Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
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Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754173206

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СКАЧАТЬ für Fieber, was für Krankheiten da herrschen müssen! Gott schenkt, das Gesetz verkauft den Menschen die Luft. Ich klage das Gesetz nicht an, aber Gottes Güte preise ich. In den Departements Isére, Bar, Ober- und Unteralpen haben die Landleute nicht einmal Schubkarren und tragen den Dünger auf dem Rücken; keine Talglichter, und brennen Kienspäne oder mit Harz bestrichene Stricke. So macht man es in dem ganzen Ober-Dauphiné. Das Brod backen sie auf ein halbes Jahr und heizen den Backofen mit getrocknetem Kuhmist. Im Winter zerschlagen sie dies Brod mit der Axt und lassen es vierundzwanzig Stunden in Wasser weichen, um es essen zu können. Seid barmherzig, liebe Brüder; bedenkt, wieviel Elend Euch umgiebt!«

      Als geborner Provenzale war es ihm leicht geworden sich mit allen südfranzösischen Dialekten gründlich vertraut zu machen. Das gefiel dem gemeinen Volk sehr und trug nicht wenig dazu bei, daß er seine Gedanken dem Verständniß Aller näher bringen konnte. Er war in der Hütte und im Gebirge zu Hause. Er verstand es, die erhabensten Dinge mittels der trivialsten Redewendungen auszudrücken, und da er Jedermanns Sprache redete, so fand er auch Mittel und Wege seinen Ideen Eingang in Jedermanns Herz zu schaffen.

      Uebrigens benahm er sich gleich gegen die Vornehmen und Geringen.

      Nie übereilte er sich mit Verdammungsurtheilen, sondern zog stets die Umstände in Erwägung. »Erst wollen wir uns den Weg ansehen, pflegte er zu sagen, den das Vergehen entlang gekommen ist.«

      Als »Exsünder«, wie er sich im Scherz nannte, trug er keine Strenge zur Schau und lehrte mit großem Freimuth und ohne seine Stirn nach Art der Tugendhelden in finstre Falten zu legen, Grundsätze, die man in folgenden Worten zusammenfassen könnte:

      »Der Mensch ist ein Geist, der mit Fleisch bekleidet ist. Dieses Fleisch ist eine Last und eine Versuchung. Der Mensch trägt es und giebt ihm nach.«

      »Er soll es im Auge behalten, es zurückdrängen, es niederhalten und ihm nur im äußersten Nothfall willfahren. Solch ein Gehorsam kann mit Schuld behaftet sein, aber solch eine Schuld findet Vergebung. Wer so nachgiebt, fällt, aber auf die Knie und kann sich mit Gebet loskaufen.«

      »Ein Heiliger zu sein ist die Ausnahme, ein Gerechter zu sein ist die Regel. Irret, fehlet, sündiget, aber seid Gerechte.«

      »So wenig Sünde wie möglich, lautet das Gesetz für den Menschen. Gar nicht zu sündigen ist das Ideal des Engels. Alles Irdische ist der Sünde unterworfen. Wir können uns von ihr ebenso wenig frei machen wie von dem Gesetz der Schwere.«

      Hörte er ein allgemeines Zetergeschrei, sah er die große Menge ein hastiges Tadelsvotum abgeben, so spottete er: »Hier liegt gewiß eine Sünde vor, die Jedermann begeht. Sonst würden die Heuchler es nicht so eilig haben zu protestiren, um den Verdacht von sich abzulenken.«

      Gegen die Frauen und die Armen, auf denen mit ihrer ganzen Wucht die menschliche Gesellschaft lastet, war er nachsichtig: »An den Vergehen der Frauen, der Kinder, des Gesindes, der Schwachen, der Bedürftigen und Unwissenden sind die Männer, die Eltern, die Herrschaften, die Starken, Reichen und Gelehrten Schuld.«

      Ferner: »Die Unwissenden belehret, so gut Ihr es vermöget; die Gesellschaft ist zu tadeln, daß sie nicht den öffentlichen Unterricht unentgeltlich ertheilen läßt; sie ist verantwortlich für die Finsterniß, der sie die Entstehung giebt. Ist eine Seele umnachtet, so schleicht sich die Sünde in sie hinein. Nicht derjenige ist der Schuldige, der die Sünde begeht, sondern der die Nacht geschaffen hat.«

      Man sieht, er hatte eine absonderliche und eigne Art die Dinge zu beurtheilen. Ich habe ihn stark in Verdacht, daß er diese Gedanken dem Evangelium entnommen hatte.

      Eines Tages war er gerade zugegen, als in einer Gesellschaft von einem Kriminalprozeß gesprochen wurde, der damals die Gerichte beschäftigte. Ein armer Mensch hatte sich aus Liebe zu einer Frau und zu dem Kinde, das sie ihm geboren, der Falschmünzerei schuldig gemacht, da er sie auf andre Weise vor dem Hungertode nicht zu bewahren wußte. Dieses Verbrechen wurde damals noch in Frankreich mit der Todesstrafe geahndet. Die Frau war bei dem ersten Versuch ein von dem Manne fabrizirtes Geldstück in Umlauf zu setzen, verhaftet worden, aber Beweise um sie einer Schuld zu überführen, hatte man nicht. Sie allein konnte gegen ihren Liebhaber aussagen und durch ein Geständniß seine Verurtheilung ermöglichen. Sie leugnete aber aufs hartnäckigste. Da hatte der Staatsanwalt einen gescheidten Einfall. Er legte der Unglücklichen geschickt ausgewählte Bruchstücke aus Briefen des Mannes vor und brachte sie auf diese Weise zu dem Glauben, sie habe eine Nebenbuhlerin, mit der er sie hintergehe. Da klagte sie, getrieben von sinnloser Eifersucht, ihren Geliebten an, und lieferte die nöthigen Beweise. Nun war der Mann verloren und nächster Tage sollte ihm, samt seiner Mitschuldigen in Aix der Prozeß gemacht werden. Dieser Vorfall also bildete den Gegenstand der Unterhaltung, und Alle bezeigten das höchste Entzücken über die Schlauheit des Staatsanwalts. Dadurch, daß er die Eifersucht ins Spiel gezogen, auf die Rachsucht der gekränkten Eitelkeit spekulirt, habe er der Wahrheit und Gerechtigkeit zum Siege verholfen. Allen diesen Lobeshebungen hörte der Bischof bis zu Ende schweigend zu. Dann fragte er:

      »Vor welches Gericht werden die Beiden gestellt werden?«

      »Vor die Assisen.«

      »Und der Staatsanwalt?«

      Wir müssen hier noch einen andern tragischen Vorfall erwähnen, der sich in Digne zutrug. Es wurde ein Mann wegen Mordes zum Tode verurtheilt, ein Unglücklicher, der nicht gerade ein gebildeter Mann, aber auch nicht ganz unwissend war, und der sich als Akrobat und öffentlicher Schreiber sein Brod auf den Jahrmärkten verdiente. Der Prozeß erregte große Sensation. An dem Tage vor der Hinrichtung wurde der Gefängnißgeistliche krank, und da man einen Priester brauchte, der den armen Sünder auf seinem letzten Gange begleiten sollte, so schickte man nach dem Stadtgeistlichen. Dieser aber weigerte sich, wie es heißt, mit rücksichtsloser Deutlichkeit: »Das geht mich nichts an«, ließ er sich vernehmen, »ich werde es bleiben lassen, mich mit dem Hanswurst zu befassen. Außerdem bin ich selber krank, und es ist Überhaupt nicht mein Beruf.« Seine Aeußerungen wurden dem Bischof hinterbracht, und dieser sagte: »Der Herr Pfarrer hat Recht. Es ist nicht sein Beruf. Aber es ist der meinige.«

      Er begab sich auch unverzüglich in das Gefängniß, ließ sich in die Zelle des »Hanswurstes« führen, redete ihn mit seinem Namen an, ergriff seine Hand und sprach zu ihm. Den ganzen Tag blieb er bei ihm, versagte sich Essen, Trinken und Schlaf, betete zu Gott für die Seele des Verurtheilten und ermahnte den Unglücklichen seines Seelenheils zu gedenken. Er predigte ihm die besten Wahrheiten, nämlich die einfachsten. Er sprach mit ihm wie ein Vater, ein Bruder, ein Freund; und kehrte den Bischof nur hervor, um ihn zu segnen. Er unterwies ihn, indem er ihn beruhigte und tröstete. Der Mann sah seinem letzten Augenblick mit Verzweiflung entgegen. Der Tod war ihm ein Abgrund, an dessen Rand er schaudernd zurückbebte. Er war nicht so roh, daß er völlig stumpf hätte sein können. Seine Verurtheilung hatte ihn bis in sein Innerstes erschüttert und gewissermaßen jene Schranke hie und da niedergerissen, die das Geheimniß der Dinge unsern Blicken entzieht, und die wir das Leben nennen. Durch die Breschen blickte er ohne Unterlaß über diese Welt hinaus und sah nur Finsterniß. Der Bischof aber zeigte ihm ein Licht.

      Am andern Tag als der arme Sünde geholt wurde, war der Bischof gegenwärtig. Er ging neben ihm und zeigte sich den Augen der Menge im violetten Mantel, mit dem Bischofskreuze am Halse neben einem mit Stricken gefesselten Verbrecher.

      Er stieg mit ihm auf den Karren, stieg mit ihm auf das Schaffot. Der Delinquent, der Tags zuvor niedergedrückt und verzweifelt gewesen, sah gefaßt aus. Er hatte das Gefühl, daß seine Seele Erlösung gefunden und bald mit ihrem Gott vereinigt sein werde. Der Bischof umarmte ihn und sagte in dem Augenblick, als das Fallmesser der Guillotine herabstürzen sollte: »Wen Menschen töten, den läßt Gott wiederauferstehn; wen seine Brüder verjagen, der findet den Vater. Bete, glaube, gehe in das ewigen Leben ein: der Vater ist da, dich aufzunehmen.« СКАЧАТЬ