her, bis das Blut niederrann und die Wagenkissen durchnäßte. Noch immer jammerte das Kind: »Laß mich ein!« und lockerte nicht seinen klammernden Griff; ich war fast wahnsinnig vor Entsetzen. »Wie kann ich?« antwortete ich schließlich, »laß mich los, wenn du willst, daß ich dich einlassen soll.« Die kleinen Finger lösten sich, ich zog meine Hand herein, türmte hastig die Bücher pyramidenartig vor das Loch und hielt mir die Ohren zu, um das jammervolle Bitten nicht mehr hören zu müssen. Wohl eine Viertelstunde, so schien es mir, hielt ich die Ohren geschlossen; doch sowie ich wieder aufhorchte, hörte ich das kummervolle Winseln: »Laß mich ein!«
»Geh weg«! rief ich, »ich werde dich nie einlassen, und wenn du zwanzig Jahre darum bitten solltest!« – »Es sind zwanzig Jahre«, klagte die Stimme. »Zwanzig Jahre! Seit zwanzig Jahren bin ich ruhlos gewandert.« Darauf hörte ich ein schwaches Kratzen von draußen, und der Stoß Bücher wankte. Ich wollte aufspringen, konnte aber kein Glied rühren und schrie in namenloser Angst gellend auf.
Zu meiner Verwirrung entdeckte ich, daß mein Schrei nicht nur eingebildet gewesen war, denn eilige Schritte nahten meiner Zimmertür, jemand stieß sie hastig auf, und durch die Fenster meines Bettraumes drang Lichtschein. Ich saß bebend da und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Der Eingetretene schien zu zögern und murmelte etwas vor sich hin. Endlich sagte er flüsternd, anscheinend kaum eine Antwort erwartend: »Ist jemand hier?« Ich hielt es für das Beste, meine Anwesenheit zu bekennen, denn ich kannte Heathcliffs liebenswürdigen Ton zur Genüge und fürchtete, er werde weiter suchen, falls ich mich schweigend verhalten würde. Ich wandte mich also zur Seite und öffnete den Wagenschlag. Die Wirkung, die dies hatte, werde ich in meinem Leben nicht vergessen.
Heathcliff stand in Hemd und Unterhosen nahe der Stubentür; in der Hand hielt er eine Kerze, die ihm über die Finger tropfte. Sein Gesicht war so weiß, wie die Wand hinter ihm. Das Knarren des Wagenschlags erschreckte ihn wie ein Blitzstrahl. Das Licht entfiel seiner Hand, und seine Aufregung war so außerordentlich, daß er es kaum aufzuheben vermochte.
»Es ist nur Ihr Gast, Herr!« rief ich schnell, da ich ihm die Demütigung, noch länger seine Feigheit zu zeigen, ersparen wollte. »Ich hatte das Unglück, infolge eines Albtraumes laut zu schreien. Es tut mir leid, daß ich Sie weckte.«
»Zum Henker, Mr. Lockwood! Ich wünschte, Sie wären beim –«, begann mein Wirt und setzte das Licht auf einen Stuhl, da es seinen Händen von neuem zu entfallen drohte. »Und wer führte Sie in dies Zimmer?« fuhr er fort, während er die Fäuste ballte und mit den Zähnen knirschte. »Wer war es? Ich hätte große Lust, den betreffenden noch diesen Moment aus dem Hause zu jagen!«
»Es war Ihre Magd Zillah«, antwortete ich, aus dem Wagen springend. »Mir wär's recht, wenn Sie's täten, Mr. Heathcliff; sie verdient es wirklich. Ich vermute, sie wollte sich auf meine Kosten einen neuen Beweis dafür schaffen, daß es in diesem Raume spukt. Nun, daran ist kein Zweifel: er wimmelt von Kobolden und Gespenstern. Sie haben allen Grund, das Zimmer verschlossen zu halten, ich versichere Sie. Keiner wird Ihnen für einen Schlummer in dieser Geisterhöhle Dank wissen.«
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