Название: Textlinguistik
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301066
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2 Texte werden nur produziert, wenn Individuen etwas erreichen wollen, wenn sie in einer bestimmten Situation aus einem äußeren oder inneren Anlass, z.B. einem Ereignis oder einer emotionalen Bewegtheit, ein bestimmtes Ziel verfolgen, von dem sie annehmen oder wissen, dass sie es nur mit Hilfe eines Partners realisieren können. In einer solchen Situation werden die Individuen zu Partnern, die miteinander kommunizieren, indem sie Texte produzieren. Texte sind daher primär ein soziales Faktum, gebunden an das konkrete, auf (einen) Partner bezogene Handeln von Individuen in einem bestimmten sozialen Umfeld, einer sozialen Interaktion. Daraus ergibt sich die grundsätzliche wechselseitige Partnerorientierung des Kommunizierens. Zugleich wird deutlich, dass Texte keine unabhängigen Größen sind, dass sie vielmehr nur als Variable von komplexen Kommunikationsprozessen verstanden werden können. Insofern ist auch die Textlinguistik in erster Linie eine Wissenschaft vom kommunikativen Handeln der Individuen; sekundär aber sind auch Strukturen von Texten und Relationen zwischen den Textelementen von besonderer Relevanz.
3 Wie bei jedem praktischen Handeln (HOLZ HACKEN, EINE TÜR ÖFFNEN) verfolgen Individuen auch beim kommunikativen Handeln (beim SCHREIBEN EINES BRIEFS, beim TELEFONIEREN) bestimmte Ziele. Die Ziele beim kommunikativen Handeln werden INTENTIONEN genannt. Sie bestimmen wesentlich Aufbau, Inhalt und Umfang von Texten. Erst wenn ein Text zum Verwirklichen von Sprecher-Intentionen erfolgreich beiträgt, hat er auch seine KOMMUNIKATIVE FUNKTIONFunktionkommunikative erfüllt. Primär ist dabei eben das Erreichen solcher Ziele (das Glücken von kommunikativen Handlungen), d.h. die praktische Einwirkung auf den Partner und das Umfeld, erst sekundär ist auch die Frage von Interesse, wie der entsprechende Text gestaltet ist (Wunderlich 1976: 9).Damit ändert sich auch das traditionelle Textverständnis. Texte können nämlich vor diesem Hintergrund nicht mehr nur als isolierte Struktureinheiten gesehen werden, deren Elemente aufeinander bezogen sind und in KohärenzrelationenKohärenzrelation zueinander stehen. Das ist ohne Frage auch der Fall. Hinzu kommt aber, dass die aufeinander bezogenen Elemente und Textbausteine eine in sich geschlossene Ganzheit bilden, die durch zahlreiche Faktoren geprägt wird. Das sind vor allem intentionale Aspekte, die Auswahl und Anordnung der sprachlichen Einheiten innerhalb von Texten determinieren. Hinzu kommen auch SITUATIVE FAKTOREN. So macht es durchaus einen Unterschied, ob der Texter vor Studenten oder vor Schülern über den Klimawandel spricht, ob er nur vor einer kleinen Gruppe in einem geschlossenen Raum auftritt oder bei einer Großkundgebung einer Partei auf einem Marktplatz. Schließlich sind in diesem Zusammenhang auch subjektive Gegebenheiten zu nennen, da auch das jeweilige Wohlbefinden und die jeweilige emotionale Bewegtheit für die Konstituierung der Ganzheit eines Textes eine nicht unwesentliche Rolle spielen. So darf man zusammenfassend festhalten, dass die Ganzheit von Texten vor allem durch das aktuelle pragmatische Bedingungsgefüge geprägt wird.
4 Texte sind aber nicht nur feste statische Größen mit charakteristischen Strukturen, also die Ergebnisse von Kommunikationsprozessen. Sie müssen auch dynamisch gefasst werden, als Prozesse des Produzierens und Verstehens von Äußerungskomplexen, immer im Rahmen übergreifender praktischer HandlungenHandlung.
Resümierend darf man feststellen, dass die pragmatisch fundierte Textlinguistik in der Tat eine neue Qualität in die linguistischen Wissenschaftsdiziplinen einbringt. Zunächst handelt es sich hier um eine grundlegende Ausweitung des Gegenstandsbereichs: Nicht isolierte Sätze (und die linguistischen Einheiten unterhalb der Satzebene) stehen im Fokus des Interesses, sondern komplexe Texte. Noch wichtiger aber ist das grundsätzliche Ausgehen von einer sozialen InteraktionInteraktion, vom Handeln und Text-Handeln der Partner, die auch die Ausweitung der Inhalte einer pragmatisch verstandenen Textlinguistik um die genannten pragmatischen Faktoren des Kommunizierens in ihrer Gesamtheit impliziert. So entsteht eine umfassende Zusammenschau aller relevanten Faktoren des Kommunizierens: von den kommunikativ Handelnden – den Partnern mit ihren sozialen Prägungen, ihren Kenntnissen und Fähigkeiten – in konkreten Interaktionszusammenhängen (unter Einschluss von konkreten Umgebungssituationen und Kommunikationsbereichen) über die grammatisch-semantischen Strukturzusammenhänge von komplexen Texten bis zu den Wirkungen/Effekten, die durch das kommunikative Handeln der Partner bewirkt werden. Streng genommen ist das natürlich keine „reine“ Linguistik mehr. Das will und kann eine pragmatisch orientierte Textlinguistik auch gar nicht sein. Sondern hier geht es um das Zusammenwirken von (bisher strikt voneinander getrennten) Wissenschaftsdisziplinen wie der allgemeinen Linguistik, der Handlungstheorie, der Sprachproduktions- und -rezeptionsforschung, der Grammatik, der Semantik, der Kommunikationswissenschaften i. w. S. mit Teilbereichen der Soziologie und der Psychologie (insbesondere der kognitiven Psychologie). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Textlinguistik als eine übergreifende Text-PragmatikPragmatik.
Legt man diese Messlatte an die Textlinguistik an, dann wird deutlich, dass die auf einzelne Ebenen des Sprachsystems beschränkten Disziplinen der Phonetik/Phonologie, der Morphologie, der Syntax und der Lexikologie nicht auf eine Stufe mit der Textlinguistik gestellt werden können. Untersuchungen im Rahmen dieser Einzeldisziplinen verlieren durch die Herausbildung der pragmatisch orientierten Textlinguistik nicht an Wert, da sie helfen, das komplizierte Beziehungsgefüge von Satzstrukturen und häufig auch die Rolle dieser Einheiten und Relationen für das Zustandekommen von Satzsinn und manchmal auch von Textsinn aufzudecken. Sie sind zumindest partiell „aufgehoben“ im Hegel’schen Sinn in der übergreifenden Textlinguistik. Dennoch aber können diese strukturorientierten Arbeiten nicht ‚textlinguistisch‘ (und schon gar nicht ‚textpragmatisch‘) genannt werden, wenn sie nicht direkt auf das Erfassen des kommunikativen Funktionierens von Textganzheiten gerichtet sind.
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