Das Märchen im Drama. Hannah Fissenebert
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Название: Das Märchen im Drama

Автор: Hannah Fissenebert

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Forum Modernes Theater

isbn: 9783823301561

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СКАЧАТЬ besteht mitunter darin, dass keine unmittelbare Identifikation mit den Figuren des Dramas entstehen kann.

      Der Rezipient wird stets darauf hingewiesen (im Fall von Gozzis Fiabe vorwiegend indirekt, in späteren Dramen öfters auch explizit), dass das Märchendrama durch zwei unnatürliche Rahmungen konstituiert wird: das Drama und das Märchen. Dies fasst Susanne Winter pointiert zusammen: „Es lädt nicht zur einfachen Identifikation ein und bietet kein dekoratives Lokalkolorit, sondern es holt die Zuschauer immer wieder aus der Evasion zurück und bewirkt ein Oszillieren zwischen dem Wiedererkennen des Vertrauten und dem Bewußtsein seiner komischen Verfremdung auf der Bühne.“19 Besonders deutlich wird das in einer Szene von Die Frau eine Schlange, auf die ich hier beispielhaft verweisen möchte. Dort sprechen (von Gozzi als vorgegebene Improvisationsvorlage geschrieben) Truffaldino und Brigella über den Effekt von Masken auf der Bühne. Unter anderem diskutieren sie, dass die Behauptung, höhere Schichten würden nicht über diese ‚niedere’ Komik lachen, heuchlerisch sei:

      TRUFF. Adduceva il gran disturbo de’ servi nelle commedie, che piacevano a’ padroni, e a’ servi no. A lui piaceva l’Arlecchino, a’ padroni no. Lo faceva ridere; i padroni dicevano, che il ridere delle buffonate di quel personaggio era una scioccheria. Se dovesse ficcarsi degli aghi nelle natiche per non ridere a ciò, che lo faceva ridere. BRIG. Che certo quello era un gran disturbo. Che quando le maschere dicevano nella commedia delle cose, che lo facevano ridere, conveniva per la vergogna, ch’egli ridesse sotto al tabarro. TRUFF. Ch’egli aveva vedute moltissime Dame, e moltissimi Cavalieri ridere senza vergognarsi; che tuttavia è contento d’esser partito da un mondo, che sosteneva un’incomoda serietà in apparenza, e in sostanza era assai ridicolo. Quella solitudine gli piaceva, etc.20

      Derartige Kommentare zum Märchengeschehen und zur Theatersituation schaffen eine ironische Distanz zur dramatischen Handlung, aus der die Figuren jedoch dennoch nicht gänzlich heraustreten – es kommt demnach zwar zur Verwunderung, doch nie zur Infragestellung des Dramas oder des Märchens.21 Dies verändert sich erst in späteren Märchendramen, wo kritische Kommentare zu den märchenhaften Geschehnissen als metareflexive Infragestellung der Märchenform potenziert werden. Die Distanz zum Märchengeschehen, das somit seine prekäre und weltfremde Atmosphäre beibehalten darf, und die ironische Kommentierung einer Märchen(un)logik und von zeitgenössischen Ereignissen verleihen der Fiabe zumindest aber indirekt selbstreferentielle Züge. Dies bestätigt vorerst die Teilhypothese, dass hier ein charakteristischer Zug dramatischer Märchenbearbeitungen vorliegt.22 Inwiefern die Reflexion der eigenen Form bereits im Märchen selbst angelegt ist, werde ich in den folgenden Kapiteln genauer untersuchen.

      Grundlegend lässt sich sagen, dass Gozzi das Märchen und die Commedia dell’arte durch die verspielte und kontrastierende Übertreibung der dramatischen Darstellung in eine tendenziell selbstreflektierende Zuspitzung von Theatralität transformiert. Seine Kritik an den trivialen Formen und an der Arbeit seiner Kollegen führt zu einer wirkungsästhetischen Verweigerung, die das Märchendrama trotz der teils wenig ausgefeilten Bearbeitung und Effekthascherei als eine mögliche neue Gattung konstituiert.23 Mithilfe satirischer Eingriffe scheint nicht die Abbildung von Wirklichkeit, sondern ein betont künstlicher und indirekter Bezug zur Wirklichkeit intendiert zu werden.24 Dazu macht sich Gozzi, wie Friedrich Wolfzettel es nennt, die „märchenhafte Reduktion der Psychologie“25 der Vorlagen zu eigen und ergänzt sie damit wirksam um die stereotype Darstellung der Commedia dell’arte.

      Gozzis intertextuelle Satire wendet sich letztlich nicht primär gegen die Märchenform und die Commedia dell’arte als solche, sondern gegen eine unreflektierte Normativität theatraler Darstellung. Seine Aneignung des Märchens im Drama wird greifbarer, wenn man die intertextuelle Synthese erkennt, die sich aus seiner satirischen Betrachtung ergibt. Trotz des signifikanten Charakters seiner Märchendramen verharrt Gozzi mit den Techniken der superioritären Kontrastierung aber bei einem Komödienverständnis, das zur Denunzierung des Stoffes neigt.

      Deutlich vielschichtiger und offensiver als Carlo Gozzi verfasst Ludwig Tieck seine Märchensatiren.26 Sind bei Gozzi die selbstreferentiellen Anteile nur angelegt (vor allem durch die anfängliche Kritik an seinen Theaterkollegen und deren Ästhetik), werden diese bei Tieck dominanter. Die intertextuellen Bezüge und eine satirische Sichtweise werden jedoch ebenso wie bei Gozzi durch eine explizit markierte Adaptation der Märchenprätexte gewahrt.27 Vergleichbar mit Gozzis Werk ist vor allem, dass die Kritik an zeitgenössischen Diskursen mithilfe der Adaptation des Märchens im Drama vorgenommen wird. Inwiefern gerade das Märchen als Gattung in spezifischer Weise für eine satirische Betrachtung von gesellschaftlichen und künstlerischen Normen geeignet ist, versuche ich im Folgenden, mithilfe von Tiecks Märchendramen nachzuweisen.

      I.2 Ludwig Tiecks Märchendramen

      Ludwig Tieck hat insgesamt vier Märchendramen verfasst, die auf bekannte Märchenstoffe zurückgehen: Der gestiefelte Kater. Ein Kindermärchen in drey Akten, mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge (1797/1812), Ritter Blaubart. Ein Märchen in fünf Akten (1799/1812), Leben und Tod des kleinen Rothkäppchens. Eine Tragödie (1800/12) und Leben und Taten des kleinen Thomas, genannt Däumchen (1811).1 Die genannten Stücke sind alle im späteren Werk Phantasus enthalten, in dem sie neben anderen Texten von wechselnden Vorlesenden in geselliger Runde vorgetragen werden – dies erinnert daran, dass Tieck selbst aktiv an literarischen Salongesprächen teilgenommen hat, unter anderem im Kreis Friedrich Wilhelm Schlegels, dem auch der Phantasus gewidmet ist.2

      In der „Ersten Abteilung“ des Phantasus sind sieben Novellen-Märchen, in der zweiten sieben Märchendramen enthalten; das Märchen hat demnach im Phantasus, dieser „Allegorie des romantischen Universalbuchs“3, einen großen Stellenwert.4 Im Sinne einer beispielhaften Analyse der satirischen Mittel, mit denen Tieck seine Märchendramen erschafft, gehe ich nun wie bei Gozzis Werk der Frage nach, gegen wen bzw. was die Märchensatire ihren Spott richtet und welche intertextuellen und selbstreferentiellen Ebenen existieren und gezeigt werden.

      Tieck lässt sich neben Elementen der antiken Komödie, der Commedia dell’arte und Shakespeares Komödien auch von Gozzis Märchenspielen anregen; er geht allerdings künstlerisch vielfach über diese hinaus.5 So verkündet Tieck selbst: „Ohne Gozzi nachahmen zu wollen, hat mich die Freude an seinen Fabeln veranlasst, auf andere Weise und in deutscher Art ein phantastisches Märchen für die Bühne zu bearbeiten.“6 Dennoch ist Gozzi für Tieck bedeutsam, da ihn der Fokus auf das Wunderbare im Drama als Abgrenzung von der klassizistischen vraisemblance interessiert.7 Dies stärkt auch die Lesart von Gozzis Fiabe als Versuch, sich einer Abbildung von Wirklichkeit ästhetisch zu entziehen.

      Tieck kreiert in seinen Märchendramen vor allem generische Ambivalenzen; diese manifestieren sich, so Scherer einsichtig, in drei Grundzügen: zum einen „im selbstbezüglichen Spiel mit dem Drama, indem die Aktualisierbarkeit älterer Dramenmodelle (z.B. Märchendramen) für ein bürgerliches Publikum, das im Märchen […] gegenwärtiges Illusions- und Rührtheater erwartet, szenisch reflektiert wird“8. Tiecks Anspielungen gestalten sich also explizit selbstreferentiell – in ihnen äußert er sich satirisch zu den Erwartungshaltungen, die Märchen, Märchendrama und Unterhaltungstheater wecken können.

      Eine andere Eigenart zeigt sich „im szenischen Amalgamieren des Komischen mit dem Tragischen bzw. dem Humoristischen mit dem Grausamen oder Bizarren“, an die sich das dritte von Scherer erfasste Charakteristikum direkt anschließt: „Ein gemeinsames Merkmal der beiden Linien – der Dramaturgie der Unterbrechung auf der einen, der Dramaturgie der Dispersion auf der anderen Seite – besteht über deren Zugehörigkeit zu den Märchendramen hinaus im schnellen Themen- und Formenwechsel vom Erhabenen zum Unsinn.“9 Die hier benannten Stil- und Strukturbrüche sind teils der intertextuellen (und intermedialen) Konzeption geschuldet und machen aus einem scheinbar naiven und eindimensionalen Märchen ein vielschichtiges Ebenenspiel, das gerade mit der enttäuschten Vorstellung des typisch Märchenhaften spielt und diese kritisch reflektiert.10

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