Название: Genderlinguistik
Автор: Helga Kotthoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301523
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3 das semantische Prinzip i.e.S., wo die lexikalische Bedeutung eines Lexems Genus zuweist. Am stärksten evozieren vergeschlechtlichte Personen- oder Tierbezeichnungen ein bestimmtes Genus („Genus-Sexus-Prinzip“ z.B. der Vater, die Mutter, der Hengst, die Stute). Auch Lexeme für Früchte steuern Genus, nämlich das Femininum (die Mango, Ananas, Kiwi etc. – Ausnahmen: Apfel und Pfirsich).
Da Genus an Kongruenz gebunden ist, zieht es sich oft vielfach durch die Nominalphrasen (es ermöglicht maßgeblich die sog. Nominalklammer) und ist es dadurch sehr präsent, man könnte sagen: omnipräsent.
Abb. 4-2 zeigt, dass im linken Bereich höchster AnimatizitätBelebtheitshierarchie engste Genus/Sexus-Verschränkungen gelten. Von Genusarbitrarität kann hier nicht die Rede sein. Da sich die soziale Zweigeschlechtlichkeit direkt in entsprechender GenuszuweisungGenuszuweisung spiegelt, kommen auch nur Feminina und Maskulina vor und so gut wie keine Neutra (zu eingeklammertem s Anna s. Kap. 9.3, zu WeibWeib s. Kap. 4.2.6). Man kann hier also von einer Gleichschaltung zwischen weiblichem Geschlecht und Femininum sowie männlichem Geschlecht und Maskulinum sprechen. Der Festigkeitsgrad dieser Koppelung nimmt nach rechts hin zu den Tieren etc. sukzessive ab, franst immer mehr aus und löst sich schließlich auf. PersonennamenPersonenname als Spitze der Belebtheitshierarchie (Namen referieren auf individualisierte Einzelpersonen) verkoppeln Geschlecht und Genus am engsten (Rolf (m.) – Ronja (f.)).1 Hinzu kommt, dass diese Information sogar meist am Namenkörper salient (hör- und sichtbar) verankert wird (anderen Substantiven hört man kaum ihr Genus an), indem etwa die Auslaute -a und -e auf Frauen und konsonantische Auslaute oder -o auf Männer verweisen (Kap. 9.1). So benötigt man zur Sichtbarmachung von Genus keine Kongruenzmittel (im Standard sind PersonennamenPersonenname auch artikellos), das Genus wird der Phonologie selbst unbekannter Namen entnommen.
Abb. 4-2: Genus-Sexus-Relationen bei Animata (ohne Diminutiva)
Ein anderes Prinzip, das ebenfalls die enge Genus-Sexus-KopplungGenus-Sexus-Prinzip untermauert, wurde bei den Rufnamen im Germanischen, d.h. schon vor über zwei Jahrtausenden, praktiziert: Typischerweise bestanden die Namen aus zweigliedrigen, sog. programmatischen (d.h. mit Bedeutung gefüllten) Komposita (oft aus dem kriegerischen Bereich), wie sie heute noch in Gerhild oder Arnulf zu greifen sind. Dabei galt die strikte Regel, dass (gemäß dem Letztglied-Prinzip) das zweite Nomen bei Frauennamen ein Femininum und bei Männernamen ein Maskulinum sein musste: Ger-hild < ahd. gēr (m.) ‚Speer‘ + ahd. hiltja (f.) ‚Kampf‘; Arn-ulf < ahd. arn (m.) ‚Adler‘ + wolf /wulf (m.) ‚Wolf‘. Dadurch waren Neutra im Zweitglied kategorisch ausgeschlossen; das Genus des Erstglieds spielte keine Rolle. Deutlicher kann die Gleichschaltung von Genus und Sexus kaum zum Ausdruck kommen – außer beim sog. DifferentialgenusDifferentialgenus, das in Abb. 4-2 nicht enthalten ist. Vom Differentialgenus sind Substantivierungen von per se genuslosen Wortarten wie Verben oder Adjektiven betroffen, denen (als Substantiv) ein Genus zugewiesen werden muss, das jedoch variabel ist. Dabei erweist sich klar, dass Feminina ausnahmslos Frauen bezeichnen, Maskulina Männer (die Versicherte, der Versicherte) – und Neutra referieren auf Unbelebtes: das Versicherte würde kontextlos als ‚versichertes Gut‘ verstanden und kaum als *‚versichertes Kind' (Kap. 6). Da weder die Semantik noch die Form einen Beitrag zu diesen Geschlechtsinformationen leisten, handelt es sich hier nur um den reinen Effekt des Genus. Das (produktive und oft genutzte) Differentialgenus ist der stärkste Beleg nicht nur für einen eng verzahnten Verweis, sondern auch für die sprachliche Herstellung von Geschlecht allein durch Genus.2
Bei Verwandtschafts- und zentralen Personenbezeichnungen fällt auf, dass es zumindest im Singular keine gängigen geschlechtsabstrahierenden Oberbegriffe gibt: weder zu MutterMutter und VaterVater (hier springt im Bedarfsfall das etwas technisch wirkende Kompositum Elternteil ein) noch zu Tante/Onkel, Nichte/Neffe, Cousin/Kusine, Oma/Opa etc., aber auch nicht zu Nonne/Mönch (die zu Frau/Mann geschlechtsneutralen Ausdrücke MenschMensch und PersonPerson < lat. persona sind erst später entstanden; Kap. 8). Offensichtlich divergier(t)en soziale Verpflichtungen und GeschlechterrollenGeschlechterrolle so stark, dass eine sprachliche Geschlechtsabstraktion unmöglich ist. Viele Sprachen drücken im Verwandtschaftslexem zusätzlich die geschlechtliche Linie aus, über die das Verwandtschaftsverhältnis besteht – so auch im früheren Deutschen, wo Oheim und Muhme Onkel und Tante mütterlicherseits und Vetter und Base väterlicherseits bezeichneten.
Auch weitere Personenbezeichnungen sind durch enge Genus-Sexus-Bande gekennzeichnet (Mann, Mönch – Frau, Nonne). Allerdings kommt es, sobald man den Kernbereich verlässt und weitere Seme hinzutreten, durchaus zu Lockerungen, z.B. die Hilfskraft, Nachtwache, Geisel, Waise – das Mitglied, Opfer, Individuum – der Gast, Star, die für Frauen und Männer gelten. Ab hier lockert sich der Genus-Sexus-NexusGenus-Sexus-Nexus. Auch kommt es mit Mitglied, Individuum, WeibWeib und Kind zur Nutzung des Neutrums als drittes Genus (auch fachspr. das Geschwister). Während Mitglied sein Neutrum dem Wortbildungsteil –glied verdankt, treten junge, noch wenig geschlechtssaliente und nicht geschlechtsreife Menschen und NutztiereNutztiere häufig ins Neutrum (was umgekehrt das sexuierende Potential der Feminina und Maskulina unterstreicht): das Kind, Kid, Baby, Kleine, Neugeborene – das Junge, Kalb, Lamm, Kitz, Fohlen, Küken, Ferkel. Die drei letzten Substantive basieren historisch auf Diminutiva, die immer Neutrum generieren. Hier müsste umgekehrt die Frage gestellt werden, weshalb Diminutiva eigentlich (schon immer?) Neutra bilden und weshalb Junglebewesen so häufig in den Diminutiv geraten (denkbar ist nämlich, dass die – heute verblasste – DiminutionDiminution genau deshalb gewählt wurde, weil sie zu „passenden“ Neutra führt). Auf das berühmte Neutrum WeibWeib gehen wir in Kap. 4.2.6 ein.
Auch bei den NutztierenNutztiere, deren Ausbeute für uns maßgeblich von deren Geschlecht abhängt, setzt sich die Genus-Sexus-Verschränkung fort, allerdings bei immer mehr Abweichungen (z.B. ist das Huhn weiblich und die Drohne männlich). Auch kommt es bei höheren Nutztieren (aber niemals beim Menschen, abgesehen von Kind) zu geschlechtsneutralen Oberbegriffen im Neutrum: das Rind – die Kuh3 – der Stier/Bulle; das Pferd – die Stute – der Hengst/Wallach; das Schwein – die Sau – der Eber.
Pusch (1984) schlug schon früh die konsequente Nutzung der drei Genera ungefähr wie bei den NutztierenNutztiere gesehen vor, wobei ein und demselben Lexem drei Genera zukommen sollten: das Student (geschlechtsneutral) – die Student (wl.) – der Student (ml.). Dies erspart u.a. die (Nachrangigkeit indizierende) Movierung. Doch hatte dieser Vorschlag, wie Pusch selbst einwendete, aus verschiedenen Gründen wenig Aussicht auf Akzeptanz. Daher wurde die Sichtbarmachung von Frauen durch Femininisierungen zum Programm, was bereits zu Sprachwandel geführt hat. Einen anderen Entwurf, der Genus aufgibt, unterbreitet Matthias Behlert, zit. in Pusch (1999, 23–27). In diesen Einheitsparadigmen werden frühere Feminin- und Maskulinformen so rekombiniert, dass Kasussynkretismen beseitigt werden.
Bei den Säugetieren lockert sich dieses Genus-Sexus-Band immer mehr, denn hinter einem Hund oder einer Katze können sich beide Geschlechter verbergen – auch wenn ein Hund präferentiell männlich und eine Katze (oder eine Taube) weiblich assoziiert ist (zu der sich der Kater bzw. der Täuberich gesellt).4 Umgekehrt kann man, da das feminine Lexem zwar eine weibliche Schlagseite hat, doch auch СКАЧАТЬ