Название: Germinal
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754175019
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»Seht, dort liegt Montsou!« sagte jetzt der Kärrner laut und wandte sich nach Süden.
Wieder streckte er die Hand aus und zeigte im Dunkel auf unsichtbare Punkte in dem Maße, wie er sie nannte. Fauvelles Zuckerfabrik in Montsou halte sich noch, Hotons Zuckerfabrik jedoch verringere ihre Arbeiter; nur Dutilleuls Müllerei und Bleuzes Seilerei hätten noch zu tun. Dann zeigte er mit einer weiten Handbewegung den halben Horizont im Norden; die Bauwerkstätten Sonnevilles hätten dieses Jahr nicht zwei Drittel ihrer sonstigen Aufträge bekommen; von den drei Hochöfen der Eisenwerke zu Marchiennes seien bloß zwei angeblasen; in der Glasfabrik Gagebois endlich drohe ein Ausstand, weil man von einer Herabsetzung der Arbeitslöhne spreche.
»Ich weiß, ich weiß«, wiederholte der junge Mann bei jeder dieser Auskünfte. »Ich komme von dort.«
»Bei uns ist es bisher noch erträglich«, fügte der Kärrner hinzu. »Und doch haben die Kohlengruben überall ihren Betrieb eingeschränkt. Da drüben auf dem Siegeswerk brennen auch nur mehr zwei Koksöfen.«
Er spie und ging wieder hinter seinem schlummernden Gaul her, den er von neuem vor die leeren Hunde gespannt hatte.
Jetzt konnte Etienne mit seinem Blick die ganze Gegend umfassen. Es herrschte noch immer eine tiefe Finsternis; aber die Hand des Alten hatte sie gleichsam mit einem großen Elend angefüllt, das der junge Mann jetzt unwillkürlich überall ringsumher in der ganzen unermeßlichen Ausdehnung fühlte. War's nicht ein Schrei des Hungers, den der Märzwind durch diese kahle Landschaft trug? Die Windstöße waren stärker geworden; sie schienen den Tod der Arbeit mit sich zu führen, eine Hungersnot, die viele Menschen zu töten drohte. Seine irrenden Augen strengten sich an, die Finsternis zu durchdringen, gepeinigt von dem Verlangen und der Furcht zu sehen. Alles verlor sich in der Tiefe der nächtlichen Finsternis; er sah nichts als in weiter Ferne die Hochöfen und die Koksöfen. Die letzteren, Batterien zu hundert schief sitzender Schlote, dehnten ihre Rampen von roten Flammen dahin, während die beiden mehr nach links gelegenen Hochöfen unter freiem Himmel mit blauen Flammen brannten gleich Riesenfackeln. Es war traurig wie auf einer Brandstätte; keine anderen Lichter waren zu sehen an diesem drohenden Horizont als diese nächtlichen Feuer der Eisen und Kohle erzeugenden Länder.
»Sind Sie vielleicht aus Belgien?« fragte jetzt hinter Etienne der Kärrner, der zurückgekehrt war.
Diesmal brachte er nur drei Hunde; man konnte sie immerhin ausleeren. Im Aufzugsschachte war eine Schraubenmutter gebrochen, und dieser Unfall störte die Arbeit eine gute Viertelstunde. Am Fuße des Hügels war es still geworden. Die Männer an der Winde hatten aufgehört, mit ihrer Arbeit die Gerüste in unaufhörlicher Erschütterung zu erhalten. Nur aus der Grube tönte das ferne Geräusch eines Hammers herauf, der auf Blech losschlug.
»Nein, ich bin aus dem Süden«, antwortete der junge Mann.
Der Handlanger hatte die Hunde ausgeleert und sich dann auf die Erde gesetzt, ganz froh über den Unfall, der ihm eine kurze Ruhe gestattete. Er bewahrte seine stille Scheu und erhob die matten Augen ganz erstaunt zu dem Kärrner, gleichsam verdrossen über so viele Worte. Der letztere hatte in der Tat nicht die Gewohnheit, soviel zu reden. Das Gesicht des Fremden mußte ihm gefallen, und er wurde augenscheinlich von jenem Drang nach Vertraulichkeit erfaßt, der zuweilen bewirkt, daß alte Leute von selbst und ganz laut zu plaudern beginnen.
»Ich bin von Montsou,« sagte er, »und heiße Bonnemort.« (Gutertod.)
»Das ist wohl ein Spitzname?« fragte Etienne erstaunt.
Der Alte grinste vergnügt und sagte, nach dem Voreuxschachte zeigend:
»Ja, ja ... Man hat mich dreimal in Stücken von dort herausgezogen. Das erstemal war mir alles Haar weggesengt, das zweitemal steckte ich in der Erde bis an den Kropf; das drittemal war der Bauch von Wasser angeschwollen wie der eines Frosches ... Da sahen die Leute, daß ich nicht hin werden wollte, und nannten mich Bonnemort, freilich nur so zum Spaß.«
Er begann dabei zu kichern; es klang wie das Kreischen eines eingerosteten Brunnenschwengels und artete schließlich in einen furchtbaren Hustenanfall aus. Der Feuerkorb beleuchtete jetzt vollständig seinen dicken Kopf mit den weißen, schütteren Haaren und dem flachen, bleichen, bläulich gefleckten Gesichte. Er war klein von Gestalt, hatte einen furchtbar dicken Hals, die Waden und Fersen nach außen gekehrt, lange Arme, deren vierschrötige Hände auf seinen Knien ruhten. Er schien übrigens von Stein zu sein wie sein Pferd, das unbeweglich auf den Beinen stand, völlig unbekümmert um den Wind; die Kälte und der Wind, der ihn um die Ohren pfiff, ließen ihn unberührt. Wenn er gehustet hatte -- wobei ein tiefes Röcheln seinen Hals zu zerreißen schien -- spie er am Fuße des Feuerkorbes aus, und die Erde färbte sich schwarz.
Etienne betrachtete ihn und dann den Boden, auf den der Alte in solcher Weise schwarze Flecke warf.
»Ist's schon lange her, daß Ihr in der Grube arbeitet?« hub Etienne wieder an.
Bonnemort tat die beiden Arme weit auseinander und erwiderte:
»Lange? Ach, ja ... Ich war noch nicht acht Jahre alt, als ich in den Voreuxschacht einfuhr; jetzt zähle ich achtundfünfzig. Rechnen Sie einmal ... Ich habe da drinnen alles gemacht, war zuerst Schlepper, dann Eggenmann, als ich stark genug dazu war, hernach Schaufler achtzehn Jahre lang. Und später, als die vertrackten Beine schlecht wurden, taten sie mich zum Abbau als Füller und Flicker bis zu dem Tage, da sie mich heraufholen mußten, weil der Arzt sagte, daß ich die Knochen da lassen müsse. Jetzt bin ich Kärrner seit fünf Jahren schon ... Fünfzig Jahre Bergwerksarbeit, das ist hübsch, wie? Davon fünfundvierzig in der Grube ...«
Während er so sprach, warfen einzelne brennende Kohlenstücke, die aus dem Korbe gefallen waren, einen blutroten Schein auf sein fahles Gesicht.
»Sie raten mir, in den Ruhestand zu gehen«, fuhr er fort. »Aber ich will nicht; ich bin nicht so dumm!... Ich werde wohl noch zwei Jahre aushalten, bis die Sechzig voll sind, um meine Pension von hundertachtzig Franken zu bekommen. Wenn ich heute meinen Abschied nehme, würden sie mir nur hundertfünfzig bewilligen. Es sind gar pfiffige Kerle!... Ich bin übrigens noch kräftig, von den Beinen abgesehen. Das Wasser ist mir unter die Haut gedrungen, weil ich in den Stollen gar so sehr naß geworden bin. Es gibt Tage, an denen ich kein Glied rühren kann, ohne vor Schmerz aufzuschreien.«
Ein Hustenanfall unterbrach ihn wieder.
»Ihr habt auch den Husten davon?« fragte Etienne.
Er schüttelte heftig den Kopf. Als er wieder reden konnte, sagte er:
»Nein, nein; ich habe mich im vorigen Monat erkältet. Niemals habe ich gehustet, jetzt aber kann ich den Husten nicht los werden. Und das Komische dabei ist, daß ich speie....«
Ein Röcheln stieg wieder in seiner Kehle auf, und er spie.
»Ist das Blut?« wagte Etienne endlich zu fragen.
Bonnemort wischte sich mit dem Handrücken langsam den Mund ab.
»Das ist Kohle«, sagte er. »Ich habe in meinem Leichnam genug davon, um mich bis an das Ende meiner Tage zu wärmen. Und doch habe ich seit fünf Jahren keinen Fuß mehr in die Gruben gesetzt. Wie es scheint, habe ich die Kohle aufgespeichert, ohne es zu wissen. Bah! Das hält die Knochen zusammen!«
Es trat wieder ein Schweigen ein; der Hammer in der Ferne führte regelmäßige Schläge; der Wind fuhr klagend dahin wie ein Schrei des Hungers und der Ermüdung, der aus СКАЧАТЬ