Название: Textlinguistik
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301066
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Es ist nicht möglich, eine eindeutige Rekonstruktion des linguistisch relevanten Diskursbegriffs bei Foucault vorzunehmen. Durchaus sinnvoll ist es aber, einige seiner Annahmen als Ausgangspunkt einer Diskurslinguistik nach Foucault zu bestimmen. Die Präposition nach kann sowohl temporal als auch modal verstanden werden: in zeitlicher Nachfolge zu Foucault und in Anlehnung an seine Theorie und Methode.
Wir stimmen mit Foucault zunächst darin überein, dass der Diskurs eine „Gesamtheit von Zeichen“ (Foucault 1973: 74) ist, d.h. ein Aussagensystem. Foucault führt dies in der „Archäologie des Wissens“ (1969, dt. 1973) aus. Im gleichen Text findet sich auch der epistemologische Diskursbegriff, der den Diskurs als WissensformationWissensformation beschreibbar macht. Bis heute arbeitet die theoretische Diskurslinguistik an der Auflösung dieses Widerspruchs: Diskurs als Aussagensystem gegenüber Diskurs als Wissensformation. Bei aller Differenzierung der dabei eingenommenen Standpunkte stimmt man mit Foucaults Absage an geschlossene Kategoriensysteme überein. Es gibt danach keine eindeutige Semantik von Aussagen in Texten. Bedeutung und Wissen, die komplexe Organisation unserer Gedanken, all das, was wir wissen, was wir sagen und hören, wird als diskursiver Effekt, als Ergebnis von anonymen Formationen des Wissens verstanden.
Wörter verweisen also nicht auf eine verlässliche Bedeutung, sondern bedeuten etwas dadurch, dass sie in einem spezifischen diskursiven Umfeld erscheinen. Die Diskurslinguistik nach Foucault grenzt sich daher von semantischen Analysen ab, die Texte als alleinige Rahmenkonstruktionen für die Bedeutungsbildung annehmen. Abgelehnt werden auch Konzepte, die sprachliche Bedeutung als Resultat von individuellen Intentionen beschreiben. Deutlich werden kann das, wenn man versucht, die Bedeutung von Freiheit zu ermitteln. Man wird sehen, dass die Semantik von Freiheit nicht das Resultat einer Bedeutung in singulären Texten ist oder weil jemand darunter etwas Bestimmtes versteht oder verstehen will, sondern weil das Wort in einem komplexen Feld von Haltungen und Einstellungen, von sprachlichen Routinen, von Macht und Regulierung erscheint. Dieses Feld ist dynamisch, so dass die Bedeutung von Freiheit sich je nach Diskurszusammenhang ändert. Ja, wir können sogar sagen, dass vermeintlich eindeutige Bedeutungsdimensionen des Substantivs, wie seine Abgrenzung gegenüber Unfreiheit, äußerst fragil sind. Freiheit bedeutet in demokratischen Gesellschaftsordnungen etwas gänzlich anderes als in Diktaturen. Die Bedeutung von Aussagen verdichtet sich also im Diskurs. Wörter und Aussagen haben keine Bedeutung an sich, sondern Bedeutung ist ein diskursiver Effekt, die Stellung im Diskurs ist ausschlaggebend dafür, was eine Aussage bedeutet. Wenngleich man Foucault immer wieder dem so genannten Poststrukturalismus zurechnet, ist sein Diskursbegriff in dieser Hinsicht ganz strukturalistisch, denn eine der Grundannahmen des Strukturalismus lautet: Der Wert eines Elementes resultiert aus seiner Stellung im System. Beispielhafte Analysen von Freiheit in unterschiedlichen Texten können das verdeutlichen.
Foucault (1974) zeigt, dass die Zugehörigkeit einer Aussage zu einem Diskurs reguliert wird. Ein Feld von AkteurenAkteur regelt anonym und zumeist ohne unmittelbare Intention, was diskursiven Status erlangt und was nicht. Als Regeln nennt Foucault KONTROLLE, SELEKTIONSelektion, ORGANISATION und KANALISIERUNG. Wir werden uns damit noch befassen (siehe 2.4.2). Der Diskurs ist nicht nur ein intertextueller Effekt, sondern eben ein Mechanismus der Strukturierung dessen, was wann und wie gesagt und gedacht wird. Damit verbunden ist auch eine Frage nach der Beziehung von Akteuren, Wissen und Macht.
2.2.3 Akteure, Wissen, Macht
Letzthin kreisen die theoretischen Probleme, die Foucault den Humanwissenschaften mit auf den Weg gegeben hat, um die Frage, ob Diskurse sprachliche Formen sind oder ob hinter der Sprache, hinter dem Sprechen noch etwas Weiteres zu erkennen ist. Ist also das ‚Sprechen über etwas‘ der Diskurs oder sind die ‚Richtkräfte des Sprechens‘ der Diskurs? Wir erkennen hier eine Variation der von Krämer/König (2002) aufgeworfenen Frage: „Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen?“ Wir fragen genauer: Gibt es einen Diskurs hinter dem Text?
Sprache in Texten ist ein substanzieller Baustein jedes Diskurses, doch es gibt ein Mehr des Diskurses. Zwar besteht ein Diskurs aus Zeichen und das heißt aus Texten bzw. Aussagen, aber in Diskursen geht es um mehr als um eine zeichenhafte Erfassung der Welt. Diskurslinguistik ist daher auch ein sprachwissenschaftliches Verfahren zur Analyse sozialer Praktiken der Hervorbringung und Verteilung von Wissen. Die über bloße Korpusdaten hinausgehende Dimension des Diskurses ist mit der Rolle der Handelnden im Diskurs eng verbunden. Diskurslinguistik fragt daher, welche sprachlichen HandlungenHandlung zur Erzeugung und Prägung von Wissensbeständen beitragen. Die Handelnden können wir im Folgenden in Anlehnung an die übliche sozialwissenschaftliche Terminologie auch als Akteure bezeichnen. Akteure verwenden Sprache, um Wissen zu erzeugen, weiterzutragen, zu bestätigen, zu bekämpfen oder auch in Frage zu stellen. Immer, wenn wir kommunizieren, sind wir zugleich Akteure in einem diskursiven Feld.
Gegenstand der Diskurslinguistik ist daher nicht nur die intertextuelle Vernetzung von Aussagen, sondern eben auch der Zusammenhang von sprachlichen Aussagen/Texten, Wissen und AkteurenAkteur. Wenn wir den DISKURS als einen textübergreifenden Verweiszusammenhang von thematisch gebundenen Aussagen definiert haben, so können wir jetzt sagen, dass dieser Verweiszusammenhang aus der Beziehung von TEXTEN, WISSENSFORMATIONENWissensformation und AKTEUREN resultiert. Dieser Verweiszusammenhang oder auch Kontext transportiert immer auch Machtbeziehungen, abgeschwächt können wir auch von sozialen Hierarchien sprechen. Gerade politische Systeme, aber auch Institutionen und Ideologien weisen den Äußerungen spezifische Positionen im Diskursgefüge zu.
Die Erkenntnis, dass mit der Erweiterung der Textlinguistik um die Ebene des Diskurses nicht nur eine weitere Beschreibungsebene der Sprache erfasst ist, sondern dass mit dieser auch neue Fragestellungen verbunden sind, ist nicht folgenlos geblieben. Man kann hier von einer regelrechten Lagerbildung sprechen. Auf der einen Seite stehen die Linguisten, die DiskursanalyseDiskursanalyse vor allem als erweiterte Semantik in textlinguistischer Tradition verstehen und dabei soziale Dynamik und Hierarchisierung aus ihrem Erkenntnisinteresse ausklammern. Man kann diese Position als deskriptive DiskursanalyseDiskursanalysedeskriptive bezeichnen. Auf der anderen Seite stehen jene Linguisten, die gerade die Analyse von Macht als eine ihrer zentralen Aufgaben ansehen. Die machtbezogene Diskurslinguistik bezeichnet sich selbst als Kritische DiskursanalyseDiskursanalysekritische bzw. Critical Discourse AnalysisCritical Discourse Analysis (CDA). Schaut man genauer auf die Auseinandersetzungen, so erkennt man, dass es bei dieser Lagerbildung weniger um die Frage geht, ob Diskurslinguistik sich mit Aussagen/Texten, Wissen und AkteurenAkteur beschäftigen sollte, als vielmehr darum, ob Analysen eine (politische) Wertung enthalten dürfen. Zu entscheiden wäre hier, ob man Diskurslinguistik als Beschreibung von sprachlichen Strukturen oder als Kritik an Sprachverwendungen verstehen möchte. Für die Kritische Diskursanalyse fällt die Antwort eindeutig aus, es geht in ihr „um Kritik von Machtbeziehungen“ (Jäger 2005: 13). Die deskriptive Diskursanalyse erhebt dagegen nicht selten den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit. Spitzmüller (2005) spricht zutreffend vom Deskriptions-/Präskriptions-Antagonismus und meint damit die Gegenüberstellung von Linguistik als Beschreibung СКАЧАТЬ