Название: Textlinguistik
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301066
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Die Auffassung, dass Stil Bedeutung habe und Sinn vermittle, wird − in einem semiotischen stiltheoretischen Ansatz, bezogen auf literarische Texte – auch von Lerchner (2002a, b) vertreten. Auch bei ihm ist, was er mit Bedeutung und Sinn meint, strikt auf den Text bezogen. Er betrachtet Stil als an das komplexe Zeichen ‚Text‘ gebundene Information, die sich auf der Ebene der Form des Textes konstituiert. Diese sich aus den semantischen und strukturellen Beziehungen des Gesamttextes ergebende sekundäre Information – intersubjektiv und kommunizierbar – nennt er KONNOTATIVE TEXTPOTENZ und meint damit das Rezeptionsangebot, das nur über die Wahrnehmung der Form des Gesamttextes erfassbar ist und das emotional-assoziative Bewusstseinsprozesse auslöst. Textgebundenheit wird auch bei semiotisch orientierten Stilauffassungen vorausgesetzt, die ihr Augenmerk u.a. auf die Kategorie der ‚Gestalt‘ richten, eine Kategorie, die dann wichtig wird, wenn man Stil als Mittel der Sichtbarmachung und Hervorhebung versteht. Stilistischer Sinn im oben beschriebenen Verständnis „als ‚Bedeutung‘ der stilistischen Textstruktur“ (Sandig 1986: 25) oder als „konnotative Textpotenz“ (Lerchner 2002b) kann nur über die Form, die ‚Art des Machens‘ und die ‚Art des Gemachten‘, verdeutlicht und verstanden werden, d.h. durch die einem Stilwillen folgende einheitliche durchgehende Gestaltqualität (Fix 1996: 317).
So viel zur Textgebundenheit von Stil aus der Sicht der Stilistiker. Wie sieht es nun aber mit dem Blick der Textlinguistik auf das Verhältnis von Text und Stil aus? Gibt es, wie es eine Textgebundenheit von Stil gibt, auch eine Stilgebundenheit von Texten? Während es, wie gezeigt wurde, innerhalb durchaus verschiedener Spielarten der Stilistik einen Konsens über die Textgebundenheit von Stil gibt und die jeweilige Sicht auf die Textgebundenheit von entscheidendem Einfluss für die Etablierung des Kategorieninventars und für die Praxis der Stilanalyse ist, ist die Lage in der Textlinguistik deutlich anders. Zwar wird in der Regel „fraglos vorausgesetzt, dass dem Text Stil eignet“ (Püschel 2000: 479), es wird jedoch nicht ausgeführt, in welcher Weise das bewirkt wird. Stilfragen sind für Textlinguisten offensichtlich kaum von Interesse. Umso bemerkenswerter ist daher der resümeeartige Überblick, den Heinemann/Viehweger (1991: 255ff.) geben, und ganz besonders zu würdigen ist der knappe Hinweis Sowinskis (21999) auf den Stil als Element der Einheit des Textes. Seine Bemerkungen zum „charakteristischen Stil“ und zum „Stilbruch“ sagen in nuce das Entscheidende:
Das Erkenntnisinteresse ist […] in Stilistik und Textlinguistik ganz verschieden, dementsprechend sind es auch die Erschließungsmethoden. Wenn man allerdings innerhalb der Textlinguistik nach den konstituierenden Faktoren eines Textes fragt, die die Einheit eines Textes ermöglichen, so erweist sich auch der jeweils charakteristische Stil als ein solches textprägendes Mittel. Stilbrüche dagegen signalisieren mitunter textliche Verschiedenheiten. (Sowinski 21999: 10)
Die von Sowinski gebrauchte Kategorie ‚konstituierende Faktoren eines Textes‘ steht in inhaltlicher Nähe zu den Kriterien der Textualität. Wie man nun auch zu der oben angesprochenen Frage steht, ob man die Kriterien der Textualität um weitere ergänzen möchte oder nicht, die Einbeziehung des Kriteriums der stilistischen Einheit ist angesichts der Tatsache, dass diese den Text mit konstituiert, eine Notwendigkeit. STILISTISCHE EINHEIT als ein „textprägendes Mittel“ (Sowinski) gehört zum Textbegriff als ein textzentriertes Kriterium notwendigerweise hinzu.
Keinem Zweifel unterliegt es, dass Textoberfläche und -tiefenstruktur die unentbehrlichen zwei Seiten/Ebenen eines jeden Textes sind, und die Analysemöglichkeiten von KohäsionKohäsion und KohärenzKohärenz sind hinlänglich untersucht worden. Dass damit jedoch nicht schon alles Notwendige zur Sprachgestalt gesagt wird, ist möglicherweise noch nicht bewusst genug. Textkonstitutiv ist nicht nur die Existenz von Strukturen, Beziehungen und Bedeutungen. Es genügt nicht, diese zu konstatieren. Man muss vielmehr auch ein übergeordnetes Prinzip der Herstellung von KohäsionKohäsion und KohärenzKohärenz im Blick haben, das in der Einheitlichkeit der Wahl der Mittel besteht − mit dem Ziel, eine einheitliche „Textatmosphäre“ herzustellen und damit zum einen den individuellen Textstil zu kreieren, zum anderen aber auch, dem TextmusterTextmuster einer Textsorte und dessen sprachlich-formulativem Anspruch gerecht zu werden.
Während der erste Gesichtspunkt – Herstellung eines durchgehenden Werk- und Individualstils – hier vernachlässigt werden kann, er ist nicht zwingend bzw. häufig nicht signifikant, muss auf den Textsortenstil genau eingegangen werden. Es sollte bei der Betrachtung von Texten über die textgrammatischen und textsemantischen Fragestellungen hinaus auch darum gehen, dass ein Text sich in seiner Ausformung an seine Funktion, an die Intention, die er verfolgt, anpassen muss und dass er der Situation zu entsprechen hat, in der er als „kommunikative Okkurrenz“, als Element sprachlich-kommunikativen Handelns, verwendet wird (siehe Kap. 5). Alle Erscheinungen, die wir auf der Textoberfläche finden, sind von den Faktoren der Kommunikation bestimmt und an der Konstitution des Textstils beteiligt. Für die Frage nach der Berechtigung einer Textstilistik bedeutet das: Alles, was auf der Textoberfläche umgesetzt wird, folgt Stilprinzipien, die für den gesamten Text gelten. Dies muss in der Analyse berücksichtigt werden. Stil ist also ein Teil der Textbedingungen, weil er sich – dies ist der eine Teil der Begründung – erst im Text entfaltet und weil es ohne ihn – dies ist der andere Teil – ein klar erkennbares Textexemplar einer Textsorte nicht gäbe.
1.6 Neuere Aspekte der Textbetrachtung
Zunehmend hat die Textlinguistik im Blick, dass der Textbegriff vom rein sprachlich bestimmten auf einen multikodalen erweitert werden muss. Texte existieren nie nur sprachlich, immer sind andere Zeichen an ihnen beteiligt, seien es Gestik, Mimik, Stimmführung oder – bei den uns interessierenden schriftlichen Äußerungen – Bilder, Typographie, Papiersorte usw. Da alle diese Zeichen gemeinsam Sinn anbieten, da sie alle auf der Textoberfläche und in der Textumgebung etwas zu verstehen geben und wahrgenommen werden sollen, kann man an ihnen nicht vorbeigehen. So kann man also nicht den einen Kode, den sprachlichen, aus dem Textkomplex herauslösen und an ihm den Sinn des Ganzen ablesen wollen, ein Verfahren, das in stilistischen Textanalysen noch immer vorherrscht. Dass die nicht-sprachlichen Zeichen auch von Bedeutung sind, wird deutlich, wenn man z.B. versucht, sich eine Sammlung von Gedichten im Layout eines Fachbuchs vorzustellen. Man bemerkt sofort die Widersprüchlichkeit der Zeichen und stößt darauf, dass sie etwas bedeuten. Ein anderes Beispiel: Unsere Rezeption wird intensiver und aufschlussreicher sein, wenn wir ein Barockgedicht in der Erstausgabe lesen. Die mögliche axiale Anordnung des Textes, die eingezogenen Verse, die Barockfraktur, in der der Text gedruckt ist, der möglicherweise kostbare Einband des Buches – alles dies trägt Informationen, die am Sinnangebot des Textes teilhaben. Nun wächst der Anteil der visuellen Zeichen in der Kommunikation heute mit der Vielfalt medialer Möglichkeiten, Visuelles zu vermitteln. Diese visuellen Phänomene – Bilder, SchemataSchema, Tabellen, Typographie u.a. – sind keine Randerscheinungen, sondern können zentrale Elemente eines Textes sein. Hier macht sich die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Leistungen der verwendeten Kodes nötig: auf der einen Seite die sprachlichen – digitalen – Zeichen, die arbiträr sind und verallgemeinernden Charakter haben, also begrifflich sind, und auf der anderen Seite Bilder, Farben, Proportionen, – analoge – Zeichen, die nicht begrifflich sind, sondern eher über die direkte Anschauung wirken. Außerdem darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich Lesen als Verstehen von Texten nicht so einfach in visuelle und kognitive Elemente aufspalten lässt (Gross 1994). Sprachtexte werden auch als Bildtexte (vgl. Konkrete Poesie) gelesen: Umrisse, Struktur, Visualität der Lesefläche werden wahrgenommen. Und andererseits können Bilder auch wie Sprachtexte verallgemeinernd gelesen werden, СКАЧАТЬ