Das Märchen im Drama. Hannah Fissenebert
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Название: Das Märchen im Drama

Автор: Hannah Fissenebert

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Forum Modernes Theater

isbn: 9783823301561

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СКАЧАТЬ in Tiecks erstes Märchendrama ab, dass schon früh eine Tradition intertextueller und reflexiver Anspielungen angelegt wurde.

      Tiecks Behandlung des Märchens in seinem Gestiefelten Kater verdeutlicht, dass er im Unterschied zu Gozzi mit einem Negativbild der Märchengattung spielt, um seinen Spott auf die Kritiker des Märchens zu richten. Gerade mithilfe des gesellschaftlich weit verbreiteten Vorwurfs, dass das Märchen infantil und zu trivial für das Bildungstheater sei, demontiert Tieck den Diskurs als ebenso kindisch und unseriös. Darüber hinaus verbindet er die illusorischen Mittel des Märchens mit denen des Dramas auf produktive Weise und kreiert so ein sich selbst befragendes und bespiegelndes Ebenenspiel, welches das Fantastische in den Vordergrund rückt.

      Ludwig Tieck: Ritter Blaubart. Ein Märchen in fünf Akten (1799/1812)

      Eine Besonderheit von Tiecks Blaubart-Adaptation ist der intertextuelle Verweis auf das Genre der Ritterdramatik. Dieses wird in der szenischen Adaptation des Märchens spielerisch und mitunter grotesk dekonstruiert. Das Satirestück erweist sich als Travestie auf seinerzeit populäre Ritter- und Rührstücke.1 Die berühmte Vorlage ist La Barbe-Bleue2 von Charles Perrault, der Tieck neue Figuren und Handlungsstränge hinzufügt.3 Hier zu nennen sind unter anderen Mechthilde, die Haushälterin Blaubarts, Claus, ein Narr, und, dem Genre der Ritterdramatik folgend, auch mehrere Ritter. Es kommt dabei zu einer partiellen Individualisierung der Familie von Blaubarts Braut. Blaubart selbst heißt nun Peter Berner bzw. in der späteren Fassung Hugo von Wolfsbrunn.

      In Tiecks Stück existiert eine grundsätzlich realistische Rahmenhandlung in einem zeitlosen und imaginären, aber dennoch konkreten Mittelalter.4 Auch tritt Blaubart auf den ersten Blick kaum noch als märchenhaft-wunderbare Figur auf, sondern stellt sich grausam, bieder und kleingeistig dar, während eher ‚realitätsnahe’ Figuren wie mancher Ritter dagegen als irrational Handelnde dargestellt werden.5 Der neu eingeführte Narr wiederum erscheint oftmals als die einzige vernunftbegabte Figur, was er in der ersten Szene des Stückes selbst erkennt: „Ich werde dafür bezahlt, um ein rechter wahrer Narr zu sein, und nun bin ich der verständigste von allen. Sie pfuschen dafür in mein Handwerk, und so ist kein Mensch mit seinem Stande zufrieden.“6 Scherers konziser Beschreibung folgend handelt es sich bei der Kontraststruktur dieser Darstellung um

      ein zentrales Verfahrensprinzip des ganzen Stücks: die Demonstration der Komplementarität von Gegensätzen […]. Die Pole markieren damit nicht nur die Extreme im variantenreich abgestuften Spektrum menschlicher Dispositionen, sondern jede äußerste Grenze definiert sich nicht weniger über die potentielle Identität mit ihrem Gegenteil: in der Darstellung des Tragischen im Launigen und Albernen, des Heiteren im Schwermütigen, des Grausam-Dämonischen im Rhetorisch-Aufgeräumten (Berner) wie Bieder-Dienstbeflissenen (Mechthilde), des Vernünftig-Pragmatischen im Närrisch-Skurrilen usw. – und umgekehrt.7

      Beispielhaft lässt sich das an folgendem Eingriff Tiecks in den Märchenprätext nachvollziehen: Anders als Perrault verzichtet Tieck nicht darauf, Blaubart ein Motiv für seine Morde zu geben, sodass dieser seine dämonische Größe verliert. Der einst äußerst unheimliche Protagonist des Märchens erhält fast bürgerliche Züge, wenn er sich im Namen der Menschenwürde und Humanität an die Bestrafung der Erbsünde macht. Nachdem Blaubart erkannt hat, dass seine neue Frau die verbotene Kammer mit den Leichen ihrer Vorgängerinnen geöffnet hat, verdammt er sie:

      HUGO Verfluchte Neugier! – Er wirft zornig den Schlüssel hin. Durch dich kam die erste Sünde in die unschuldige Welt, und immer noch lenkst du den Menschen zu ungeheuren Verbrechen, die oft zu schwarz und greulich sind, um nur genannt zu werden. Die Sünde der ersten Mutter des Menschengeschlechts hat alle ihre nichtswürdigen Töchter vergiftet, und wehe dem betrogenen Manne, der eurer falschen Zärtlichkeit, euren unschuldigen Augen, eurem Lächeln und Händedruck vertraut! Betrug ist euer Handwerk, und um bequemer betrügen zu können, seid ihr schön. Man sollte euer ganzes Geschlecht von der Erde vertilgen. […]8

      Bei Tieck wird Blaubart kurzerhand lächerlich, das Stück wendet sich hier vom Tragischen ins Groteske. So auch, wenn im 1. Akt, Dritte Szene, die Rede auf Blaubarts berüchtigten Bart kommt: Stellvertretend für die ganze Figur wird er als zugleich unheimlich und albern wahrgenommen, denn sein Bart „gibt ihm ein recht grausames, widerliches Ansehn, und dabei sieht er doch etwas lächerlich aus“9. In Perraults Märchen lassen sich solche Darstellungsbrüche nicht finden, auch wird märchentypisch keine Motivierung für Blaubarts Taten vorgenommen. Allein der widernatürlich blaue Bart suggeriert ein unergründliches und fast dämonisches Wesen. Durch die Märchenform braucht es keine weitere Erläuterung dieser Konnotation, sie wird ohne weiteres anerkannt. Tieck jedoch unterläuft diese märchenhafte Selbstverständlichkeit, indem er seinen Blaubart dann teilweise – aber eben nicht zur Gänze – psychologisiert und zwar als alltäglichen, fast lächerlichen Biedermann.10

      Zugleich behält Blaubart seinen unnatürlich blauen Bart und handelt weiterhin voller Brutalität und tötet ohne Gnade selbst harmlose Widersacher. „Der unsinnige Tod dieser Ritter stellt die unbeschwerte Heiterkeit der ersten Szenen in ein Zwielicht, in dem das Lachen mit einem gewissen Entsetzen grundiert ist und ziemlich jäh das Beunruhigende einer fraglichen Zukünftigkeit einbricht“11, resümiert Manfred Frank treffend. Auffällig ist, wie sich Tieck die ‚Lizenz’ des Märchens zur unmotivierten Handlung, die sich auch in La Barbe-Bleue finden lässt, zu eigen macht. Indem er den Märchenunhold psychologisiert und ihn zugleich mit psychologischen Widersprüchen ausstaffiert, kreiert Tieck mit seinem Märchendrama eine Gegengattung zum Prosamärchen. In diesem Sinne erneuert er die psychologischen Leerstellen des Märchens und erschafft so im Märchendrama eine neue Qualität.

      Dabei wird die lakonische Erzählweise des Märchens nicht bloßgestellt, sondern vielmehr durch einen doppelten Bruch wieder aufgegriffen. Indem Tieck die märchenuntypische Psychologisierung, die er vornimmt, zugleich selbstironisch ins Leere laufen lässt, bestätigt er die Erzählstrategie des Märchens letztlich wieder – obgleich sie im Märchendrama komplexer erscheint. Nicht zuletzt gewinnt das im Vergleich kurze Märchen durch die (sich widersprechenden) Erklärungsansätze sowohl an szenischem Material als auch an Möglichkeiten, sprachlich ausführlich zu werden, ohne die Figuren des Märchens greifbarer zu machen.12

      Mit Scherer gesprochen, lässt sich in diesem einheitlichen Widerspruch der Darstellung eine „dramenpoetologische Innovation“ erkennen, da eine „ironisierte Komplexität als Simultanvirulenz äußerst gegenläufiger Dispositionen“ ihre Wirkmacht entfaltet.13 In dieser Hinsicht löst sich auch die Verwandtschaft mit Gozzis Fiabe auf, die solche Brüche innerhalb einer Figur nicht zulassen.14 Gozzis Ansatz der Märchenbearbeitung findet sich nur noch ex negativo: Die Infragestellung des märchenhaft Wunderbaren, die bei Gozzi eindeutig den Masken zugeordnet ist, tritt bei Tieck nur als Zusammenspiel von Affirmation und Infragestellung auf.

      Auch im Vergleich zu Perraults Handlungsdarstellung verhält sich die von Tieck insgesamt uneindeutiger und subversiver. Während Perrault mit der Verbindung zwischen Lächerlichem und Furchterregendem arbeitet, die dann am Ende der Handlung zugunsten der Zuspitzung ins reine Grauen kippt, umfasst das Lächerliche und Alltägliche bei Tieck das gesamte Drama.15 Beispielhaft sei hier an den eigentlich höchst dramatischen Schluss des Märchens erinnert, wo Blaubarts Braut verzweifelt nach Rettung ausschaut. Diese Szene findet sich auch bei Tieck. Doch die Staubwolke, die vermeintlich nahende Reiter aufwirbeln, geht bei Tieck nur auf eine Herde Schafe zurück. Als der Bruder der bedrohten Frauen doch noch gesichtet wird, stürzt dieser jedoch mit seinem Pferd den Hügel hinunter und muss den Schwestern zu Fuß entgegenlaufen.16

      Hier ist ein parodistischer und relativierender Umgang mit dem Mechanismus des deus ex machina der antiken Tragödie zu beobachten, der im Blaubart anschließend noch weiter ins Absurde getrieben wird: Am Ende stirbt Blaubart sehr schnell und mit einer gewissen Beiläufigkeit, was im Kontrast zur langen dramatischen Zuspitzung steht. Auch der vermeintliche Schatz des Blaubarts, der nach dessen СКАЧАТЬ