Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Les Misérables / Die Elenden - Victor Hugo страница 14

Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754173206

isbn:

СКАЧАТЬ Man wußte nicht, was man mehr bewundern solle, die Blässe oder die Heiterkeit seines Antlitzes. In der bescheidnen Wohnung angelangt, die er scherzend seinen Palast nannte, sagte er zu seiner Schwester: »Ich habe ein feierliches Hochamt gehalten.«

      Da das Erhabenste oft am wenigsten Verständniß findet, so legten manche Leute das Verhalten des Bischofs als Affektation aus. Freilich nur Leute aus den bessern Ständen. Das Volk, das Werke der rechten Frömmigkeit nicht mißdeutet, war gerührt und bewunderte seinen Bischof.

      Was den Bischof anbetrifft, so hatte ihn der Anblick aufs heftigste erschüttert, und es währte lange, ehe er diesen Eindruck verwand.

      Das Schaffot weckt in der That, wenn man es vor sich aufgerichtet sieht, in der Phantasie unheimliche Gedanken und Bilder. Man kann gleichgültig denken über die Todesstrafe, sich jedes Urtheils enthalten, Ja und Nein sagen, so lange man die Guillotine nicht mit Augen gesehen hat; ihr Anblick aber bringt eine mächtige Erschütterung in unserm geistigen Innern hervor und zwingt zur Parteinahme. Die Einen bewundern sie dann, wie de Maistre, die Andern verfluchen sie, wie Beccaria. Die Guillotine ist das körperlich gewordene Gesetz, ihr Name ist Rache; sie ist nicht neutral und gestattet nicht, daß man neutral bleibt. Nichts Geheimnisvolleres als der Schauer, der uns bei ihrem Anblick durchzuckt! Alle socialen Probleme richten um das Fallmesser ihre Fragezeichen auf. Die Guillotine ist eine Vision. Sie ist kein Gerüst, keine Maschine, kein Mechanismus aus Holz, Eisen, Stricken! Sie gleicht einem beseelten, der Thätigkeit fähigen Wesen. Es ist, als sehe, als höre diese Maschine, als habe sie einen Verstand, als seien dieses Holz, dieses Eisen, diese Stricke mit Willen begabt. Die durch ihre Gegenwart geängstigte Phantasie zeigt sie uns als einen Unhold, der mit Bewußtsein handelt. Die Guillotine betheiligt sich an der Tötung, die der Henker vollzieht; sie verschlingt, frißt Menschenfleisch und säuft Blut. Die Guillotine ist ein von dem Richter und dem Zimmermann fabrizirtes Ungethüm, ein Gespenst, das sich fortwährend aus dem Tode ein scheußliches Leben schafft.

      Deshalb war auch bei dem Bischof der Eindruck ein fürchterlicher und nachhaltiger; am Tage nach der Hinrichtung und viele Tage später sah er niedergedrückt aus. Die Seelenheiterkeit, die noch auf dem Schaffot bis zu einer gewaltsamen Höhe angewachsen war, hatte ihn verlassen; ihn peinigte das Phantom der socialen Gerechtigkeit. Er, der sonst auf seine Handlungen mit ungetrübter Seelenruhe zurückzublicken pflegte, schien sich dies Mal Vorwürfe zu machen. Zeitweise stellte er halblaut traurige Betrachtungen an. Einen solchen Monolog belauschte eines Abends seine Schwester und behielt ihn in ihrem Gedächtniß: »Nein, so schauerlich hatte ich es mir nicht vorgestellt. Es ist Unrecht den Blick so fest auf das göttliche Gesetz zu heften, daß man die menschlichen Gesetze darüber vergißt. Den Tod zu geben hat Gott allein das Recht: Warum befassen sich also die Menschen damit, da ihnen der Tod doch etwas Unbekanntes ist?«

      Mit der Zeit wurden diese Eindrücke schwächer und erloschen vielleicht ganz. Nur fiel es auf, daß der Bischof es seitdem vermied über den Richtplatz zu gehen.

      Zu jeder Stunde durfte man Myriel zu Kranken und Sterbenden rufen. Er war sich klar darüber, daß einem solchen Rufe zu folgen die dringendste und wichtigste Obliegenheit seines Amtes war. Zu Wittwen und Waisen ging er von selber: Sie brauchten ihn nicht erst zu sich zu bitten. Er vermochte es Stunden lang neben einem Mann, der eine geliebte Frau, bei der Mutter, die ihr Kind verloren, zu sitzen und zu schweigen. Ebenso aber, wie er zu schweigen verstand, erpaßte er auch richtig den Augenblick, wo es zu reden galt. Und welch ein Trostspender war er! Nicht dadurch suchte er den Schmerz zu verdrängen, daß er verlangte, man solle ihn der Vergessenheit anheimgeben; nein, er bestrebte sich ihn zu vertiefen und zu läutern, indem er zu hoffen lehrte. Er sprach: Achtet wohl darauf, wie ihr nach den Todten hinseht. Denket nicht an das, was verweslich ist. Blicket fest hin, so werdet Ihr den lebendigen Glanz Dessen, den Ihr beweint, droben schauen. Er kannte die Heilkraft des Glaubens, beruhigte die Verzweifelten, indem er sie auf die Geduld und die Ergebung in das Unabwendbare verwies, und lehrte den Schmerz, der auf ein Grab blickt, zu dem Himmel emporschauen.

      V. Der Bischof Bienvenu trägt seine Sutanen zu lange

      Myriels häusliches Leben bewegte sich innerhalb derselben Gedankenwelt wie seine Amtsthätigkeit. Die freiwillige Armuth, in welcher der Herr Bischof von Digne beharrte, wäre wohl für Jeden, der ihn hätte beobachten können, ein würdevolles und anmuthendes Schauspiel gewesen.

      Wie alle alten Leute und wie die meisten Denker schlief er nur wenig. Dafür aber ziemlich fest. Des Morgens gab er sich eine Stunde religiösen Betrachtungen hin, dann las er die Messe entweder im Dom oder in seinem Hause. Nach der Messe nahm er sein Frühstück ein, das aus Roggenbrod und Milch bestand. Dann arbeitete er.

      Ein Bischof ist ein sehr beschäftigter Mann. Er muß täglich den Bisthumssekretär und beinahe täglich seine Großvikare empfangen. Er hat Kongregationen zu kontrolliren, Privilegien zu ertheilen, alle neuen Erscheinungen auf dem Gebiete der geistlichen Litteratur zu prüfen, wie Meß- und Gebetsbücher, Katechismen u.s.w., Erlasse zu schreiben, Predigten zu autorisiren, Einigkeit zu stiften zwischen Pfarrern und Dorfschulzen, mit Geistlichen und mit den staatlichen Behörden zu korrespondiren. Kurz tausenderlei Geschäfte.

      Die Zeit, die ihm diese vielen Geschäfte, seine Amtsverrichtungen und sein Brevier übrig ließen, widmete er in erster Linie den Armen, den Kranken und Unglücklichen; die Zeit, die ihm dann noch blieb, widmete er der Arbeit. Bald grub er dann in seinem Garten, bald las und schrieb er. Beide Arten von Arbeit schienen ihm gleichwertig, denn der Verstand, so lautete sein Wahrspruch, bedarf ebenso sehr der Pflege und Bearbeitung wie ein Garten.

      Gegen Mittag, wenn schön Wetter war, ging er aus, aufs Land oder in die Stadt, und trat dabei oft in ärmliche Häuser ein. Die Leute sahen ihm dann gern nach, wie er allein vor sich hin ging, in tiefes Nachdenken versunken, auf seinen langen Stock gestützt, in seinem dick wattirten Rock, violetten Strümpfen, groben Schuhen und mit seinem flachen Hute, von dessen drei Ecken drei goldne Quasten herabhingen.

      Sein Erscheinen wurde überall freudig begrüßt, als bringe er sozusagen, Licht und Wärme mit. Die Kinder und die Greise kamen auf die Thürschwelle, wie sie zu thun pflegten, wenn sie sich des Sonnenscheins erfreuen wollten. Er ertheilte seinen Segen, und sie wünschten ihm Glück und Segen. Jedem, der etwas bedurfte, zeigte man sein Haus.

      Hier und du blieb er stehen, sprach mit den Kindern und lächelte ihren Müttern zu. So lange er Geld hatte, besuchte er die Armen; hatte er keins mehr, so ging er zu den Reichen.

      Da ihm seine Sutanen recht lange vorhalten mußten, und er dies die Leute nicht allzu sehr merken lassen wollte, trug er bei seinen Gängen in der Stadt immer nur seinen dicken wattirten Rock, der ihm im Sommer manchmal recht lästig wurde.

      Zu Hause angelangt, speiste er zu Mittag. Dieses Mahl glich dem Frühstück.

      Um halb neun nahm er mit seiner Schwester die Abendmahlzeit ein, wobei Frau Magloire hinter ihnen stand und sie bediente. Es war ein ausnehmend frugales Mahl. Wenn jedoch der Bischof Einen seiner Pfarrer zu Besuch hatte, benutzte Frau Magloire die gute Gelegenheit, um Se. Bischöfliche Gnaden mit einem vorzüglichen Fisch oder einem delikaten Stück Wild zu regaliren. Jeder Pfarrer war ihr ein willkommner Vorwand ihren Herrn zu einer Abweichung von seiner strengen Diät zu verleiten, denn für gewöhnlich kam nur in Wasser gekochtes Gemüse und Suppe mit Oel auf den Tisch. Deshalb hieß es auch in der Stadt: »Wenn der Bischof nicht mit einem Pfarrer speist, ißt er wie ein Trappist.«

      Nach dem Abendessen plauderte er eine halbe Stunde mit Baptistine und Frau Magloire; dann zog er sich auf sein Zimmer zurück und schrieb wieder, bald auf einzelne Blätter, bald an den Rand eines Folianten. Er war sehr belesen und besaß wissenschaftliche Bildung, Er hat auch fünf bis sechs merkwürdige Manuskripte hinterlassen, u.a. eine Abhandlung über den Vers im 1. Buch Moses: »Im Anfang schwebte der Geist Gottes über den Wassern.« Er verglich СКАЧАТЬ