Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
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Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754173206

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СКАЧАТЬ an dem vervehmten Ort anlangte. Das Herz klopfte ihm schneller, als er erkannte, daß er vor der Behausung des Elenden stand. Er schritt über einen Graben, stieg über eine Hecke, ging kühnen Schrittes durch einen vernachlässigten Garten und erblickte plötzlich hinter einem hohen Gesträuch, am andern Ende eines Brachfeldes, eine niedrige, armselige, kleine und saubere Hütte mit vergitterter Façade.

      Vor der Thür saß da in einem einfachen Rollstuhl ein Mann mit weißen Haaren, der sich mit Behagen im Sonnenschein wärmte.

      Neben dem Greise stand ein Hirtenknabe und hielt ihm eine Milchsatte hin.

      Während der Bischof sie betrachtete, sagte der Alte: »Danke, ich brauche nichts mehr« und wandte seinen freundlichen Blick von der Sonne dem Knaben zu.

      Der Bischof trat näher. Bei dem Geräusch der Schritts wandte sich der Greis, und sein Gesicht drückte so viel Erstaunen aus, als man nach einem langen Leben noch zu empfinden fähig ist.

      »Seitdem ich hier wohne«, hob er an, »ist dies das erste Mal, das Jemand zu mir kommt. Wer sind Sie, mein Herr?«

      »Ich nenne mich Bienvenu Myriel.«

      »Derselbe, den das Volk Se. Gnaden Herrn Bienvenu nennt.«

      »Der bin ich.«

      Ein Lächeln umspielte den Mund des Greises.

      »In diesem Fall sind Sie also mein Bischof?«

      »Eigentlich!«

      »Treten Sie näher, mein Herr!«

      Das Conventsmitglied reichte dem Bischof die Hand hin.

      Dieser aber gab ihm die seine nicht und bemerkte nur:

      »Ich sehe mit Vergnügen, daß man mich falsch berichtet hat. Sie sehen keineswegs krank aus.«

      »Bald wird mir besser sein«, antwortete der Greis.

      Er hielt inne und fuhr dann fort:

      »In drei Stunden sterbe ich. Ich habe mich etwas mit Medizin beschäftigt und kenne die Symptome, die das Herannahen des Todes melden. Gestern waren mir nur die Füße kalt; heute ist die Kälte bis zu den Knieen emporgestiegen; gegenwärtig fühle ich, daß sie durch den Unterleib empordringt; wenn sie das Herz erreicht, wird mein Leben still stehen. Schönes sonniges Wetter, nicht wahr? Ich habe mich ins Freie bringen lassen, um mir die Welt zum letzten Male anzusehen. Sie können reden, das Sprechen greift mich nicht an. Sie haben wohl gethan, zu einem Sterbenden zu kommen. Es ist besser, wenn ich im letzten Augenblick nicht allein bin. Man hat sonderbare Einfälle: Ich hätte gern bis Tagesanbruch gelebt. Aber ich weiß, daß ich höchstens noch drei Stunden Frist habe. Dann wird es Nacht. Aber was schadet das? Das Sterben ist eine einfache Sache. Dazu braucht man nicht die Morgensonne. Wenn die Sterne scheinen, geht es auch.«

      Dann, zu dem Hirten gewandt, fuhr er fort:

      »Geh' schlafen. Du hast vorige Nacht gewacht. Du bist müde.« Der Knabe ging in die Hütte hinein.

      Der Greis sah ihm nach und sagte halblaut, als spreche er mit sich selbst:

      »Während er schläft, werde ich sterben. Der eine Schlaf wird den andern nicht stören.«

      Dem Bischof war nicht so feierlich zu Muthe, wie wohl zu erwarten gewesen wäre. In dieser Art zu sterben lag nichts, was ihn Gottes Gegenwart ahnen ließ. Zudem – wir müssen dies offen heraussagen, denn auch die kleinen Widersprüche großer Seelen dürfen nicht übergangen werden – fühlte er sich, er, der gern über den Titel »Bischöfliche Gnaden« spottete, verletzt, weil er mit »Mein Herr« angeredet wurde, und war versucht, das Conventsmitglied »Bürger« zu tituliren. Er hatte nicht übel Lust, einen unceremoniellen derben Ton anzuschlagen, wie er Aerzten und Priestern ziemlich gewöhnlich ist, in seiner Art aber nicht lag. Der Mann da vor ihm, dieses Conventsmitglied, dieser Volksvertreter war einer der Mächtigen dieser Welt gewesen, und zum ersten Mal vielleicht in seinem Leben fühlte sich der Bischof geneigt, strenge zu verfahren.

      Der Sterbende dagegen hatte etwas Bescheidenes, fast Demüthiges in seinem Wesen, als gehöre sich das so, wenn man nahe daran ist, in Staub zu zerfallen.

      Der Bischof seinerseits, dem sonst Neugierde als eine Art Beleidigung erschien, beherrschte sich dieses Mal nicht und betrachtete das Conventsmitglied mit einer Aufmerksamkeit, die ihren Ursprung nicht in der Sympathie hatte und die sein Gewissen sonst getadelt hätte. Stand doch für ihn ein Conventsmitglied eigentlich außerhalb der Gesetze, ja sogar außerhalb des Gesetzes der Liebe.

      G., mit seiner würdevollen Ruhe, seiner aufrechten Haltung, seiner kräftigen Stimme, war einer jener Achtzigjährigen, über die der Physiologe erstaunt. Die Revolution hat viele solche Männer gehabt, deren körperliche Kraft im Verhältniß stand zu der geistigen Kraft ihrer Zeit. Man merkte, daß der Greis ein Mann von erprobter Tüchtigkeit war. Er besaß, nahe wie er seinem Ende war, noch alle Merkmale der Gesundheit. Sein klarer Blick, seine feste Sprache, seine kräftigen Schulterbewegungen hätten den Tod in Erstaunen setzen können. Asrël, der mohamedanische Engel des Grabes, wäre umgekehrt und hatte geglaubt, er sei nicht vor die rechte Thür gekommen. Es war, als stürbe dieser Mann, weil es ihm so beliebte. Sein Todeskampf hatte etwas Freiwilliges. Nur die Beine waren unbeweglich und todt, der Kopf dagegen war voller Lebenskraft. G. glich in diesem feierlichen Augenblick jenem König in Tausend und eine Nacht, dessen Unterkörper in Marmor verwandelt war.

      Der Bischof setzte sich auf einen Stein, der in der Nähe lag und begann ex abrupto:

      »Ich muß es loben« – aber aus seiner Stimme klang ein Tadel, »daß Sie wenigstens nicht für den Tod des Königs gestimmt haben.«

      Sein Gegner schien das Wort »wenigstens« nicht gehört zu haben. Er antwortete, indem er nicht mehr lächelte:

      »Freuen Sie Sich nicht zu sehr: Ich habe für den Tod des Tyrannen gestimmt.«

      »Welchen Tyrannen meinen Sie?«

      »Der Mensch hat einen Tyrannen, die Unwissenheit. Gegen diese Tyrannei habe ich gestimmt. Denn diese Tyrannei hat das Königthum, die falsche Autorität, geboren. Die Wissenschaft ist die wahre Herrin des Menschen. Nur von ihr soll er sich lenken lassen.«

      »Und von seinem Gewissen«, ergänzte der Bischof.

      »Das ist dasselbe. Das Gewissen ist angeborene Wissenschaft.«

      Der Bischof hörte mit einigem Erstaunen diese für ihn ganz neuen Gedanken.

      Das ehemalige Conventsmitglied fuhr fort:

      »Was Ludwig XVI. anbetrifft, so habe ich gegen seine Hinrichtung gestimmt. Ich halte mich nicht dazu befugt, einen Menschen zu töten, aber meine Pflicht gebietet mir, das Böse auszurotten. Ich habe für die Beseitigung der Tyrannei gestimmt. Die Prostitution des Weibes, die Sklaverei des Mannes, die Unwissenheit, die den Geist des Kindes umnachtet, soll ein Ende nehmen. Dies habe ich bezweckt, indem ich für die Republik stimmte. Brüderlichkeit, Eintracht, eine neue Zeit habe ich begründen wollen. Ich habe Vorurtheile und Irrthümer vertilgen helfen. Die Vernichtung der Vorurtheile und Irrthümer hat die Entstehung des Lichtes zur Folge. Wir haben die alte Weltordnung gestürzt, und indem die alte Welt, dieses Gefäß voller Leid und Elend, umstürzte, ist eine Freudenurne daraus geworden.«

      »Die Freude ist eine sehr gemischte«, warf der Bischof ein.

      »Sprechen СКАЧАТЬ