Das Märchen im Drama. Hannah Fissenebert
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Märchen im Drama - Hannah Fissenebert страница 9

Название: Das Märchen im Drama

Автор: Hannah Fissenebert

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Forum Modernes Theater

isbn: 9783823301561

isbn:

СКАЧАТЬ Ruth Petzoldt eher von „Albernheit“, mit der Tieck die Verbindlichkeit etablierter Gattungskonventionen infrage stellt.11 Beide Begriffe verdeutlichen jedoch gut, wie sich Tieck ganz im Geiste der romantischen Poesie mit einer antirationalen und scheinbar kindlich-naiven Grundhaltung gegen einen Rationalismuskult und einen überhöhten Fortschrittsglauben wendet.12 Bernhard Greiner sieht in dieser Form der Ironie eben jene Manier der „Buffonerie“, die so typisch für die Commedia dell’arte ist.13 Inwiefern Tieck mithilfe der kindlich anmutenden Märchenvorlagen, die er vor allem aus Charles Perraults Histoires ou contes du temps passé, avec des moralités: Contes de ma mère l’Oye (1697)14 entleiht, satirisch-komplexe und intertextuelle Dramentexte mit selbstreflexiven Momenten konstruiert, werde ich nun im Einzelnen darlegen.

      Ludwig Tieck: Der gestiefelte Kater. Ein Kindermärchen in drey Akten, mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge (1797/1812)

      In seinem Märchendrama Der gestiefelte Kater begnügt sich Tieck im Vergleich mit den anderen Adaptationen noch mit einer transparent wirkenden Theaterkritik.1 Es handelt sich in erster Linie um ein satirisches Drama im Gewand des Märchens von Perrault.2 Insofern ist es mit Gozzis ersten Märchenstück L’amore delle tre melarance vergleichbar: Gozzi verspottet Carlo Goldoni und Pietro Chiari, Tieck nimmt sich August Wilhelm Iffland, August von Kotzebue und den Inszenierungsstil des Berliner Nationaltheaters vor.3 Tieck wendet sich vor allem gegen die ihm trivial erscheinenden Familien- und Rührstücke des Theaters und die distanzlose Bewunderung der Spielweise Ifflands durch den Kritiker Karl August Böttiger, den er im Gestiefelten Kater mit der Figur des Kritikers Bötticher karikiert.4

      Während aber Gozzi versucht, seine literarischen Gegner in die Märchenhandlung einzubauen, stellt Tieck stattdessen nach Rührstücken verlangende Zuschauer auf die Bühne, um sie dort zu Zeugen einer Kindermärchenaufführung werden zu lassen, die ihnen wiederum nicht anspruchsvoll genug ist.5 Dabei geht es Tieck laut Feldmann nicht darum, dem rührseligen Unterhaltungsstück ein Märchenstück programmatisch entgegenzusetzen: „Wenn auch das ‚alberne Ammenmärchen’ im Gestiefelten Kater in burlesker Gestalt erscheint, so vertritt es nichtsdestoweniger eine Komödienkonzeption, die dem pedantischen Wahrscheinlichkeitskult der Aufklärung diametral entgegengesetzt ist.“6 Gegenstand der satirischen Kritik ist nicht das Märchen als Form, sondern vielmehr zeitgenössische Diskurse, die selbstreferentiell im Stück aufgegriffen werden.

      Zu diesem Zweck arbeitet Tieck in seiner Märchenadaptation mit Kontrastfiguren; so werden etwa der König und die Prinzessin, vor allem aber der Kater und der Müllersohn Gottlieb, als motivisch konträre Rollen eingeführt.7 Ist der eine gewitzt, ist der andere dumpf; diese possenhaften Züge werden in der Phantasus-Fassung des Gestiefelten Katers sogar noch betont.8 Das erinnert stark an Gozzis Zugriff auf Märchen und seine Theaterästhetik, scheint aber im Vergleich noch offensiver und weniger auf Kosten des Märchens zu gehen. Statt das Märchen als triviale Gattung zu diffamieren, wie es bei Gozzi tendenziell noch zu beobachten ist, nutzt Tieck das Märchen vielmehr, um zeitgenössische Diskurse als überholt und borniert zu entlarven. Indem gerade die Zuschauerfiguren, die das Märchen als kindisch und unseriös bezeichnen, von Tieck als ignorante und stupide Charaktere dargestellt werden, wird die Kritik am Märchen negiert. Der durchaus positive Stellenwert des Märchens wird bei Tieck folglich indirekt durch die Herabsetzung der fiktiven Gegner des Märchens markiert.

      Hierzu generiert Tieck ein Schauspiel im Schauspiel, indem er eine Aufführungssituation konstruiert, in der die Figuren als Zuschauer und Schauspieler (bzw. als die von ihnen gespielten Märchenfiguren) auftreten und als solche einer fiktiven Theateraufführung des Gestiefelten Katers beiwohnen, die immer wieder unterbrochen wird.9 So kommt es zu einer Zerteilung des Geschehens in eine intra- und eine metadiegetische Ebene, wenn das Drama durch das Spiel im Spiel in zwei Ebenen unterteilt wird:10 Seine Figuren sind sowohl Märchenfiguren als auch Darsteller. Als Schauspieler bleiben sie dabei allerdings so künstlich wie die vorherigen Figuren oder um es mit Ernst Nef zu formulieren: „[Ein] Darsteller, der […] beim Aus-der-Rolle-Fallen hinter der Rolle zum Vorschein kommt, ist ein künstlicher Darsteller, die Tatsache, daß er nicht mit den wirklichen Zuschauern ins Gespräch kommen kann, zeigt, daß er selbst als ‚Darsteller’ in einem fiktiven Horizont gefangen bleibt.“11

      Zunächst aber beginnt der Gestiefelte Kater vergleichbar simpel mit einem Prolog der (fiktiven) Zuschauer, in dem die Erwartungshaltung des Publikums an das Stück bereits satirisch thematisiert wird. So diskutieren die Zuschauer vor Beginn der Vorstellung, von welcher Art das Schauspiel sein könnte:

      FISCHER Kennen Sie das Stück schon?

      MÜLLER Nicht im mindesten. – Einen wunderlichen Titel führt es: Der gestiefelte Kater. – Ich hoffe doch nimmermehr, daß man die Kinderpossen wird aufs Theater bringen.

      SCHLOSSER Ist es denn vielleicht eine Oper?

      FISCHER Nichts weniger, auf dem Komödienzettel steht: ein Kindermärchen.

      SCHLOSSER Ein Kindermärchen? Aber ums Himmels Willen, sind wir denn Kinder, daß man uns solche Stücke aufführen will? Es wird doch wohl nun und nimmermehr ein ordentlicher Kater auf die Bühne kommen?

      […]

      MÜLLER So ist wohl ein ordentliches Familiengemälde, und nur ein Spaß, gleichsam ein einladender Scherz mit dem Kater, nur eine Veranlassung, wenn ich so sagen darf, oder ein bizarrer Titel, Zuschauer anzulocken.

      […]

      SCHLOSSER […]

      Ein Revolutionsstück, so viel ich begreife, mit abscheulichen Fürsten und Ministern, und dann ein höchst mystischer Mann, der sich mit einer geheimen Gesellschaft tief, tief unten in einem Keller versammelt, wo er als Präsident etwa verlarvt geht, damit ihn der gemeine Haufe für einen Kater hält. Nun da kriegen wir auf jeden Fall tiefsinnige und religiöse Philosophie und Freimaurerei.

      […]

      FISCHER Sie haben gewiß die richtige Einsicht, denn sonst würde ja der Geschmack abscheulich vor den Kopf gestoßen. Ich muss wenigstens gestehn, daß ich nie an Hexen oder Gespenster habe glauben können, viel weniger an den gestiefelten Kater.

      […]

      MÜLLER Aber wie kann man denn solches Zeug spielen?

      LEUTNER Der Dichter meint, zur Abwechselung, –

      FISCHER Eine schöne Abwechselung! Warum nicht auch den Blaubart, und Rotkäppchen oder Däumchen? Ei! der vortrefflichen Sujets fürs Drama!12

      Hier lassen sich bereits eine explizite Markierung der Märchenvorlage und intertextuelle Anspielungen auf Tiecks andere Stücke ablesen.13 Pfisters Anmerkung, „dass eine Beziehung zwischen Texten umso intensiver intertextuell ist, je mehr der eine Text den anderen thematisiert, indem er seine Eigenart […] ‚bloßlegt’“14, trifft in Tiecks Figurenrede gleich in zweifacher Hinsicht zu: So wird im Gestiefelten Kater nicht nur das Märchen und seine vermeintliche Naivität thematisiert, sondern auch die bereits erwartete Reaktion des Rezipienten aufgegriffen und karikiert.

      Nachdem die affektierte Anspruchshaltung der Zuschauer, die sich über das ihrer Ansicht nach kindischen Märchen mokieren, als naiv, konservativ und selbstgefällig entlarvt wird, beginnt die Märchenaufführung auf der Bühne. Zunächst verläuft die Märchenhandlung parallel zu der Kommentatoren-Ebene der Zuschauer, welche auf das Ende der Szenen sowie zwei Zwischenakte beschränkt ist. Diese enthält zumeist abfällige und empörte Ausrufe über die dilettantische Märchenhandlung.15

      Schließlich aber brechen die Schauspieler aus ihren Rollen СКАЧАТЬ