Название: Genderlinguistik
Автор: Helga Kotthoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301523
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Diesen Fragen sind Bickes/Mohr (2010) nachgegangen: In „HerrHerr Fuchs und Frau Elster – Zum Verhältnis von Genus und Sexus am Beispiel von Tierbezeichnungen“ wurden 187 TiereTiere (116 Maskulina, 50 Feminina, 21 Neutra) aus 74 originär deutschsprachigen KinderbüchernKinderbücher untersucht (Übersetzungen wurden ausgeschlossen, da es sonst zum Einfluss von Genussystemen anderer Sprachen oder genusloser Sprachen wie Englisch käme).1 Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: Bei den maskulinen Tierbezeichnungen (Hund, Hase) erfolgt zu 93 % eine damit korrelierende Sexuszuweisung, bei den femininen (Eule, Raupe) zu 82 %, d.h. insgesamt kommt es zu einer ca. 90 %-igen Übereinstimmung zwischen Genus und zugewiesenem Geschlecht. Dies bestätigt die Existenz eines Genus-Sexus-NexusGenus-Sexus-Nexus. Neutrale TiereTiere (Eichhörnchen, Schwein) werden zu zwei Dritteln männlich und einem Drittel weiblich sexuiert. Bickes/Mohr (2010) geben allerdings mit Verweis auf Köpcke/Zubin (1996) zu bedenken, dass menschenähnliche Tiere per se vorrangig maskuline Bezeichnungen tragen:
Dass das maskuline Genus unter Tierbezeichnungen in Tiergeschichten stärker vertreten ist, lässt sich möglicherweise mit der von Köpcke/Zubin (1996) vertretenen These zum enthno-zoologischen Kontinuum in Verbindung bringen: Als Protagonisten treten menschenähnliche Tiere weitaus häufiger auf als Echsen oder Asseln. (Bickes/Mohr 2010, 265)
Prinzipiell hat sich dies – mit fast gleichen Prozentwerten – auch bei Lückentextaufgaben mit 15 Tierbezeichnungen und 1.807 Nennungen sexusdefiniter Vornamen bestätigt. Hier wurden auch Maskulina mit menschenunähnlicheren TierenTiere wie Käfer, Maulwurf, Spatz sowie Feminina mit menschenähnlicheren Tieren wie Giraffe, Katze eingestreut. Der Abstand zum menschlichen Prototyp spielte bei der namentlichen Geschlechtszuweisung jedoch keine Rolle: Es ist primär das Genus, das über Sexus entscheidet. Ähnlich weisen Lötscher (1993) und Christen (2013) bei schweizerdeutschen Metaphern zur Negativbezeichnung von Menschen hin, dass feminine Metaphern sich eher für Frauen und maskuline für Männer eignen. Nur bei den Neutra scheint sich ein stereotypenbedingter Effekt abzuzeichnen, wenngleich hier zu rund 70 % männliche und 30 % weibliche Namen vergeben wurden. Das große, massige Nilpferd wurde zu 85 % männlich und 15 % weiblich konzipiert, das Schwein nur zu 55 % bzw. 45 %. Weitere neutrale Tierbezeichnungen waren jedoch nicht vertreten (was zeigt, dass hier noch viel Forschungsbedarf besteht).
Die Autorinnen deuten diese Befunde als Evidenz gegen die Existenz eines sog. generischen Maskulinums:
Wenn der Zusammenhang zwischen Genus und Sexus im Bewusstsein heutiger SprecherInnen augenscheinlich dahingehend wirksam ist, dass sogar TierenTiere und Gegenständen aufgrund des grammatischen Geschlechts latent ein biologisches Geschlecht zugewiesen wird – wie sollte dann ausgerechnet in Bezug auf Personenbezeichnungen, dem einzigen Feld, wo tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Genus und Sexus existiert, dieser Mechanismus ausgeschaltet sein? Die These, das angeblich generische Maskulinum der Arzt in dem Satz Ich muss unbedingt zum Arzt würde geschlechtsneutral interpretiert werden, erscheint vor diesem Hintergrund schlicht abwegig. (271f.)
Wie die Autorinnen andeuten, werden sogar unbelebte Objekte sexuiert, wenn sie personifiziert werden (s. hierzu eingehend Köpcke/Zubin 2012, die von „Genus-Sexus-Konsonanz“ sprechen). So verfasste Christian Morgenstern das Gedicht „Frau Gabel und Herr Löffel“. Heinrich Heine schrieb über die stereotyp-genderisierte Liebesbeziehung zwischen einer weiblichen Palme und einem männlichen Fichtenbaum. Frau Welt, VaterVater Rhein und Gevatter Tod bestätigen ihrerseits die Macht des Genus. Auch Sonne (f.) und Mond (m.) werden im Deutschen genuskonform sexuiert – ebenso in den romanischen Sprachen, aber spiegelbildlich, da dort eine umgekehrte Genusverteilung vorliegt (la luna [f.] – el sol [m.]) (Köpcke/Zubin 2012, 390; auch Bußmann 1995, 115ff.; Kalverkämper 1979, 61). Selbst Pfirsich und Erdbeere, Joghurt und Buttermilch, Schokoriegel und Milch, Tee und Zitrone, Wagen und Zapfsäule gehen in der Werbung geschlechterdifferente Beziehungen ein. Köpcke/Zubin (2012) beschreiben auch Fälle umgekehrter Kausalrichtung, wo für genderisierte Kaufobjekte unter mehreren lexikalischen Alternativen dasjenige Lexem gewählt wird, das das zum gewünschten Objektgeschlecht passende Genus enthält, etwa die Verbindung (dargestellt von einer Frau) statt der Anschluss; die Zapfsäule (dargestellt von einer Frau) statt das Benzin.
4.3.4 Evoziert das Genus von Objektbezeichnungen Geschlechterstereotype?
Zu einigem Aufsehen hat ein Beitrag von Boroditsky et al. (2003) geführt. Hier wird ein Experiment beschrieben, dessen Befunde Evidenz dafür zu liefern scheinen, dass feminine Objektbezeichnungen (z.B. die Brücke) zu weiblichen Genderisierungen des Objekts selbst führen, entsprechend auch bei Maskulina (z.B. der Schlüssel). Wir fassen es ganz knapp zusammen (s. auch Köpcke/Zubin 2012, 385ff.): Bei Deutsch- bzw. Spanisch-SprecherInnen wurde anhand von 12 interlingualen Lexempaaren mit gleicher Bedeutung, aber unterschiedlichem Genus festgestellt, dass den benannten unbelebten Objekten genuskonform genderstereotype Adjektive zugewiesen wurden. Unabhängig davon waren diese Adjektive vorab durch eine andere Gruppe auf ihre Geschlechtsstereotypie und deren Ausprägungsgrad bewertet und eingestuft worden. Dies sei anhand eines Lexempaars illustriert: Nhd. Schlüssel ist maskulin, span. llave feminin. Während die Deutschen dem Schlüssel eher männlich genderisierte Eigenschaften zuwiesen wie hart, schwer, schroff, zackig, metallisch, beschrieb die spanische Gruppe ihren femininen ‚Schlüssel‘ als hübsch, elegant, zerbrechlich und schmal. Auch weitere Tests untermauerten diese Sapir-Whorf-Hypothese, wonach sprachliche Strukturen unsere Wahrnehmung steuern. Allerdings haben Mickan et al. (2014) dieses Experiment repliziert. Wie der Titel „Key is a llave is a Schlüssel: A failure to replicate an experiment of Boroditsky et al. 2003“ vermeldet, konnten diese Resultate jedoch nicht bestätigt werden: „This suggests, that the results of the original experiment [von Boroditsky et al. 2003] were either an artifact of some non-documented aspect of the experimental procedure or a statistical fluke“ (Mickan et al. 2014, 39). Somit kann die Annahme, dass das Genus unbelebter Objektbezeichnungen entsprechende Geschlechterstereotype auslöst, nicht als bestätigt gelten.
4.3.5 Haben Geschlechterstereotype Auswirkungen auf die GenuszuweisungGenuszuweisung?
Für die umgekehrte Richtung – Geschlechterstereotype führen zu entsprechenden Genuszuweisungen – liefern Köpcke/Zubin (1984) überraschende Evidenz. Das Substantiv Mut ist (und war immer) ein Maskulinum. Normalerweise gilt bei Komposita (und Derivata) das Letztglied- oder Kopf-rechts-Prinzip, wonach das letzte Morphem das Genus der gesamten Wortbildung bestimmt: das Haus – die Tür → die Haustür. Deshalb sollte anzunehmen sein, dass Wortbildungen mit dem Zweitglied -mut allesamt maskulin sind. Dies ist bei Unmut, Übermut etc. auch der Fall, nicht aber bei die Anmut, die Weh- und die Demut. Köpcke/Zubin (1984) haben solche sog. Affektbegriffe auf -mut zusammengestellt: Manche sind feminin, manche maskulin, und manche schwanken, z.B. die/der Großmut, die/der Gleichmut (Tab. 4-4). Genusinstabilität betrifft durchaus auch solche Komposita, die hier den Maskulina bzw. Feminina zugeordnet wurden, denn die Wörterbücher liefern oft uneindeutige Hinweise (mehr in Köpcke/Zubin 1984, 38).
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