Название: Genderlinguistik
Автор: Helga Kotthoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301523
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Bei Nicht-Säugetieren („andere TiereTiere“ in Abb. 4-2) reißt das Genus-Sexus-Band schließlich ab: Feminina wie die Kröte, die Spinne oder Maskulina der Frosch, der Dorsch wecken keinerlei proto- oder stereotype Geschlechtserwartungen mehr, ebensowenig Bezeichnungen von Pflanzen, Objekten, Stoffen und Abstrakta.6 Auch wirken Neutra (Krokodil, Neunauge, Kraut) hier weder degradierend noch desexuierend. Dieser gesamte Genus-Sexus-Komplex auf der Achse abnehmender AnimatizitätBelebtheitshierarchie ist noch unzureichend erforscht und stellt ein wichtiges Desiderat dar (das sich korpusbasiert sehr gut untersuchen lässt), denn von den Rändern her lassen sich Determinanten, Gültigkeit und Reichweite von Prinzipien am klarsten erkennen.
Merkwürdigerweise bestreiten selbst LinguistInnen immer wieder diese evidenten Genus-Sexus-Korrespondenzen, die ausschließlich für die höhere Belebtheitsdomäne beansprucht werden (Menschen und teilweise NutztiereNutztiere). So liest man etwa in der Rubrik „grammis“ des Instituts für deutsche Sprache: „Dennoch weiß natürlich jedes Kind, dass das Genus, das grammatische Geschlecht, und der Sexus, das biologische Geschlecht, keineswegs immer übereinstimmen: ‚Oder glaubt einer, alle Igel seien männlich und alle Fliegen weiblich? Wir wissen schon Bescheid, aber es interessiert uns eben nicht‘ (Heringer 1995, 208)“ (Donalies 2008). Belege für Abweichungen von diesem Prinzip werden immer da gesucht, wofür es keine Geltung beansprucht, nämlich bei schwach belebten TierenTiere und gar unbelebten Objekten. Die folgenden Kapitel zeigen, dass die vermeintliche Genusarbitrarität in der Belebtheitsdomäne noch viel geringer ist als gemeinhin vermutet.
Abgesehen von der Genus-Sexus-Frage machen Köpcke/Zubin (1996, 484) eine weitere interessante Beobachtung (die ebenfalls noch ihres detaillierten und statistisch abgesicherten Nachweises harrt), wonach Lexeme für Menschen und menschenähnliche TiereTiere das Maskulinum als Default-Genus präferieren (Abb. 4-3). Sie entdecken bei Bezeichnungen von Menschen über solche von Säugern und Vögeln bis hin zu Insekten und amorphen Weichtieren ein sog. ethnozoologisches (oder anthropozentrisches) KontinuumAnthropozentrismus, bei dem zunächst das Maskulinum dominant ist. Dieses wird sukzessive vom Femininum abgelöst und schließlich ersetzt. Dem Neutrum kommt eine periphere Position zu (die in Abb. 4-3 nicht enthalten ist).
Abb. 4-3: Das ethnozoologische Kontinuum und sein Genusbezug (nach Köpcke/Zubin 1996)
Nach Köpcke/Zubin (1996) gilt: Je menschenähnlicher das Tier, desto eher wird ihm das Maskulinum zugewiesen – je größer die Distanz zum Menschen, desto eher das Femininum. Beim Menschen selbst manifestiere sich dieses Prinzip im sog. generischen Maskulinum, demzufolge Gattungsbezeichnungen für bestimmte Menschenklassen (Zeugen, Nachbarn, Athleten), bei denen kein Bezug auf das Geschlecht erfolgt, im Maskulinum stehen. Da das generische Maskulinum, wie wir in Kap. 5 erfahren werden, weniger Menschen als (erwachsene) Männer bezeichnet, ist dieses Kontinuum in Wirklichkeit nicht anthropozentrisch, sondern androzentrisch organisiertAndrozentrismus.
Allerdings gibt es auch sehr wirkmächtige formale GenuszuweisungsprinzipienGenuszuweisung – etwa dass Zweisilber auf -e [ǝ] dominant feminin und solche auf -er [ɐ] dominant maskulin sind –, die die semantischen („anthropozentrischen“)Anthropozentrismus Prinzipien durchkreuzen. Umso aussagekräftiger ist es, wenn formale Prinzipien vom semantischen gebrochen, d.h. aus den Angeln gehoben werden, wie dies einerseits für der Affe, der Löwe, andererseits für die Viper, die Natter gilt: Hier steuert allein die Nähe zum Menschen die Genuszuweisung, sie überschreibt dabei die Formregel. Dass diese Skala eine kognitive und keine streng biologisch-taxonomische ist, zeigt etwa, dass die dominant femininen Schlangen von den anderen Reptilien separiert zu werden scheinen: Äußerlich können Schlangen z.B. Würmern ähnlicher sein als Krokodilen. Bemerkenswert ist die schon Kap. 4.2.3 erwähnte Krake, die noch zwischen beiden Genera schwankt und zunehmend feminin wird. Im Fall von Gottesanbeterin ist das Femininum sogar morphologisch abgesichert. Viele Feminina gehen auf relativ späten (frühnhd.) Genuswechsel zurück, wo sich dieses ethnozoologische Kontinuum kognitiv-linguistisch etabliert zu haben scheint. Vor allem kam es zum Wechsel maskulin > feminin, „darunter nicht wenige Bezeichnungen von niederen Tieren“ (Paul 1917/1968, § 55) wie z.B. bei der > die Schlange, Blindschleiche, Ammer, Schnepfe, Grille, Heuschrecke, Schnake, Schnecke, Made, Drohne (!).7 Auch komplett Unbelebtes wanderte zu den Feminina (Brille, Diele, Flocke). Es wurde somit kräftig umklassifiziert (Köpcke 2000a; Paul 1917/1968, §§ 55–66). Dass kaum bewegungs- und steuerungsfähige, inagentive, menschenunähnliche Wesen (und Gegenstände) so femininaffin sind, dürfte genderstereotyp und damit sozial induziert sein und auf eine historisch zunehmende Polarisierung und Asymmetrisierung von Männlichkeit und Weiblichkeit hinweisen. Um solche tief in die Grammatik sedimentierten Strukturen nicht nur oberflächlich zu deuten, sondern wirklich zu verstehen, bedarf es der interdisziplinären Kooperation von Sprach-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften.
4.3.3 Das Genus-Sexus-PrinzipGenus-Sexus-Prinzip bei personifizierten TierenTiere, Objekten und Abstrakta
In fiktionaler Literatur oder bebilderten KinderbüchernKinderbücher kommt es häufig vor, dass Tiere personifiziert und damit individualisiert werden, d.h. Namen bekommen, bestimmte Kleider tragen, sprechen und miteinander interagieren. Dabei wird ihnen fast ausnahmslos ein Geschlecht zugewiesen. Besonders interessant sind weniger belebte TiereTiere wie Vögel, Reptilien, Amphibien oder Insekten, deren Geschlecht nicht sichtbar und normalerweise auch irrelevant ist.
Man muss sich gar nicht in die fiktionale Welt begeben, denn häufig lässt sich beobachten, dass Wildtiere (vom Wels über die Schnappschildkröte bis hin zu Wolf und Bär) dann, wenn sie allzu dicht mit dem Menschen in Kontakt treten, in den Medien mit einem Eigennamen nicht nur benannt, sondern vermutlich gebannt (kontrolliert) werden. Auch dabei fällt auf, dass das Substantivgenus das im Namen realisierte Individualgeschlecht zu bestimmen scheint. Durch häufige Apposition stehen Appellativ und Name sogar in direkter Kontaktstellung: Problembär Bruno, Kaiman Sammy, Killerwels Kuno, Kranich Heintje, Schildkröte Lotti. Trauerschwänin Petra hieß anfänglich Peter und war damit am Genus von Schwan ausgerichtet. Die Entdeckung ihres wirklichen Geschlechts hat neben dem Geschlechtswechsel des Namens auch den Genuswechsel des Appellativs (Movierung) bewirkt. Auch dieser Komplex harrt noch seiner umfassenden Erschließung.
Am eindeutigsten erweist sich das ihnen zugewiesene Geschlecht am Namen. Ad hoc drängen sich Figuren auf wie die Biene Maja, Maikäfer Sumsemann, Karl der Käfer СКАЧАТЬ