Das Märchen im Drama. Hannah Fissenebert
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Название: Das Märchen im Drama

Автор: Hannah Fissenebert

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Forum Modernes Theater

isbn: 9783823301561

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СКАЧАТЬ Sprache miteinander reden können und mokiert sich über das Publikum;16 zudem unterbricht der Schauspieler des Hanswursts (welcher dem Possenreißer aus der Commedia dell’arte ähnlich ist) seine Darstellung und wendet sich an das Publikum, als die Aufführung immer unübersichtlicher wird und zu scheitern droht:

      HANSWURST […] jetzt aber, verstehn Sie mich, jetzt rede ich ja zu Ihnen als bloßer Schauspieler zu den Zuschauern, nicht als Hanswurst, sondern als Mensch, zu einem Publikum, das nicht in der Illusion begriffen ist, sondern sich außerhalb derselben befindet, kühl, vernünftig, bei sich, vom Wahnsinn der Kunst unberührt. Kapieren Sie mich? Können Sie mir folgen? Distinguieren Sie?17

      Es kommt demnach verstärkt zur desillusionierenden Aufdeckung der Bühnenwirklichkeit, die allerdings aus Rezipientensicht gleichermaßen fiktiv ist. Durch den inszenierten Blick hinter den Vorhang wird ein perspektivisches Spiel mit den Wirklichkeitsebenen betrieben, in dem Raum und Zeit relativiert werden.18 Dabei sorgt paradoxerweise das fingierte Publikum, welches sich ein gelungenes Illusionstheater wünscht, mit seinen Zwischenrufen dafür, dass eben dieses endgültig misslingt.19 Tiecks Märchenkomödie scheint sich über jene Zuschauer zu echauffieren, die sich zu schade für ein Märchen sind.

      Im Verlauf des Stückes zeichnet sich weiterhin ab, dass die Zuschauer nach einer ungebrochenen Märchendarbietung verlangen und darüber klagen, dass diese von Seiten der Theaterschaffenden immer unterbrochen wird.20 So beschwert sich ein Zuschauer: „Unmöglich kann ich da in eine vernünftige Illusion hineinkommen.“21 Tiecks kritische Offenlegung der Erwartungen erfolgt somit in mehreren Schritten: Zunächst lassen die Zuschauer verlauten, dass Märchen nur für Kinder geeignet seien, im Anschluss wird ihre hierzu konträre Forderung nach einer unreflektierten Märchenillusion bloßgestellt. Beide Ansichten werden somit als fraglich markiert, ohne dass Tieck im Umkehrschluss das Märchen als für Kinder ungeeignet darstellen würde.

      Das scheinbar naive Märchen eignet sich hier besonders gut als Objekt des Anstoßes, um die kindische Erwartungshaltung der Zuschauer zu demontieren. Nicht das Märchen wird von Tieck als anspruchslos oder überholt dargestellt, sondern das Theaterpublikum seiner Zeit, das sich in seiner Empörung über die Stückvorlage als rückständig erweist. Die Ironie dieses Umkehrschlusses fußt primär auf dem allgemein verbreiteten Ruf des Märchens als trivialer Unterhaltungsform und gewinnt seine satirische Schärfe eben dadurch, dass es gerade mit dieser vermeintlich naiven Vorlage gelingt, die Stupidität einer Gesellschaft vorzuführen.

      Im Verlauf seines Stückes lässt Tieck die lächerlich wirkenden Forderungen seiner Zuschauerfiguren mithilfe des Märchens ins Leere laufen. Die von den Zuschauern eingeforderte Trennung der beiden Ebenen Märchenschauspiel und Schauspielhandwerk bleibt bei ihm konsequenterweise unerfüllt. Stattdessen wird eine spielerische Buffonerie betrieben, indem die Figuren des Stückes dazu neigen, aus der Darstellung auszusteigen, sie zu reflektieren und wieder in sie zurückzukehren.22 Schließlich tritt gar der Dichter des Gestiefelten Katers selbst auf und bittet erfolglos um Verständnis für sein Stück:

      DICHTER […], lassen Sie sich aus Mitleid mein armes Stück gefallen, ein Schelm gibts besser, als ers hat; es ist auch bald zu Ende. – Ich bin so verwirrt und erschrocken, daß ich Ihnen nicht anders zu sagen weiß.

      ALLE Wir wollen nichts hören, nichts wissen.23

      Gerade weil die Illusion des Märchenstücks so explizit unterlaufen wird, bleibt sie doch präsent. Durch den Prozess der gezielten Offenlegung von Illusionsmechanismen wird das Spiel mit dem Märchen und seiner künstlichen Form, die sich im Drama gespiegelt sieht, noch potenziert.24 Über das Spiel im Spiel heißt es bei Karin Schöpflin treffend, es gebe

      dem Dramatiker die Möglichkeit sein eigenes Medium zu zeigen und darüber im- oder explizit zu reflektieren. Er kann die Wirkung von Theater auf Zuschauer demonstrieren oder bestimmte dramatische Techniken oder Stile parodistisch oder kritisch kommentieren. So stellt sich das Theater als Kunstmittel selbst dar, und dem Dramatiker bietet sich die Gelegenheit, seine Kunstauffassung vorzuführen. In jedem Fall zeugt das Auftreten von Theater im Theater von einem hohen Medienbewußtsein des Theaterschriftstellers.25

      Das Spiel im Spiel entgrenzt aber auch die Auseinandersetzung mit dem Märchen, da es dessen Verwandtschaft mit den illusionistischen Mitteln des Dramas betont und neue Deutungsräume jenseits der üblichen Märchenklischees generiert. So wird eine paradigmatische Funktion des Märchens für das Drama deutlich, wenn die strukturelle Artifizialität des Märchens sich in der des Theaterspiels spiegelt und potenziert.26

      Insgesamt scheitert zwar die Kommunikation zwischen dem fiktiven Autor und dem Publikum in Tiecks Gestiefeltem Kater, dies führt aber dazu, dass die Märchensatire als solche gelingen kann.27 Zudem wird das Märchen trotz aller Irritationen und Unterbrechungen im Stück zu Ende erzählt: Der Kater gewinnt und der Müllersohn erhält Königreich und Prinzessin. Nur die Beziehung auf der Inszenierungsebene, das heißt zwischen Theaterbetrieb, Dichter und Publikum, scheitert gänzlich und zwar zugunsten neuer Illusionsebenen. Denn durch Tiecks Dekonstruktion des Märchens werden wieder neue illusionistische Spielebenen erschaffen: Wenn Tieck die Märchenillusion durch eine durchbrechende Theaterwelt und die Kommentare des bürgerlichen Publikums unterminiert, ersetzt er nur eine fiktive Welt mit einer anderen – auch wenn diese näher an der Realität angesiedelt zu sein scheint.

      Einerseits führt Tieck in seinem Märchendrama typisierte Zuschauer vor und spielt zahlreich auf literarische und theaterpraktische Konventionen, bekannte Autoren und Kritiker an.28 Dies ist für sich nicht märchenspezifisch, sondern trifft auch auf andere Satiren bzw. Werke von Tieck zu. Andererseits scheint die Hauptintention des Gestiefelten Katers (und, wie sich zeigen wird, auch die seiner späteren Märchendramen) nicht primär in der „zeitbedingten Satire gegen konkrete Mißstände im literarischen Leben zu liegen, als vielmehr auf ein zeitlos-allgemeines Spiel der Bühne als einer fiktiven Welt mit ihren eigenen Bedingungen zu zielen“29.

      Bei aller zeitgenössischen Satire versucht Tieck darüber hinaus, dem spöttischen Zugriff einen beinah erhabenen Beiklang zu geben, und erklärt den ironischen Blick zum sinnstiftenden Ideal.30 Mit der zeitgleichen Dekonstruktion und Neuerschaffung einer Bühnen- und Märchenillusion gelingt Tieck eine Wiederverzauberung der gerade abgeschafften Welt.31 Laut einer der Phantasus-Figuren erfüllt Der gestiefelte Kater auf diese Weise eine Grundvoraussetzung der romantischen Kunst, so der Völlige Schluss im Nachsatz des Stückes:

      Es ist ein Zirkel, sagte Willibald, der in sich selbst zurückkehrt, wo der Leser am Schluß grade eben so weit ist, als am Anfange. […] mit der Entstehung des Theaters entsteht auch der Scherz über das Theater, wie wir schon im Aristophanes sehn, es kann es kaum unterlassen, sich selbst zu ironisieren, was der übrigen Poesie ferner liegt, und noch mehr der Kunst, weil auf dem wunderbaren Widerspruch in uns, seine Basis ruht.32

      Dass Tieck zur Erschaffung eines idealen Theaters gerade das Märchen als Gattung wählt und dessen spezifisch künstlerischen Eigenarten einsetzt, um kontinuierlich ein selbstreferentielles Spiel mit satirischen Mitteln zu betreiben, verweist auf eine Verwandtschaft beider. Diese löst sich in dem verschachtelten Spiel mit Normen, Illusionen, Künstlichkeit und einer kritisch-ironischen Selbstbefragung vielfältig ein. So ist das Märchen als Vorlage einer satirischen Bearbeitung in Tiecks Werk zwar nicht alleinstehend, doch in der alludierenden Verbindung seiner Künstlichkeit mit der des Dramas wird es spezifisch. Nicht die satirische Befragung mithilfe des Märchens, sondern die Transformation des Märchens im Drama und des Theatralen im Märchen hin zu einer selbstreflexiven Darstellung ist konstitutiv für die Märchendramatik. In dieser Hinsicht unterscheiden sich auch Tiecks Märchendramen von seinen anderen satirischen Adaptationsverfahren.

      Bemerkenswert ist, dass das intertextuelle Zusammenspiel von dramatischer Selbstreferentialität und satirisch-reflexiver Märchenbefragung noch lange nach der Romantik typisch für Märchendramen zu sein scheint. Die hier vermutete Verwandtschaft СКАЧАТЬ