»Und wenn er ihnen ein mageres Huhn wünschte,« bemerkte Celia, »so wäre das doch keine angemessene Speise. Aber vielleicht wünschte er, sie sollten fette Hühner haben.«
»Ja, aber dieses Wort ist im Texte ausgelassen, oder war vielleicht subauditum; das will sagen: von dem Könige gemeint, aber nicht ausgesprochen,« erklärte Casaubon, indem er lächelnd den Kopf zu Celia hinneigte, welche sofort ein wenig zurücktrat, weil es ihr unerträglich war, wenn Casaubon sie anblinzelte.
Dorothea wurde auf dem Rückwege nach dem Hause ganz schweigsam. Sie empfand eine gewisse Enttäuschung, deren sie sich gleichwohl schämte, darüber, daß in Lowick nichts für sie zu tun sei, und malte sich aus, wie sie es vorgezogen haben würde, ihre neue Heimat in einem Kirchspiele zu finden, in welchem größeres Elend geherrscht hätte, so daß sie in demselben mehr Gelegenheit zu tätiger Pflichterfüllung gefunden hätte. Dann wandte sie sich wieder ihrer Zukunft zu und beruhigte sich in dem Gedanken, daß sie sich noch vollständiger den Zwecken Casaubons zu widmen und damit neue Pflichten zu übernehmen haben werde. Viele solche Pflichten würden sich ihr vielleicht erst nach Erlangung der höheren Erkenntnis offenbaren, welche sie in dem Zusammenleben mit ihrem künftigen Gatten gewinnen würde.
Herr Tucker verließ die Gesellschaft bald wieder, da ihm einige Amtsgeschäfte oblagen, welche es ihm nicht gestatteten, bei Casaubon zu frühstücken. Als sie durch das kleine Gitter wieder in den Garten traten, sagte Casaubon:
»Du siehst etwas traurig aus, Dorothea. Ich hoffe, Du bist befriedigt von dem, was Du eben gesehen hast.«
»Mich bewegt etwas, was vielleicht närrisch und verkehrt ist,« antwortete Dorothea mit ihrer gewöhnlichen Offenheit, »ich wünschte beinahe, daß die Leute hier in einer Lage wären, in welcher man mehr für sie tun müßte. Ich habe bis jetzt so wenig Gelegenheit gehabt, mein Leben irgendwie nützlich zu machen, daß meine Begriffe von dem was nützlich ist, daher natürlich beschränkt sind. Ich muß neue Mittel kennen lernen, mich hilfreich zu erweisen.«
»Ohne Zweifel,« erwiderte Casaubon. »Jede Lage des Lebens bringt ihre entsprechenden Pflichten mit sich. Die Erfüllung Deiner Pflichten, als Herrin von Lowick, wird Dir hoffentlich kein Verlangen unerfüllt lassen.«
»Das hoffe ich zuversichtlich,« entgegnete Dorothea ernst. »Denke nicht, daß ich traurig bin.«
»Das ist gut. Wenn Du nicht ermüdet bist, wollen wir auf einem anderen Wege, als auf dem wir vorhin gegangen sind, nach Hause zurückkehren.«
Dorothea war durchaus nicht ermüdet, und man machte einen Umweg in der Richtung des schönen Eibenbaumes, welcher von Alters her die Hauptzierde des Gartens an dieser Seite des Hauses war. Als sie sich dem Baume näherten, wurde eine sitzende männliche Gestalt sichtbar, die sich von dem dunklen Hintergrunde des immergrünen Laubes abhob: Es war ein junger Mann, welcher den alten Baum skizzierte.
Herr Brooke, der mit Celien voranging, wandte sich um und sagte:
»Wer ist der junge Mensch, Casaubon?«
Sie waren dem Baume bereits sehr nahe gekommen als Casaubon antwortete:
»Das ist ein junger Verwandter von mir, ein Groß-Cousin, – der Enkel der Dame,« fügte er mit einem Blicke auf Dorothea hinzu, »deren Porträt Dir aufgefallen ist, meiner Tante Julie.«
Der junge Mann hatte sein Skizzenbuch bei Seite gelegt und war ausgestanden. Seine dichten, hellbraunen Locken und seine jugendliche Gestalt, ließen keinen Zweifel darüber, daß es derselbe junge Mann sei, welchen Celia vorhin aus der Entfernung gesehen hatte.
»Dorothea, erlaube mir Dir meinen Vetter Ladislaw vorzustellen, Will, das ist Fräulein Brooke.«
Der Vetter stand Dorotheen jetzt ganz nahe, und sie sah, als er seinen Hut abnahm, ein Paar graue, etwas dicht zusammenstehende Augen, eine feine unregelmäßige Nase mit einer kleinen Falte, und in den Nacken fallende Locken; Mund und Kinn dagegen traten mehr hervor und hatten einen herausfordernderen Ausdruck, als es bei dem Porträt der Großmutter der Fall war. Der junge Ladislaw schien es nicht für notwendig zu halten, verbindlich zu lächeln, als sei er entzückt über die Vorstellung seiner künftigen Cousine und ihrer Verwandten, sondern zeigte eher etwas von verdrossener Unzufriedenheit in seinen Mienen.
»Sie sind Künstler, wie ich sehe,« sagte Herr Brooke, indem er das Skizzenbuch in seiner ungenierten Weise in die Hand nahm und durchblätterte.
»Nein, ich skizziere nur ein wenig. In dem Skizzenbuch ist nichts des Ansehens Wertes,« erwiderte der junge Ladislaw, indem er vielleicht mehr aus übler Laune, als aus Bescheidenheit errötete.
»O nicht doch, das hier ist eine recht hübsche Skizze. Ich habe selbst meiner Zeit ein wenig auf diesem Gebiete dilettiert, wissen Sie. Seht einmal her, das nenne ich hübsch gemacht, con brio, wie wir es in der Kunstsprache nennen.«
Mit diesen Worten hielt Herr Brooke den beiden Mädchen eine große kolorierte Skizze eines Felsgrundes mit Bäumen und einem Teiche hin.
»Ich verstehe nichts von solchen Dingen,« sagte Dorothea nicht kalt, aber mit einer entschiedenen Ablehnung des Appells an ihr Urteil. »Du weißt Onkel, ich kann die Bilder, welche, wie Du sagst, so hoch gepriesen werden, nie schön finden. Diese Bilder reden eine Sprache, welche ich nicht verstehe Ich denke mir, es besteht eine Beziehung zwischen den Werken der Malerei und der Natur, welche ich herauszufühlen zu unwissend bin, – grade wie Du den Sinn einer griechischen Sentenz verstehst, welche mir nichts sagt.«
Dorothea blickte zu Casaubon auf, der seinen Kopf zu ihr hinneigte, während Herr Brooke lächelnd und in nachlässigem Tone sagte:
»Merkwürdig, wie verschieden die Menschen sind. Aber Ihr seid verkehrt unterrichtet, weißt Du, sonst ist das grade das Rechte für Mädchen, skizzieren, schöne Künste und was dahin gehört. Aber Du hast Dich aufs Plänezeichnen gelegt; Du verstehst nichts von Morbidezza und dergleichen. Sie werden uns hoffentlich besuchen, und dann werde ich Ihnen zeigen, was ich selbst in dieser Art gemacht habe,« fuhr er gegen den jungen Ladislaw gewandt fort, der ganz in die Betrachtung Dorotheens versunken schien.
Ladislaw war davon durchdrungen, daß sie ein unangenehmes Mädchen sein müsse, weil sie Casaubon heiraten wolle, und was sie über ihre Unempfänglichkeit für Bilder sagte, würde ihn nur in seiner Meinung bestärkt haben, selbst wenn er ihren Worten geglaubt hätte; in der Tat aber hielt er ihre Äußerungen nur für ein ausweichendes Urteil und war überzeugt, daß sie seine Skizze abscheulich finde. Ihre ablehnende Entschuldigung war viel zu fein; sie machte sich nur über ihren Onkel und ihn lustig. Aber welche Stimme! Sie klang wie die Stimme einer Seele, welche einmal in einer Aeolsharfe gelebt hatte. Das mußte sich durch eine der häufigen Inkonsequenzen der Natur erklären lassen. Leidenschaft konnte in der Seele eines Mädchens, welches Casaubon heiraten wollte, nicht wohnen.
Jetzt aber, wo Herr Brooke ihn anredete, verneigte er sich, indem er sich von Dorotheen abwandte, zum Dank für die ihm gewordene Einladung, gegen diesen.
»Wir wollen zusammen meine italienischen Kupferstiche durchblättern,« fuhr der gutmütige Mann fort. »Ich habe eine Masse solcher Sachen, die ich seit Jahren gesammelt habe. Man verbauert hier in dieser Gegend, wissen Sie; Sie nicht, Casaubon, Sie leben in Ihren Studien; meine besten Ideen treten ganz zurück – kommen außer Gebrauch, wissen Sie. Ihr begabten jungen Leute müßt Euch vor Indolenz hüten. Ich war zu indolent, wissen Sie, sonst hätte ich in einer gewissen Zeit meines Lebens Alles erreichen können.«
»Das ist eine rechtzeitige Warnung,« sagte Casaubon; »aber jetzt wollen wir ins Haus gehen, damit die jungen СКАЧАТЬ