Der Philipperbrief des Paulus. Eve-Marie Becker
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Philipperbrief des Paulus - Eve-Marie Becker страница 25

СКАЧАТЬ Oda mehrfach untersuchtes Gebiet der Paulus-Forschung zu.Wischmeyer, Oda7 Diese Überlegungen geben drittens Aufschluß über die Wechselwirkungen zwischen Biographie, AutobiographieAutobiographie, autobiographisch und Personalität bei Paulus. Die Autobiographie wird sich dabei als ein wesentliches Bindeglied zwischen der Biographie und der Konstituierung paulinischer Personalität erweisen.

      2. Paulus, der Brief-Autor

      Als Verfasser autobiographischer Texte verstanden, muß der Briefeschreiber Paulus zunächst als literarischer Autor gewürdigt werden. Paulus schrieb mindestens sieben uns erhaltene und für authentisch befundene BriefeWischmeyer, Oda1 und läßt sich daher in dreifacher Weise als historischer und literarischer ,Autor‘ bezeichnen:

      Im Sinne eines auctor ist Paulus erstens der geistige Urheber der an fünf Gemeinden oder Gemeindebezirke (KorinthKorinth/Corinth, ThessalonikiThessaloniki/Thessalonica, Galatien, RomRom, PhilippiPhilippi) und an eine Privatperson (Philemon) gerichteten Briefe.2

      Zweitens: Im Sinne der auctoritas binden sich die apostolische Autorität des zuletzt berufenen Augenzeugen der Auferstehung Christi (1 Kor 15071 Kor15,8071 Kor15,8ff.071 Kor15,8ff.) und der Briefautor Paulus gegenseitig. Dieser Vorgang findet rezeptionsgeschichtlich und zunächst nicht autoren- bzw. produktionsorientiert statt: Die korinthische Gemeinde als kontinuierlichste Adressatin paulinischer Briefe erkennt die Gewichtigkeit und Kraft der Paulusbriefe (2 Kor 10,1082 Kor10,10082 Kor10,10) an. Paulus selbst beginnt im 2. Korintherbrief, die Funktion seiner Briefe hermeneutisch zu bedenken (bes. 2 Kor 2.082 Kor027082 Kor07), und formuliert Ansätze zu einer Briefhermeneutik3.

      Das Phänomen der PseudepigraphiePseudepigraphie, pseudepigraph (2 Thess, Kol, Eph, Tritopaulinen bzw. Pastoralbriefe) im möglichen Rahmen einer sog. Paulus-Schule zeigt4, daß die ca. 12 Jahre paulinischer Schreibtätigkeit5 traditionsbildend und autoritätssichernd gewirkt haben. Die pseudepigraphen Briefeschreiber leihen die briefliche Autorität des Paulus, um die Tradition paulinischer Lehre und Gemeindetheologie nach Pauli Tod fortsetzen, d.h. sichern und ergänzen, zu können.

      Drittens: Die rezeptionsgeschichtliche Erfahrung der Bedeutung seiner Briefe und die briefhermeneutischen Überlegungen dazu lassen Paulus schließlich auch in literarischer Hinsicht zum Autor werden. Schon im 2 Kor, spätestens aber im Röm vervollkommnet Paulus sein Briefeschreiben soweit, daß die Briefe über eine konkrete Gemeindesituation hinausweisen, d.h. den Charakter von Gelegenheitsbriefen zugunsten theologisch wie literarisch anspruchsvoller antiker Briefe eintauschen.

      In diesem Zusammenhang ist dann auch das Phänomen der AutobiographieAutobiographie, autobiographisch zu würdigen. Denn ein Schreiber autobiographischer Texte weist sich in besonderer Weise als historische PersonPerson, persona und literarischer Autor aus. Paulus ist – neben dem Apokalyptiker Johannes (Apk 1,9-17) – der einzige ntl. Autor, der sich autobiographisch äußert und der sich als orthonymer Schreiber überhaupt autobiographisch äußern kann. Orthonymität, d.h. historische und literarische Autorschaft, und Autobiographie bedingen sich also gegenseitig. Der ‚Brief‘ erweist sich insofern als nicht ungeeignete Form autobiographischer Reflexion, als er – schon gemäß antiker EpistolographieThraede, Klaus6 – als ‚Spiegel der Seele‘ des Absenders gilt7.

      3. AutobiographieAutobiographie, autobiographisch und Biographie – historische, literarische und anthropologische Aspekte

      3.1. Der historische Wert der AutobiographieAutobiographie, autobiographisch

      Unter historischer Fragestellung liegt die Bedeutung autobiographischer Texte in ihrem Aussagegehalt für die Biographie einer historischen PersonPerson, persona.

      Hierbei lassen sich mindestens vier methodische Annäherungen vornehmen:

      (1.) Die gegenwärtigen Geschichtswissenschaften fassen unter Autobiographien im weiteren Sinne auch ‚Selbstzeugnisse‘, ‚Memoiren‘ oder sog. ‚Ego-Dokumente‘.Autobiographie, autobiographisch1 Auch wenn das geschichtswissenschaftliche Interesse an autobiographischen Texten auf eine verstärkte „Anthropologisierung der Geschichtswissenschaft“ zurückgeführt werden kannAutobiographie, autobiographisch2, steht bei der Beschreibung und Auswertung von Autobiographien z.B. als Ego-Dokumenten der dokumentarische Wert autobiographischer Texte als geschichtlicher Quellen mit subjektiver Färbung im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses.3 Die historische Auswertung von Selbstzeugnissen und Ego-Dokumenten spiegelt vice versa das geschichtswissenschaftliche Interesse an individuell gestalteten literarischen Quellen wider und führt zu einer Ausweitung dessen, was als autobiographischAutobiographie, autobiographisch im weiteren Sinne bezeichnet werden kann. Dieser Umstand konvergiert mit einer für unsere Fragestellung geeigneten Definition autobiographischer Literatur durch Arnaldo Momigliano: „any statement about oneself, whether in poetry or in prose, can be regarded as autobiographical“4.

      (2.) AutobiographieAutobiographie, autobiographisch und autobiographische Texte sind ein konstitutiver Gegenstand der historischen Anthropologie. Denn die „anthropologisch orientierte Geschichtsschreibung“ thematisiert „nicht nur objektive Lebenszusammenhänge wie die materiellen Sachgüter, die familiare Struktur …“, sondern richtet sich ebenso „auf die soziale Praxis, auf die Wahrnehmungsweise, GefühlsGefühl(e)welt und Subjektivität der Menschen“5. Historische Anthropologie basiert also auf der Erschließung von Subjektivität und Personalität. Autobiographische Texte leisten einen Beitrag zu dieser Fragestellung und tragen zur Deutung historischer Prozesse bei.6 Dies gilt insbesondere für den an ‚Mentalitäten‘ orientierten Bereich der Geschichtswissenschaften.7

      (3.) Die Altertumswissenschaften differenzieren antike Formen der ‚AutobiographieAutobiographie, autobiographisch‘ gattungs- und formspezifisch. Die dabei entstehenden unterschiedlichen Klassifizierungen8 autobiographischer Formen rühren vom bereits zu Anfang benannten Definitionsproblem her: Autobiographien im modernen Sinne als umfassende Selbstreflexion und Selbstdarstellung bzw. „introspektive Selbsterfahrung“ in literarischer Form existieren in der Antike – zumindest vor Augustinus – nichtAutobiographie, autobiographisch9, ebensowenig wie eine eigene Gattung ‚Autobiographie‘. Es finden sich aber autobiographisch gefärbte Texte, die – wie Herwig Görgemanns für die griechische Literatur vorschlägt – zunächst in verschiedenen literarischen Ursprungsbereichen (Rhetorik, Briefe, Memoiren, Autorenvorstellungen und sittliche Selbsterforschung) beheimatet sind, hieraus entstehenAutobiographie, autobiographisch10 und gleichsam das Phänomen der Autobiographik in der antiken Literatur und Kultur konstituieren.Autobiographie, autobiographisch09Gal0109Gal01,1109Gal01,11ff.11

      Festzuhalten ist, daß autobiographische Aussagen und Texte zunächst in verschiedenen Bereichen der Literatur (z.B. Briefe, Rhetorik) begegnen und daß sie in gattungsspezifischer Hinsicht tendenziell mit biographischer Literatur verwandt sindDihle, Albrecht12. Autobiographische Texte lassen sich historisch auswerten. Dies gilt insbesondere für die Hypomnemata-FGrHist23113, Memoiren- und Commentarii-Literatur, die seit dem Hellenismus, besonders aber in der Tradition der Aufzeichnungen Caesars in der frühen Kaiserzeit einen deutlichen Aufschwung erlebt und dem Feld der autobiographischen Literatur, hier im weiteren Umfeld der historiographischen LiteraturFGrHist8114, zugerechnet werden kann. Ein prominentes Beispiel sind die Selbstdarstellungen des AugustusAugustus, die sich allerdings trotz ihrer erheblichen BedeutungAugustus15 nicht in der literarischen Form der Selbstbiographie (de vita sua [Sueton, Aug 85,1SuetonAug85,1]; griech.: ὑπομνήματα [z.B. Plutarch, Brut 27PlutarchBrut27 und 41PlutarchBrut41] – diese Schrift des Augustus dürfte den Titel: Imperatoris Caesaris Augusti de vita sua libri XIII gehabt habenAugustus16), sondern als res gestaeAugustusRes gestae durch das Monumentum AncyranumNikolaos von DamaskusAugustusRes gestaeAugustus17 erhalten haben. An die Tradition kaiserlicher Selbstdarstellung schließen sich die iulisch-claudischen Memoiren18 und in programmatischer Weise auch die Memoiren СКАЧАТЬ