Der Philipperbrief des Paulus. Eve-Marie Becker
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СКАЧАТЬ Psalm“ (8). Auch Baurs Kritik an der Gedankenführung des Philipperbriefes greift Lohmeyer produktiv auf: Die „‚Vagheit‘ der brieflichen Haltung […] hat ihre konkreten Gründe. Denn Märtyrer sein heißt nichts anderes als die letzte religiöse Wirklichkeit in ihrer göttlichen von keiner Zeit und Geschichte beschwerten Allgemeinheit in Zeit und Geschichte erleben“ (8).

      Fiel Meyers Kommentierung des Philipperbriefes in eine im mehrfachen Wortsinne „kritische Phase“ der Paulusexegese und geschah sie im Wesentlichen als eine Widerlegung der BaurBaur, Ferdinand Christian’schen Argumente, so schließt sich bei LohmeyersLohmeyer, Ernst produktiver Auseinandersetzung mit Baur der Kreis. Lohmeyer muss Baur nicht länger widerlegen, er deutet Baurs „genialen Blick“ (7) um. Dass Lohmeyer mit seiner martyrologischenMartyrium, Märtyrer, martyrologisch Deutung des Philipperbriefes, die seinen Kommentar von den zeitgenössischen, bis heute ebenso einflussreichen Kommentierungen des Briefes durch Martin DibeliusDibelius, Martin (1911; 19373),Dibelius, Martin11 Karl BarthBarth, Karl (1928)Barth, KarlLohmeyer, Ernst12 oder Wilhelm MichaelisMichaelis, Wilhelm (1935)Michaelis, Wilhelm13 deutlich unterscheidet, in erschreckender Weise sein eigenes Schicksal als Theologe unter den Bedingungen von Nationalsozialismus einerseits und sowjetischer Besatzung andererseits vorausbeschrieb, konnte er sicher nicht ahnen. Lohmeyers Kommentierung des Philipperbriefes wird in einer dramatischen „real life experience“ verifiziert.Betz, Hans DieterDemut14 Retrospektiv zeigt sich so, wie Leben und Werk eines Exegeten letztlich kaum zu trennen sind. Der Kommentator und sein Kommentar prägen und beeinflussen einander gegenseitig, auch wenn diese Wechselwirkung oft erst im geschichtlichen Abstand deutlich werden kann.

      4. Die Auslegung von Phil 2,5/6ff. im Vergleich

      Ein abschließender Blick soll der Auslegungsgeschichte von Phil 2,5/6ff. im KEK gelten – einem Text, der, wie wir schon sahen, seit dem 19. Jahrhundert nicht nur im Streit über die mögliche Unechtheit, weil: gnostische Prägung (BaurBaur, Ferdinand Christian)Meyer, Heinrich A. W.1 des Philipperbriefes eine große Rolle spielte, sondern der auch zu den theologischen Kerntexten innerhalb des Briefes, wenn nicht des gesamten Corpus Paulinum zählt. Zudem gehört dieser Abschnitt, wie in der Exegese immer wieder konstatiert wurde und wird, „zu den schwierigsten Abschnitten der paulinischen Briefe“Lohmeyer, Ernst2. Folgende Aspekte waren (und sind) bei der vergleichenden Betrachtung der KEK-Kommentare von besonderer Bedeutung für das Textverstehen: (a) die formale und funktionale Bestimmung von Phil 2,5/6-11, (b) die Verknüpfung mit dem Kontext, (c) die Interpretation des Begriffs ἁρπαγμόςἁρπαγμός, ἁρπάζω in V. 6 und (d) die Deutung der KenosisKenosis Christi in V. 7.

      Meyer widmet sich in seinem Kommentar 1847 der Auslegung von Phil 2,5-11 auf den Seiten 47-63.Wette, Wilhelm M. L. deMatthies, Conrad S.3 (a) Der Textabschnitt wird unter Verweis auf 2,3f. als eine Beispielerzählung zur Ermahnung, nicht die eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen, verstanden (47). (b) Der Abschnitt ist im Zusammenhang von 2,1ff. bzw. 1,27ff. zu sehen (43). (c) Nach Meyer bedeutet der ἁρπαγμόςἁρπαγμός, ἁρπάζω in V. 6 nicht praeda, sondern – unter Verweis auf Plutarch (de pueror educ 120) – den Akt des Raubens oder Beutemachens (50). Meyer erklärt V. 6 wie folgt: „nicht für ein Rauben hielt er das Gott-Gleichsein, d.h. nicht so sah er die Gottgleichheit […] an, als wäre sie ein Verhältniss des Beutemachens, als bestehe sie im Ansichreissen fremden Besitzes“ (50). (d) Statt andere zu berauben, hat Christus sich selbst, d.h. der vormenschlichen Doxa entleert und die μορφὴ θεοῦ gegen eine μορφὴ δούλου eingetauscht (53). Die KenosisKenosis Christi vollzieht sich als „Ausziehen“ (ἐκδύειν) der göttlichen μορφήμορφή (54) und wird als κρύψις realisiert. Meyers Deutung, die sich 1847 noch nahe an der Tübinger Position im Theologenstreit des 17. Jahrhunderts hält, ist in vielen, aber doch nicht in allen Punkten mit der Interpretation de WettesWette, Wilhelm M. L. de verwandt.Wette, Wilhelm M. L. deKenosis4 Tatsächlich ist eine Differenz zwischen beiden Kommentaren auffällig: Bei der Beschreibung des (göttlichen) Status Jesu als handelnder PersonPerson, persona und des Vorgangs der Kenosis unterscheidet sich de Wettes Sicht auf Phil 2,6f. von der Meyers.Wette, Wilhelm M. L. deMeyer, Heinrich A. W.Kenosis5

      Mit der zweiten Auflage seines Kommentars beginnend ist Meyer offenbar darum bemüht, seine Deutung von Phil 2,6ff. (möglichen) Kritikern zum Trotz zu verteidigen oder auch zu korrigieren. So fügt er eine Bemerkung zum antidoketischen Gehalt von Phil 2,7 an (18592: 60) und erweitert seine Ausführungen zur christologischen Deutung von Phil 2,6-8 (1847: 57; 18592: 62-64) in signifikanter Weise: Der göttliche Logos legte bei der Menschwerdung die μορφὴ θεοῦ ab, also die göttliche Doxa als eine „Existenzform“, behielt aber das εἶναι ἴσα θεῷ als ein göttliches „Selbstbewusstsein“ bei (18592: 63). Meyer distanziert sich jetzt – und unter explizitem Verweis auf Gottfried Thomasius (1802-1875)Person, persona6 – von seiner 1847 angedeuteten Nähe zu der von den Tübinger Theologen im 17. Jahrhundert (s.o.) vertretenen Vorstellung von der κρύψις. Meyer grenzt sich zugleich kritisch von weitergehenden zeitgenössischen Versuchen ab, die KenosisKenosis Jesu als eine „Selbstbeschränkung des göttlichen Logos“ (so Thomasius) oder eine „ethische Ineinanderbildung göttlichen und menschlichen Lebens in der PersonPerson, persona Christi“ (18592: 63) zu deuten. Solche Versuche verweist Meyer letztlich auf das Gebiet der Dogmatik (18592: 63; 18653: 69f.). Offenbar hat Meyer sich zwischen 1847 und 1859 dennoch u.a. von dem Erlanger Gelehrten Thomasius und dessen Vorstellung einer kenotischen Christologie7 im Blick auf seine Analyse von Phil 2,6f beeinflussen, wenn nicht: korrigieren lassen.Person, persona8 Die christologischen Debatten über die sogenannte „Selbstentäußerung des Logos“ im 19. Jahrhundert sind anders gelagert als die im 17. Jahrhundert9 – das hat Meyer wohl zwischenzeitlich erkannt. Die dritte und vierte Auflage seines Kommentars von 1865 und 1874 bieten demgegenüber zwar bibliographische Ergänzungen und sachliche Erläuterungen, aber keine nennenswerten Revisionen (18653: 68-70; 18744: 85-88). Nur insistiert Meyer 1865 schon in der „Vorrede“ darauf, an der paulinischen Präexistenz-Christologie des Philipperbriefes festhalten zu wollen (18653: VI). Sein Zugriff auf Phil 2,7 ist von der ersten bis zur vierten Auflage dogmengeschichtlich bestimmt.

      Die Kommentierung von Phil 2,5ff. (91-125) in FrankesFranke, August H. Kommentar 1886 folgt (a) im Blick auf die Formbestimmung weitgehend der in der protestantischen Exegese damals üblichen Deutung des Textes als einer (ethisch orientierten) Beispielerzählung (89). Für Franke äußert sich die vorbildhafte „Gesinnungsweise“ Christi in dem Verzicht auf den ἁρπαγμόςἁρπαγμός, ἁρπάζω, die Übung der KenosisKenosis und der Selbsterniedrigung (91). (b) Phil 2,5/6-11 sind im Zusammenhang von 2,1-11 zu sehen, wo Paulus zu „liebevoller Eintracht und demüthiger Selbstverleugnung“ ermahnt (79). (c) In der Deutung des ἁρπαγμόςἁρπαγμός, ἁρπάζω erkennt Franke – anders als noch Meyer, der seine Aufmerksamkeit besonders auf V. 6a.c gelenkt hatte – den eigentlichen exegetischen „Mittelpunkt der Diskussion“ (97). Gegen Meyer – aber ähnlich wie LohmeyerLohmeyer, Ernst später – spricht sich Franke dafür aus, den ἁρπαγμόςἁρπαγμός, ἁρπάζω nicht nur als „Rauben“, sondern auch als „Beute“ (praeda), also als res rapta zu verstehen (98). Der ἁρπαγμόςἁρπαγμός, ἁρπάζω bezeichne im metonymischen Sinne das „Mittel räuberischer Selbstbereicherung“ (100 – unter Hinweis auf 1 Tim 6,5151 Tim06,5). Frankes Darstellung erfolgt umständlich, auf mehr als sechs Seiten (97-103ff.). (d) Die Kenosis Christi stehe dem ἁρπάζειν gegenüber – so wird Christus, nach Franke, zum „vollkommensten Vorbild der geforderten Gesinnung der Selbstverleugnung“ (109). Die Vorstellung von der Kenosis sei nicht mit der Selbsterniedrigung zu identifizieren (109). Anders als Meyer geht Franke davon aus, dass Christus in der Kenosis nicht nur die μορφὴ θεοῦ, sondern auch das εἶναι ἴσα θεῷ aufgegeben habe (109f.). Franke bleibt aber bei seiner Auslegung von Phil 2,5/6-11 insgesamt dem Vorgängerkommentar Meyers in Zu- wie Widerspruch (z.B. СКАЧАТЬ