Название: Germinal
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754175019
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Er begriff nur eins: der Schacht verschlang Menschen in Bissen zu zwanzig und dreißig und mit einem so leichten Schlucken, als fühle er gar nicht ihren Durchgang. Um vier Uhr begann der Abstieg der Arbeiter. Sie kamen aus der Baracke, barfüßig, mit der Laterne in der Hand, in kleinen Gruppen wartend, bis sie in genügender Anzahl waren. Geräuschlos, gleich dem stillen Auftauchen eines Nachttieres erschien der Eisenkäfig aus der finsteren Tiefe und setzte sich auf die Riegel mit seinen vier Stockwerken, deren jedes zwei mit Kohlen gefüllte Hunde enthielt. Auf den verschiedenen Absätzen holten Arbeiter die Hunde heraus und ersetzten sie durch andere, entweder leere oder mit Grubenholz beladene. In den leeren Hunden nahmen die Arbeiter Platz zu fünf und fünf bis zu vierzig auf einmal, wenn sie alle Abteilungen einnahmen. Eine Weisung erging durch das Sprachrohr, darauf folgte ein dumpfes, undeutliches Brüllen, während man viermal an dem Seil des unteren Signals zog, um die Ankunft dieser Ladung von menschlichem Fleisch anzukündigen. Nach einem leichten Emporschnellen sank die Schale geräuschlos hinab, fiel wie ein Stein und ließ nichts hinter sich zurück als den zitternden Lauf des Seiles.
»Ist es tief?« fragte Etienne einen Grubenarbeiter, der neben ihm stand und mit schläfriger Miene wartete, bis die Reihe an ihn kam.
»Fünfhundertvierundfünfzig Meter«, sagte der Mann. »Aber es sind vier Absätze, den ersten in einer Tiefe von dreihundertundzwanzig Meter.«
Beide schwiegen und richteten die Augen auf das Seil, das jetzt emporstieg. Etienne fragte wieder:
»Und wenn es reißt?«
»Wenn es reißt...«
Der Grubenarbeiter beendete den Satz mit einer Gebärde. Er war an der Reihe, die Schale war mit ihrer leichten, mühelosen Bewegung wieder erschienen. Er hockte darin nieder in Gesellschaft von Kameraden, und die Schale versank; nach kaum vier Minuten tauchte sie wieder auf, um eine neue Ladung von Männern zu verschlingen. Eine halbe Stunde lang fraß der Schacht in dieser Weise Menschen mit einem mehr oder minder gierigen Schlund, je nach der Tiefe des Absatzes, wohin sie abstiegen, aber unaufhörlich, immer hungrig, ein Riesendarm, der ein Volk zu verdauen vermochte. Es füllte sich wieder und immer wieder, und die finstere Tiefe blieb stumm, die Schale stieg mit der nämlichen gefräßigen Stille aus der Leere auf.
Etienne wurde schließlich von demselben Unbehagen ergriffen, das er schon auf dem Hügel gefühlt hatte. Was nützte seine Hartnäckigkeit? Der Oberaufseher verabschiedete ihn ebenso wie die anderen. Eine unbestimmte Angst brachte ihn plötzlich zu einem Entschlusse: er ging fort und machte draußen erst vor dem Gebäude der Dampferzeuger halt. Das weit offene Tor ließ sieben Kessel mit je zwei Herden sehen. Inmitten des weißen Dunstes und des unter lautem Pfeifen entweichenden Dampfes war ein Heizer damit beschäftigt, einen der Feuerherde frisch zu füllen, dessen sengende Glut man bis zur Schwelle fühlte. Dieser Wärme sich freuend, trat der junge Mann näher, als er einem neuen Trupp von Kohlenarbeitern begegnete, die eben bei der Grube eintrafen. Es waren die Maheu und die Levaque. Als er an der Spitze des Trupps Katharina mit ihrem gutmütigen Knabenantlitz erblickte, kam ihm der abergläubische Gedanke, noch eine letzte Frage zu wagen.
»Sagen Sie, Kamerad, braucht man hier nicht einen Arbeiter für irgendwelche Arbeit?«
Sie sah ihn überrascht an, ein wenig erschreckt über diese plötzlich aus dem Dunkel auftauchende Stimme. Doch Maheu, der hinter ihr kam, hatte die Frage gehört und beantwortete sie, indem er sich einen Augenblick zum Plaudern gönnte. Nein, man bedürfe keines Arbeiters, sagte er. Dieser arme Teufel, dieser herumirrende Arbeiter interessierte ihn. Als er ihn verließ, sagte er zu den anderen:
»Schaut, so könnte es auch uns ergehen!... Man muß nicht allzuviel klagen. Nicht alle haben Arbeit bis über den Kopf.«
Der Trupp trat ein und begab sich geradeswegs zur Baracke, einem weiten Saal mit grobem Kalkbewurfe, ringsum mit Schränken angefüllt, die mit Vorlegeschlössern verschlossen waren. In der Mitte stand ein eiserner Kamin, eine Art Ofen ohne Tür, feuerrot, dermaßen vollgestopft mit glühender Kohle, daß einzelne Stücke platzten und auf den gestampften Boden herausfielen. Der Saal war nur durch diesen Ofen erhellt, dessen blutroter Widerschein an dem schmutzigen Gebälke tanzte bis hinauf zu der mit schwarzem Staube belegten Decke.
Als die Maheu ankamen, herrschte ein lautes Gelächter in dem heißen Saale. Etwa dreißig Arbeiter standen mit dem Rücken zum Feuer gewandt, mit einer Miene des Behagens sich röstend. Vor dem Abstieg kamen alle hierher und nahmen in ihrer Haut ein Stück Wärme mit, um der Feuchtigkeit des Schachtes Trotz bieten zu können. An diesem Morgen gab es einen Spaß; man scherzte mit der Mouquette, einer Schlepperin von achtzehn Jahren, einer gutmütigen Dirne, deren riesiger Busen und Hinterteil Jacke und Hose zu sprengen drohten. Sie wohnte zu Requillart mit ihrem Vater, dem alten Mouque, der als Stallknecht diente, und ihrem Bruder Mouquet, der bei der Winde beschäftigt war; da die Arbeitsstunden nicht für alle die nämlichen waren, ging sie allein zur Grube. Zur Sommerszeit im Getreide, zur Winterszeit an eine Mauer gelehnt, gab sie sich dem Vergnügen hin in Gesellschaft des für die Woche erkorenen Schatzes. Das ganze Bergwerk kam an die Reihe, sämtliche Kameraden in einer bestimmten Reihenfolge, ohne daß die Sache weitere Folgen hatte. Als man eines Tages sie mit einem Nagelschmied von Marchiennes aufzog, barst sie schier vor Zorn und schrie, daß sie zuviel Selbstachtung habe und sich einen Arm abhacken werde, wenn jemand sie mit einem anderen als mit einem Kohlenarbeiter gesehen habe.
»Ist's denn nicht mehr der lange Chaval?« fragte ein Arbeiter spöttisch. »Du hast diesen Kleinen genommen? Aber der braucht ja eine Leiter!... Ich sah euch neulich hinter Réquillart. Er war auf einen Eckstein gestiegen...«
»Was weiter?« erwiderte die Mouquette wohlgelaunt. »Was hat es dich zu kümmern? Man hat dich nicht gerufen, um nachzuhelfen.«
Diese gutmütige Derbheit erregte neue Heiterkeitsausbrüche der Männer, die ihre halb gebrannten Schultern blähten, während sie selbst vom Lachen geschüttelt in ihrem schamlosen Kostüm unter ihnen herumging, das mit den bis zur Ungesundheit angeschwollenen Fleischklumpen komisch und beängstigend zugleich war.
Doch bald ließ die Heiterkeit nach. Die Mouquette erzählte Maheu, daß die lange Fleurance nicht mehr kommen werde; man habe sie gestern tot und starr in ihrem Bette gefunden. Die einen redeten von einem Herzübel, die anderen von einer allzu hastig geleerten Schnapsflasche. Maheu war verzweifelt über diese Nachricht; es sei nun wieder ein Unglück, er verliere eine seiner Hilfsarbeiterinnen, ohne sie sogleich ersetzen zu können. Er arbeitete im Akkord; sie waren ihrer vier Häuer in seinem Schlag; er, Zacharias, Levaque und Chaval; wenn sie nur mehr Katharina als Schlepperin hätten, werde die Arbeit sicherlich leiden. Plötzlich rief er aus:
»Halt! Und der Mann, der vorhin Arbeit suchte?«
Eben kam Dansaert an der Baracke vorüber. Maheu erzählte ihm die Geschichte und bat um die Ermächtigung, den Mann anzuwerben; dabei betonte er das Bestreben der Gesellschaft, die Hilfsarbeiterinnen durch Burschen zu ersetzen wie in Anzin. Der Oberaufseher lächelte zuerst, denn der Vorschlag, die Frauen von der Grubenarbeit auszuschließen, mißfiel gewöhnlich den Bergleuten, die um die Anstellung ihrer Töchter besorgt waren, wenig berührt durch die Frage der Sittlichkeit und der Gesundheit. Nach kurzem СКАЧАТЬ