Название: Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen
Автор: Sibylle Reith
Издательство: Bookwire
Жанр: Медицина
isbn: 9783754949412
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„Die Ergebnisse zeigen weiter, dass die höchste Anzahl von Chemikalien in einer Person 54 betrug, während der Medianwert der gefundenen Chemikalien bei 41 lag. Mindestens 13 der gleichen Chemikalien wurden in jeder einzelnen getesteten Person gefunden, darunter Chemikalien, die in Europa vor mehr als 20 Jahren verboten wurden, aber auch Chemikalien, die heute weit verbreitet sind, wie Phthalate und perfluorierte Verbindungen.“ [Ü.d.A., Hervorhebung durch die Autorin] 3.2.6/4 Panda
3.3 Chemikalien, Schwermetalle, Feinstaub und Elektrosmog
Von was sprechen wir beim Thema Umweltschadstoffe? In diesem Unterkapitel werden exemplarisch einige Umweltschadstoffe beschrieben, ihre (toxischen) Eigenschaften, ihr Aufkommen und ihre Wirkung auf unsere Gesundheit. Die vorgestellten Schadstoffe sind Teil der alltäglichen kollektiven Grundbelastung in der Bevölkerung.
3.3.1 Chemikalien und Kunststoffe
Synthetische Substanzen
1907 wurde „Bakelit“ erfunden, das war der erste Kunststoff, der keine in der Natur bekannten Moleküle enthielt, also vollständig synthetisch hergestellt wurde. Synthetische Kunststoffe bestehen aus Erdöl, das aufbereitet wird. Nach dem zweiten Weltkrieg begann mit der Erfindung von Polyvinylchlorid/PVC, das aus den Abfällen der chemischen Industrie hergestellt wurde, ein rasanter Anstieg der Produktion, der bis heute anhält.
Die Langzeit- und Kombinationswirkungen synthetischer Materialien werden nicht ansatzweise systematisch untersucht. Das Design solcher Studien würde dem Lottospiel gleichen, allerdings nicht mit 49 Komponenten, sondern mit Millionen. Das ist unüberschaubar. Dennoch befinden sich Chemikalien heute in unseren Alltagsprodukten.
Der menschliche Organismus wird zum Versuchslabor der Langzeit- und Kombinationswirkungen. |
Der US-amerikanische Chemical Abstract Service/CAS gilt als klassische Referenzdatenbank für chemische Substanzen. Jeden Tag werden etwa 12.000 neue Substanzen in die CAS-Registry Datenbank aufgenommen. Derzeit sind insgesamt über 140 Millionen Substanzen registriert, darunter auch genbiologisch relevante Stoffe, wie DNA-Sequenzen und Eiweißstoffe.
Heute werden weltweit jedes Jahr ca. 500 Millionen Tonnen Chemikalien produziert.Chemikalien können krebserregend, erbgut- oder fortpflanzungsschädigend sein, hormonelle Ampeln von Rot auf Grün schalten, oder umgekehrt (fachsprachlich: endokrine Disruptoren), sie können persistierend (langlebig) sein und sich in der Umwelt ansammeln (bioakkumulativ). |
Abb. 3.3.1/1 Chemikalien: Schädlichkeit kaum untersucht
Prof. Dr. Martin von Bergen, Helmholtz-Institut München, im Erklär-Video: „Exposom“:
„Weltweit sind über 140 Millionen künstliche Chemikalien bekannt, nur 22.000 davon sind im Rahmen der europäischen Chemikalienzulassung REACH seit 2008 registriert worden. Schätzungsweise 70.000 Substanzen befinden sich im täglichen Gebrauch, darunter sind Gifte wie Pestizide und Herbizide, aber auch Stoffe wie Weichmacher, sogenannte Phtalate, die zur Verbesserung der Haptik von Gebrauchsgegenständen dienen.“ 3.3.1/1 (Abb.) Von Bergen
Zum Beispiel: Mikroplastik
Als Mikroplastik werden Plastikteilchen von mikrometrischer Größe bezeichnet. Zu finden sind die Teilchen überall: In den Ozeanen (ca. 70 Millionen Tonnen), im Boden und in der Luft, in Lebensmitteln, u.a. in Salz und in Fischen, selbst in der menschlichen Plazenta.
Charles Rolsky von der Arizona State University und Kollegen untersuchten 47 menschliche Gewebeproben auf Mikro- und Nanoplastik – sie wurden zu 100 Prozent fündig, wie sie auf der virtuellen Jahrestagung der American Chemical Society 2021 berichten.
Zuvor hatte Kieran Cox von der Universität in Victoria/Kanada mit seinem Team schon 2019 gezeigt, dass erwachsene Amerikaner durchschnittlich zwischen 39.000 und 52.000 Plastikpartikel jährlich mit der Nahrung aufnehmen, wobei die Anzahl auf 74.000 bis 121.000 Partikel pro Jahr anstieg, wenn die Aufnahme über die Atmung hinzugerechnet wurde. 3.3.1/1 Cox et al.
Die Gesundheitsgefahr potenziert sich durch die Tatsache, dass Nanoplastik eine extrem große spezifische Oberfläche hat, an der Giftstoffe oder Schwermetalle binden können und so in den Organismus gelangen. Studien mit Wildtieren zeigten bereits, dass Mikro- und Nanoplastik Krebs, Unfruchtbarkeit und Entzündungen auslösen können.
Zwei Physiker, Jean-Baptiste Fleury von der Universität des Saarlandes und Vladimir Baulin von der Universität Tarragona, haben nun eine sehr beunruhigende entzündliche Wirkung an Lipidmembranen nachgewiesen, die die letzte Schutzbarriere der Zellen gegenüber der Umwelt darstellen. Mikroplastik dehnt die Membrane der roten Blutkörperchen und reduziert dadurch signifikant deren mechanische Stabilität.
„Anscheinend entzündet sich die Membran der roten Blutkörperchen des Menschen spontan“ erklärt Jean-Baptiste Fleury. 3.3.1/2 Uni Saarland
Zum Beispiel: Pestizide
Als Pestizide werden chemische Stoffe bezeichnet, die Organismen (Tiere, Pilze, Pflanzen, Mikroorganismen) abtöten oder lebenswichtige Funktionen blockieren. Im Jahr 2016 waren 1.453 Pestizidprodukte in Deutschland zugelassen. Auf einem Hektar Ackerland werden jährlich durchschnittlich 2,5 Kilogramm Pestizide eingesetzt.
Man unterscheidet:
„Pflanzenschutzmittel“: Im Agrar-, Forst- und Gartenbereich werden sie in Form von Saatgutbeizung, Spritzung oder als Granulat eingesetzt. Dazu gehören: Herbizide („Unkraut“vernichtung) als quantitativ stärkste Gruppe, sowie Fungizide (gegen Pilzbefall), Insektizide (gegen Insekten) und Akarizide (gegen Spinnen).
Biozide: Substanzen und Produkte, die im nicht-agrarischen Bereich gegen Insekten, Mäuse oder Ratten, aber auch Algen, Pilze oder Bakterien eingesetzt werden.
Die Zulassung von Pestiziden wird vom Landwirtschaftsministerium koordiniert, das sich mit weiteren vier Behörden abstimmt. Das schwerfällige Verfahren führt zu erheblichen, teils jahrelangen Verzögerungen der Überprüfungen.
Pestizidbelastung durch Abdrift
Im September 2020 wurde eine Studie zur Pestizidbelastung durch Luftverfrachtung (fachsprachlich: Abdrift) veröffentlicht, die das Umweltinstitut München gemeinsam mit dem Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (dem 45 Bio-Unternehmen, die Bürgerinitiative Landwende und die Schweisfurth-Stiftung angehören) in Auftrag gegeben hatte. An 116 Standorten in ganz Deutschland wurde die Luft auf Pestizide untersucht, darunter auch Schutzgebiete. Gesammelt wurde in u.a. durch Passivsammler und mit Hilfe von Luftfiltermatten aus Passivhäusern. Das Umweltinstitut informierte:
In nahezu allen Proben wurden Rückstände von mehreren Pestiziden gefunden – egal, ob auf dem Land, in Schutzgebieten oder in der Stadt untersucht wurde. |
Insgesamt fanden sich in den verschiedenen Sammelmedien 124 unterschiedliche Pestizidwirkstoffe sowie 14 Abbauprodukte von Pestiziden.
Darunter waren auch fünf Substanzen, für die – nach Einschätzung der für die Bewertung von Pestiziden zuständigen Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA – die Luftverfrachtung nicht СКАЧАТЬ