Название: Middlemarch
Автор: George Eliot
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752988956
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Will standen die kläglichen Beispiele eines langen Wachstums und Blühens ohne Frucht klar vor Augen und, hätte ihn nicht seine Dankbarkeit davon abgehalten, er würde Casaubon verlacht haben, dessen emsig gesammelte Bände von Kollektaneen und dessen Bemühen, mit seiner kleinen Leuchte einer gelehrten Theorie die Ruinen der Welt zu durchforschen – die Richtigkeit einer Anschauungsweise zu bestätigen schien, welche für Wills rückhaltloses Vertrauen auf die Intensionen des Universums im Betreff seiner selbst nur ermutigend wirken konnte. Er betrachtete dieses Vertrauen als einen Stempel des Genies, und sicherlich ist es kein Stempel des Gegenteils, da das Genie weder in Selbstüberschätzung noch in Demut, sondern in der Kraft besteht, etwas Besonderes zu leisten oder zu schaffen.
Lassen wir ihn daher nach dem Kontinent abreisen, ohne uns im Voraus über seine Zukunft auszusprechen. Von allen Arten des Irrtums ist die Prophetie die willkürlichste.
Für jetzt aber möchte ich diese Vorsicht gegen ein zu rasches Urteil noch mehr auf Casaubon, als auf seinen jungen Vetter angewandt wissen. Wenn Casaubon für Dorothea nur die Veranlassung gewesen war, den schönen entzündbaren Stoff ihrer jugendlichen Illusionen in Flammen zu setzen, – folgt daraus, daß die weniger erregten Personen, welche bisher ein Urteil über ihn ausgesprochen haben, ein getreues Bild von ihm in der Seele trugen. Ich protestiere gegen jeden voreiligen Schluss aus Frau Cadwalladers Verachtung gegen die »Größe der Seele« eines benachbarten Geistlichen, aus Sir James geringschätziger Äußerung über die Beine seines Nebenbuhlers, aus Herrn Brookes vergeblichem Bemühen einem Tischgenossen seine Ideen zu entlocken, oder aus Celiens kritischen Bemerkungen über die persönliche Erscheinung eines Gelehrten von mittleren Jahren. Ich bezweifle, daß der größte Mann seines Zeitalters, wenn es einen Solchen wirklich je gegeben hat, dem Lose einer so unvorteilhaften Wiederspiegelung seines Bildes in den Seelen seiner kleinen Mitmenschen hätte entgehen können; und selbst Milton würde, wenn er sein schönes Gesicht in einem Löffel betrachtet hätte, sich darein haben ergeben müssen, dasselbe die Gestalt eines Kürbisses annehmen zu sehen. Auch die frostige Rhetorik in Casaubons Worten, wo er von sich selbst spricht, ist kein Beweis, daß er nicht feiner Empfindungen und edler Handlungen fähig sei.
Hat nicht ein unsterblicher Physiker und Entzifferer von Hieroglyphen abscheuliche Verse geschrieben? Ist die Theorie des Sonnensystems durch anmutige Manieren und gesellschaftlichen Takt gefördert worden? Wie wäre es, wenn wir, statt einen Mann nach seiner äußeren Erscheinung zu beurteilen, mit eingehenderem Interesse zu erfahren suchten, was ihm sein eigenes Bewusstsein über seine Fähigkeiten oder Handlungen sagt, mit welchen Hindernissen er bei der Vollbringung seines Tagewerks zu ringen hat, welche getäuschte Hoffnungen oder welche tiefgewurzelte Selbsttäuschung die Jahre in ihrem Verlaufe in ihm angesammelt haben, und mit welchem Mute er gegen den von allen Seiten auf ihn einstürmenden Druck der Verhältnisse ankämpft, der endlich doch zu schwer für ihn werden und sein Herz zum Stillstehen bringen wird. Ohne Zweifel ist ihm selbst sein Los von großer Wichtigkeit, und wenn wir finden, daß er einen zu hohen Platz in unserer Achtung beansprucht, so muß das hauptsächlich daran liegen, daß wir überall keinen Platz für ihn haben, da wir ihn von ganzem Herzen der göttlichen Hochachtung empfehlen, – ja wir halten es für einen erhabenen Zug an unserem Nebenmenschen, wenn er das höchste Glück im Jenseits erwartet, wie wenig wir auch hier zu seinem Glücke beizutragen gesonnen sind.
Auch Casaubon bildete den Mittelpunkt seiner eigenen Welt; wenn er gleichwohl den Gedanken hegte, daß Andere von der Vorsehung dazu bestimmt seien seinen Zwecken zu dienen und sie namentlich aus dem Gesichtspunkte ihrer Brauchbarkeit für den Autor des »Schlüssel zu allen Mythologien« betrachtete, so war das ein uns nicht fremder Zug, welcher, wie alle kümmerlichen Hoffnungen sterblicher Menschen, Anspruch aus unser Mitleid hat.
Sicherlich berührte ihn die Angelegenheit seiner Heirat mit Dorotheen näher, als irgend eine der Personen, welche sich bis jetzt mit derselben unzufrieden erklärt haben, und in diesem Augenblicke empfinde ich eine lebhaftere Sympathie für seine Erfolge, als für die Enttäuschung des liebenswürdigen Sir James. Denn in Wahrheit war die Stimmung Casaubons, als der für seine Hochzeit festgesetzte Tag näherrückte, keine gehobene und er fand die Aussicht auf den Garten der Ehe, in welchem doch die Wege von Blumen eingehegt sein sollten, bei anhaltender Betrachtung nicht reizender, als die Gruftgewölbe, in welchen er, die Kerze in der Hand, zu wandeln gewohnt war. Er gestand es sich selbst nicht und würde es noch weniger einem Andern gegenüber auch nur angedeutet haben, wie überrascht er durch die Erfahrung war, daß er zwar ein edles und großgesinntes Mädchen, aber keine neue Freude, welche er doch auch zu finden gehofft hatte, gewonnen habe. Er kannte zwar alle das Gegenteil behauptenden Stellen der Klassiker, aber die Lektüre der Alten wird meistens in einer Weise betrieben, welche hinreichend erklärt, warum den treffendsten Stellen ihrer Werke so wenig Kraft zur Anwendung auf uns selbst bleibt.
Der arme Casaubon hatte sich eingebildet, daß er in seinem langen fleißigen Junggesellenleben die Freude mit Zins auf Zins für sich angesammelt habe und daß große Wechsel auf die Befriedigung seiner Neigungen unfehlbar honoriert werden würden; denn wir Alle, seien wir ernst oder leichtgesinnt, bewegen uns in unserm Denken in Bildern und handeln verhängnisvoll unter ihrem Einfluss. Und jetzt war er in Gefahr, grade durch die Vorstellung betrübt zu werden, daß sein neues Verhältnis ihm ein außerordentliches Glück bringen werde; in den äußern Umständen lag nichts, was einen gewissen Mangel in seiner Empfindung hätte erklären können, welchen er in der Zeit, wo er die gewohnte Stille seiner Lowicker Bibliothek gegen seine Besuche in Tipton-Hof vertauschte, also grade in dem Augenblicke empfand, wo er nur voll freudiger Hoffnung hätte sein sollen. Das war eine traurige Erfahrung, durch welche er sich ebenso entschieden zur Einsamkeit verdammt fühlte, wie in den Momenten der Verzweiflung, welche ihn bisweilen überkam, wenn er sich in seinem Werke wie in einem Sumpfe durchzuarbeiten hatte, ohne anscheinend seinem Ziele näher zu kommen.
Und seine Einsamkeit war die traurigste von allen; denn sie schreckte vor sympathischer Teilnahme zurück. Er mußte wünschen, daß Dorothea ihn für nicht weniger glücklich halte, als er, ihr erfolgreicher Bewerber, der Welt erschien und, soweit seine schriftstellerische Tätigkeit in Betracht kam, lehnte er sich gern an ihr jugendlich ehrfürchtiges Vertrauen; er gefiel sich darin, ihr im Zuhören kundgegebenes frisches Interesse als ein Mittel der Aufmunterung für sich selbst anzusehen und wenn er zu ihr sprach, entwickelte er ihr alle seine Arbeiten und Intentionen in dem wohlüberlegten zuversichtlichen Tone des Pädagogen und befreite sich dabei für den Augenblick von jener eingebildeten Zuhörerschaft, welche ihn in seinen unproduktiven Arbeitsstunden in Gestalt von höllischen Schatten beklemmend umdrängte.
Denn für Dorothea, welche von der Weltgeschichte bisher nichts anderes kannte, als das Kinderspielzeug, welches man eine für junge Damen berechnete Darstellung der Geschichte nennt, wie sie den Hauptbestandteil auch ihres Unterrichts ausgemacht hatte, waren die Mitteilungen Casaubons über sein großes Werk voll von neuen Anschauungen, und dieser Eindruck einer ihr werdenden Offenbarung, die Überraschung, welche ihr die nähere Bekanntschaft mit Stoikern und Alexandrinern, als Leuten, welche den ihrigen nicht ganz unähnliche Ideen gehabt hatten, bereitete, gewährte ihrem eifrigen Streben nach einem ihr eigenes Leben und ihren Glauben mit jener gewaltigen Vergangenheit verbindenden Elemente, durch welches die entlegensten Quellen des Wissens Einfluß aus ihre Handlungen gewinnen könnten, eine augenblickliche Befriedigung.
Der vollständigere Unterricht würde folgen, Alles was ihr noch fehlte, würde Casaubon ihr mitteilen; sie sah der tieferen Einweihung in die Welt der Ideen entgegen, wie sie der Ehe entgegen sah, und vermengte ihre unklaren Vorstellungen von Beidem. Es würde ein großer Irrtum sein, zu glauben, daß Dorothea nach einem Anteil an Casaubons Wissen nur aus dem Gesichtspunkt einer Vervollkommnung ihrer Bildung СКАЧАТЬ