Название: Schule – quo vadis?
Автор: Peter Maier
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783752956931
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Warum hört die Öffentlichkeit viel lieber auf medial „aufgemotzte“ und aufgebauschte fragwürdige Studien und sich selbst inszenierende „Marktschreier“, die vorgeben, als Bildungsexperten „die“ Lösung aller heutigen Jugend- und Schulprobleme in der Tasche zu haben. Ich werde vor allem dann hellhörig und bisweilen auch wütend, wenn solche Stimmen von außerhalb des Schulbereichs kommen und Lehrer pauschal und billig populistisch in eine Ecke drängen nach dem Motto: Die Lehrer seien schuld, wenn Deutschland im Welt-Bildungsverleich nur mittelmäßig abschneidet.
In diese Richtung geht auch Thorsten Dirks, Präsident des IT-Branchenverbandes Bitkom, der die Umsetzung der sogenannten „digitalen Agenda“ von Seiten der Bundesregierung lobt. Als wichtigstes Beispiel kann hier der zügige Ausbau des Breitbandnetzes angeführt werden. Dagegen mache den Firmen der Fachkräftemangel große Sorgen, „… wo nach Aussagen des Bitkom-Chefs zu wenig geschieht. Weil in Deutschland die Länder für die Schul- und Ausbildungspolitik zuständig seien, gebe es große Zuständigkeitsfragen. 'Hier klafft in der Digitalen Agenda an zentraler Stelle eine Lücke', sagt Dirks. Es falle zudem auf, dass die Gesellschaft für die Anforderungen der digitalen Transformation des Landes noch nicht bereit sei ...
Beim Thema Bildung müssten sich die Schulen und Berufsschulen schnell auf die Anforderungen der digitalen Welt einstellen, sagt Dirks. Das müsse sich zum einen an der Ausstattung der Schulen zeigen, aber auch an den Lehrplänen. So sei es beispielsweise aus Sicht seines Verbandes zwingend notwendig, Englisch schon ab der ersten Klasse anzubieten. Zudem müssten die Schüler kompetenter werden, was die Nutzung der neuen Medien angehe.“23
Soweit die klaren Forderungen eines Wirtschaftsverbandes, dessen Firmen sich im weltweiten extremen digitalen Wettkampf befinden. Natürlich muss diese Stimme ernst genommen werden. Hier kann man erahnen, welchem Spannungsfeld die Schulen und vor allem die Lehrer heute ausgesetzt sind, denen es neben der fachlichen Bildung ja vor allem um die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler gehen muss. Davon ist beim IT-Branchenverband Bitkom natürlich überhaupt nicht die Rede. Dieser möchte nur genügend Fachkräfte von den Schulen geliefert bekommen. Schule muss aber viel, viel mehr als bloßer Lieferant von zukünftigen Fachkräften in den MINT-Fächern sein.24 Es muss immer und vor allem um Pädagogik gehen.
Daher soll zum Schluss dieser Überlegungen ganz bewusst noch der Gymnasiallehrer und Kollege Michael Felten zu Wort kommen. In seinem Buch „Auf den Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule“ betrachtet er den ganzen momentanen „Bildungs-Hype“, zu dem auch die zunehmende Digitalisierung von Unterricht und Schule gehört, aus der Perspektive eines betroffenen Pädagogen. Wieder sollen in zehn Thesen einige seiner Gedanken vorgestellt werden.25
Der Lehrer ist wichtig
1. These
Die gegenwärtige Bildungsdiskussion wird von Bildungsjournalisten immer wieder durch ein „Strukturlamento“ angereichert: Manche sehen in Gesamtschulen, auch Gemeinschaftsschulen genannt, das anzustrebende Ziel, weil der Gedanke des Einheitlichen etwas Anheimelndes habe. „Dabei haben die PISA-Forscher selbst regelmäßig darauf hingewiesen, dass nicht die Strukturen über schulische Qualität entscheiden, sondern die Güte des Unterrichts.“ (S. 11). Es gibt kein „bestes Schulsystem“, sondern nur guten oder schlechten Unterricht. (vgl. S. 12).
2. These
Es ist Mode geworden, Schulen von Seiten der Kultusbehörden mehr Selbstverantwortung zu geben. Dieses „Selbständigkeitsgetue“ ist jedoch nur eine Mogelpackung, „... um administrative Kosten zu reduzieren, um Verantwortung für Schulexperimente von sich abzuschieben, um dem Unmut über zu große Klassen zu entgehen...“ (S. 12). Außerdem müssen die Lehrer viel Zeit an der Schule in Arbeitskreisen verbringen, um eigenständige Schulprogramme zu formulieren, die danach nicht umgesetzt werden oder aus Kostengründen gar nicht verwirklicht werden können. Dafür fehlt in diesem Fall die Zeit für eine gute Unterrichtsvorbereitung, sowie für Gespräche mit Eltern und Schülern. (vgl. S. 12).
3. These
Zur externen Evaluation: Es spricht etwas dafür, Bildungsprozesse von Zeit zu Zeit zu überprüfen und das Geschehen im Klassenzimmer nicht völlig dem Belieben des einzelnen Lehrers zu überlassen. Dennoch entspricht es einer naiven Gläubigkeit, wenn in Evaluationen eine geradezu sakrosankte Steuerungsform gesehen wird. Vor allem dann, wenn aufgrund eines Evaluationsberichtes nur noch solche Konsequenzen gezogen werden, die bezahlbar und politisch gewollt oder wirtschaftlich erwünscht sind; wenn nur noch genau das unterrichtet und gepaukt wird, was in regelmäßigen vergleichenden Lernstandsmessungen abgefragt wird; wenn banale schulinterne Befragungen als Scheinlegimitation für neue Schulversuche missbraucht werden. (vgl. S. 13).
4. These
In der Schulpolitik ist dringend eine „personale Wende“ nötig: Damit der „normale“ Lehrer seine bisweilen schwierigen Aufgaben erledigen kann – den jungen Leuten fachliche Kompetenzen vermitteln, ihr „Weltbewusstsein“ erweitern, Kinder auch aus bildungsfernen Schichten erreichen –, braucht er vor allem eines: „… nicht ständig neue Entwicklungsvereinbarungen oder endlose Strukturdebatten, sondern Ruhe und Unterstützung in seinem Unterrichtsalltag; im beständigen Ringen um Motivation und Nachhaltigkeit, bei der täglichen Gratwanderung zwischen Über- und Unterforderung seiner vielen individualisierten Schüler.“ (S. 14).
5. These
Es ist zu begrüßen, dass Bildung seit dem Pisa-Schock zu einem „gesellschaftlichen Megathema“ geworden ist. Jedoch hat die ganze Bildungsdebatte eine ungünstige Wendung genommen, so dass sie dringend einer „Belüftung“ bedarf: „Schule und Unterricht werden zunehmend mechanistisch verstanden, als ein Gebiet von Daten und Prozessen, auf dem bei geeigneter Justierung der Variablen alles machbar, ökonomisch optimal kalkulierbar und auch politisch kontrollierbar scheint.“ (S. 15).
6. These
Veränderungen, die etwa in Unternehmensstrukturen Sinn machen können, dürfen auf keinen Fall unkritisch auf die Schulpädagogik übertragen werden. Denn Kinder sind keine Rohstoffe und Bildung zu vermitteln ist etwas anderes, als Waren zu produzieren. Der entscheidende Faktor für eine gelungene Bildungspolitik sind die Lehrer. Das Unterrichten ist eine Angelegenheit zwischen Menschen. Im Klassenzimmer geht es immer um das Beziehungshafte. Die Bildungsdebatte der letzten Jahre führte hingegen zu einer Verunsicherung im Pädagogischen und zu einer Vernachlässigung des Psychologischen. (vgl. S. 15).
7. These
Während viele Berufe es vor allem mit einer objekthaften Materie zu tun haben, hat der Lehrer in den Schülern stets Subjekte vor sich, die sich zudem noch in der Entwicklung befinden. Er muss alles bildende und erzieherische Wollen über die zwischenmenschliche Beziehung zu seinen Schülern transportieren. „Dazu braucht es aber eine andere Professionalität als die neuerdings postulierte des kühlen Lernmanagers – und vor allem personale Zeit und Zuwendung, Kraft und Menschenkenntnis. Die pädagogische Situation, sie bleibt eben etwas ganz Anderes als die zunehmende Schnelllebigkeit unserer Erwachsenenwelt.“ (S. 16). Der Lehrer muss eine Lerngruppe selbstbewusst und zugewandt führen können, er muss Lernprozesse sinnvoll arrangieren und steuern und er muss in der Lage sein, Lernschwierigkeiten bei СКАЧАТЬ