Название: Les Misérables / Die Elenden
Автор: Victor Hugo
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754173206
isbn:
Indessen muß eingestanden werden, daß ihm von seinem einstigen Reichthume sechs silberne Tafelbestecke und ein Suppenlöffel übrig geblieben waren, an deren Anblick Frau Magloire Tag für Tag ihre Augen zu weiden pflegte. Und da wir den Bischof so schildern wollen, wie er war, so müssen wir noch erwähnen, daß ihm mehr als einmal das Geständniß entschlüpft war: Es würde mir schwer werden, wenn ich dem Silbergeschirr entsagen müßte.
Außer diesem Tafelgeschirr besaß er noch zwei große Leuchter aus massivem Silber, die er von einer Großtante geerbt hatte. Diese Leuchter enthielten zwei Wachskerzen und prangten gewöhnlich auf dem Kaminsims. Hatte der Bischof einen Gast zu Tische, so zündete Frau Magloire die beiden Kerzen an und stellte die Leuchter auf den Speisetisch.
In dem Schlafzimmer des Bischofs selbst, über dem Bett, befand sich ein kleiner Wandschrank, in dem Frau Magloire jeden Abend das silberne Tafelgeschirr verschloß. Freilich, abgezogen wurde der Schlüssel nicht.
Den durch die schon erwähnten häßlichen Gebäude entstellten Garten durchkreuzten vier Alleen, die in der Mitte an einer Senkgrube zusammentrafen. Eine andre Allee zog sich um den Garten längs der Mauer herum. Diese Wege umschlossen vier mit Buchsbaum eingefaßte Quadrate. Auf dreien zog Frau Magloire Gemüse, das vierte Beet hatte der Bischof mit Blumen bepflanzt. Hier und da sah man auch Obstbäume. Eines Tages sagte Frau Magloire mit gutmüthiger Ironie zu dem Bischof: Ew. Bischöfliche Gnaden wissen Alles recht schön auszunutzen, haben aber doch das Beet da mit Blumen bepflanzt, die nichts einbringen. Es wäre besser, wenn Salat darauf wüchse.« Frau Magloire, entgegnete der Bischof, Sie haben da keine richtige Ansicht. Das Schöne ist ebenso nützlich, wie das Nützliche.« Dann nach einer Pause: »Vielleicht noch mehr.«
Dieses Beet, das aus drei oder vier Rabatten bestand, beschäftigte den Bischof beinah ebenso sehr, wie seine Bücher. Er arbeitete darauf täglich ein bis zwei Stunden, gätete Unkraut aus, beschnitt die Pflanzen, grub Löcher, in die er die Schößlinge steckte u. s. w. Aber die Insekten verfolgte er nicht so eifrig, wie es ein richtiger Gärtner für wünschenswerth gehalten hätte. Mit botanischen Kenntnissen glänzen zu wollen war auch nicht seine Sache; er kannte nicht die Klassifikazionen und den Solidismus, ließ sich nie darüber vernehmen, ob er es mit Tournefort halte oder für die natürliche Methode sei, ergriff nicht Partei für die Antherenschläuche gegen die Kotyledonen, noch für Jussieu gegen Linné. Er studierte nicht die Pflanzen, sondern liebte die Blumen. Er ließ Gelehrte und Ungelehrte unbehelligt, und begoß vor allen Dingen jeden Abend im Sommer sein Beet mit einer grünen Gießkanne.
Keine Thür im Hause war verschließbar. Die Thür des Speisezimmers, die, wie wir schon erwähnt haben, unmittelbar an den Domplatz stieß, war ehedem mit Schlössern und Riegeln versehen gewesen, wie eine Gefängnißthür. Alles dieses Eisenwerk hatte der Bischof abnehmen lassen, und seitdem blieb die Thür Tag und Nacht nur eingeklinkt. Der erste Beste, der des Weges kam, konnte sie aufmachen. Anfangs hatte diese unverschlossene Thür den beiden Frauen viel Sorge gemacht, aber der Bischof hatte gesagt: »Laßt Euch Riegel an Eure Thüren machen, wenn Ihr das wollt.« Schließlich hatten sie sich beruhigt oder stellten sich wenigstens so. Nur Frau Magloire hatte von Zeit zu Zeit noch Anwandlungen von Angst. Wie der Bischof über die Sache dachte, erhellt aus einigen Zeilen, die er in einer Bibel an den Rand geschrieben: »Der Unterschied ist der: Die Thür des Arztes soll niemals verschlossen, die des Geistlichen immerdar offen sein.«
In einem andern Buche, das den Titel »Philosophie der medizinischen Wissenschaft« führt, hat er geschrieben: »Bin ich nicht ebenso gut ein Arzt wie sie? Auch ich habe meine Kranken; zunächst ihre, die sie Patienten nennen, und dann meine eignen, die ich die Unglücklichen nenne.«
Und an einer andern Stelle: »Fraget nicht den, der Euch um ein Obdach bittet, nach seinem Namen. Gerade derjenige bedarf der Zufluchtstätte, dem sein Name Verlegenheiten bereitet.«
Es ereignete sich, daß ein würdiger Pfarrer, wahrscheinlich auf Antrieb der Frau Magloire, ihn fragte; ob Se. Bischöflichen Gnaden sicher seien nicht eine gewisse Unvorsichtigkeit zu begehen, indem Sie Tag und Nacht das Haus für Jeden, der hinein wollte, offen ließen, und ob Sie nicht fürchteten, es könne ein Unglück geschehen in einem so mangelhaft gehüteten Hause. Der Bischof klopfte ihn mit mildem Ernst auf die Schulter und citierte: »Wenn der Herr nicht das Haus behütet, wachen die Hüter umsonst.
Er behauptete gern, der Priester habe so gut seine Tapferkeit, wie der Dragoneroberst. »Nur muß unsere Tapferkeit, fügte er hinzu, eine ruhige sein.«
VII. Cravatte
Hier dürfen wir eine Begebenheit nicht unerwähnt lassen, die am deutlichsten die Charaktereigenthümlichkeiten des Bischofs von Digne erkennen läßt.
Nach der Vernichtung der Räuberbande, mit der Gaspard die Schluchten bei Allioules unsicher gemacht hatte, flüchteten sich die Ueberreste unter der Anführung eines gewissen Cravatte in das Gebirge. Nachdem er sich eine Zeitlang in der Grafschaft Nizza verborgen gehalten, glückte es ihm nach Piemont zu gelangen, und von dort aus erschien er plötzlich wieder in Frankreich, in der Gegend von Barcelonnette. Zuerst wurde er bei Jauziers, dann bei Tuiles gesehen. Darauf versteckte er sich in den Höhlen des Joug de l'Aigle, und von dort aus rückte er durch die Schluchten der Ubaye und der Ubayette bis nach Embrun vor und räumte eines Nachts die Sakristei des Domes aus. Seine Räubereien verbreiteten Schrecken über das ganze Land. Aber vergebens heftete sich die Gendarmerie an seine Fersen: Er entkam immer und bisweilen ließ er es sogar auf einen Kampf ankommen. In die Gegend nun, die Cravatte beherrschte, kam eines Tages der Bischof auf einer Reise nach Chastelar. Der Maire suchte ihn auf und rieth ihm umzukehren. Cravatte durchstreife das Gebirge bis nach l'Arche und darüber hinaus. Selbst eine Eskorte biete keine genügende Sicherheit. Man setze nur das Leben der armen Gendarmen unnützen Gefahren aus.
»Ich gedenke ja ohne Eskorte zu reisen,« erwiderte ihm der Bischof.
»Das kann nicht Ihr Ernst sein. Bischöfliche Gnaden.«
»Das ist so sehr mein Ernst, daß ich jede Begleitung entschieden ablehne und binnen einer Stunde aufbreche.«
»Bischöfliche Gnaden wollen wirklich eine so gefährliche Reise unternehmen?«
»Ganz wirklich.«
»Und allein?«
»Ganz allein.«
»Bischöfliche Gnaden, das werden Sie nicht thun.«
»Im Gebirge, erklärte der Bischof, ist eine bescheidne, ganz kleine Gemeinde, die ich seit drei Jahren nicht besucht habe. Es wohnen dort gute Freunde von mir, gutmüthige und rechtschaffne Hirten. Von dreißig Ziegen, die sie hüten, ist eine ihr Eigenthum. Sie verfertigen recht hübsche bunte Wollenschnüre und spielen Gebirgsmelodien auf der Flöte. Sie haben das Bedürfniß von Zeit zu Zeit das Wort Gottes zu hören. Was würden sie zu einem Bischof sagen, der sich fürchtet? Was würden sie sagen, wenn ich nicht zu ihnen käme?«
»Aber denken Bischöfliche Gnaden denn gar nicht an die Räuber?«
»Sie haben Recht, daß Sie mich an die erinnern. Ich könnte mit ihnen zusammentreffen. Auch sie haben es nöthig, daß sie etwas von Gott hören.«
»Herr Maire, vielleicht will mich unser Heiland grade über diese Heerde zum Hirten einsetzen.« Wer kennt die Wege der Vorsehung?«
»Bischöfliche Gnaden, das Gesindel wird Sie ausplündern.«
»Ich habe ja nichts.«
»Sie СКАЧАТЬ