Название: The New Jim Crow
Автор: Michelle Alexander
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783956141591
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In den Debatten wurde das Bild »unverschuldeter« gegen das »selbst verschuldeter« Armut gesetzt. Mit rassischen Untertönen versehen wurde dieses Bild zu einem entscheidenden Argument der Konservativen. Es diente ihnen dazu, ihre Ideen von Recht und Ordnung mit den Ressentiments in der weißen Arbeiterschaft zu verknüpfen, von denen sich viele durch den Aufstieg der Afroamerikaner bedroht fühlten. Wie Thomas und Mary Edsall in ihrem aufschlussreichen Buch Chain Reaction darlegen, trugen die Unterschicht und die untere Mittelschicht der Weißen einen überproportional großen Teil der Kosten der Integration und der Rassengleichheit, da sie auf einmal mit den Schwarzen unter denselben Bedingungen um Arbeitsstellen und Status konkurrieren mussten und in Vierteln wohnten, die an die Gettos der Schwarzen grenzten.
Ihre Kinder – und nicht die Kinder der Wohlhabenden – besuchten die Schulen, die am ehesten vom »Busing«, der staatlich angeordneten Integration durch Schülertransporte, betroffen waren. Die wohlhabenden weißen Liberalen, die sich für die Forderungen von Schwarzen und anderen Minderheiten starkmachten, »waren in ihrem Privatleben großenteils abgesichert und meist nicht betroffen von den Kosten, die die Umsetzung der Forderungen von Minderheiten mit sich brachte«.58 So konnten die Konservativen vom »liberalen demokratischen Establishment« reden, dem sie vorwarfen, den Kontakt zu den arbeitenden Menschen verloren zu haben – was eines der zentralen Probleme löste, mit denen sich die Konservativen konfrontiert sahen: Wie die Armen und die Arbeiterklasse davon überzeugen, dass die Interessen der Konzerne und der konservativen Elite auch die ihren waren? Im Jahr 1968 stimmten laut einer Gallup-Umfrage 81 Prozent der Einschätzung zu, »Recht und Ordnung haben in den USA keine Geltung mehr«, und die Mehrheit machte dafür »aufrührerische Neger« und »Kommunisten« verantwortlich.59
In der Präsidentschaftswahl jenes Jahres machten sowohl der Kandidat der Republikanischen Partei, Richard Nixon, als auch George Wallace, der für Rassentrennung eintrat und als Unabhängiger kandidierte, »Recht und Ordnung« zum zentralen Thema ihres Wahlkampfs. Damit erhielten sie zusammengenommen 57 Prozent der Stimmen.60 Nixon widmete 17 Reden ausschließlich dem Thema Recht und Ordnung, und in einem Wahlkampfspot forderte er die Wähler explizit auf, der Gesetzlosigkeit der Bürgerrechtsaktivisten eine Absage zu erteilen und für die »Ordnung« in den Vereinigten Staaten zu stimmen.61 Der Spot zeigte in rascher Bilderfolge und dramatischer Musikuntermalung Demonstranten, blutüberströmte Opfer und Krawalle. Eine tiefe Stimme sprach dazu den Kommentar:
Es ist Zeit für einen ehrlichen Blick auf das Problem der Ordnung in den Vereinigten Staaten. Meinungsverschiedenheiten gehören notwendig zu jedem Wandel, aber in einem Regierungssystem, das friedlichen Wandel ermöglicht, ist Gewalt durch nichts zu rechtfertigen. Bedenken wir, dass das wichtigste Recht eines jeden Amerikaners ist, im eigenen Land keine Gewalt fürchten zu müssen. Ich versichere Ihnen, für Ordnung in den Vereinigten Staaten zu sorgen.
Am Ende des Wahlspots wurde der Text eingeblendet: »Wählen Sie diesmal … als würde Ihre ganze Welt davon abhängen … NIXON.« Nixon soll die Vorführung des Spots mit den Worten kommentiert haben: »Das sitzt. Das haben diese verdammten Neger und Puerto Ricaner da draußen davon.«62
Rasse war wieder zu einem starken Keil geworden, getrieben in die solide liberale Koalition, die sich aus den ökonomischen Interessen der Armen und Arbeitenden und der unteren Mittelschicht gebildet hatte. In der Präsidentschaftswahl von 1968 wurden Rassenfragen wichtiger als Klassenzugehörigkeit, und 1972 definierten sich die Wähler eher über ihre Einstellung zu Rassenproblemen als über ihren sozioökonomischen Status. In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren nahm die Überzeugung der weißen Arbeiterklasse, dass Armut und wirtschaftliche Erfolglosigkeit das Ergebnis eines verfehlten politischen Systems waren, das verändert werden musste, rapide ab. »Die Art, wie am unteren Ende der Einkommensskala die Weißen gegen die Schwarzen ausgespielt wurden, verstärkte die ohnehin bei vielen Weißen verbreitete Ansicht, dass die Benachteiligten – insbesondere die Schwarzen – selbst die Verantwortung für ihre Lebensbedingungen trugen und nicht die Gesellschaft«, erklären die Edsalls.63 So wie die Eliten des Südens bei der Wende zum 20. Jahrhundert das Thema Rasse eingesetzt hatten, um die Klassensolidarität unter den Armen zu zerstören, so hatte nun die landesweite Problematisierung von Rassenfragen die Koalition der Mittel- mit den Unterschichten zerstört, die der New Deal der Demokraten geschmiedet hatte.
Die konservative Revolution, die in den 1960er Jahren in der Republikanischen Partei Wurzeln schlug, erreichte ihre volle Ausprägung erst mit der Präsidentschaftswahl von 1980. Das Jahrzehnt vor Ronald Reagans Kandidatur war geprägt von politischen und gesellschaftlichen Krisen. Der Bürgerrechtsbewegung folgten eine erbitterte Auseinandersetzung über die Umsetzung des Gleichheitsprinzips – Streitpunkte waren insbesondere Busing und Affirmative Action – sowie dramatische politische Auseinandersetzungen um den Vietnamkrieg und Watergate. Auch die Konservativen legten in dieser Zeit Lippenbekenntnisse zur Rassengleichstellung ab, tatsächlich aber widersetzten sie sich aktiv der Integration, dem Busing und der Durchsetzung der Bürgerrechte. Immer wieder stellten sie Sozialhilfe in Frage und setzten dabei geschickt das Bild einer sich nach Kräften abmühenden weißen Arbeiterschaft in Gegensatz zu dem der armen Schwarzen, die sich angeblich vor der Arbeit drückten. Die Botschaft an die weiße Arbeiterklasse war klar: Eure Steuergelder fließen in Unterstützungsprogramme für Schwarze, die sie in aller Regel nicht verdient haben. Während dieser Zeit rief Nixon auch den »Krieg gegen die Drogen« aus – eine Ankündigung, die mehr oder weniger reine Rhetorik blieb, da sich an der Drogenpolitik wenig änderte, außer dass Drogen zum »Staatsfeind Nummer eins« erklärt wurden. Den Schwarzen blies also wieder einmal der Wind ins Gesicht, aber es hatte sich noch kein Konsens darüber herausgebildet, welche neue Rassen- und Gesellschaftsordnung diese turbulente Zeit hervorbringen sollte.
Reagan erwies sich im Wahlkampf als Meister darin, »die Sprache der Rasse aus dem öffentlichen Diskurs der Konservativen zu streichen«. Damit konnte er auf dem Erfolg früherer Konservativer aufbauen, die es verstanden hatten, die Feindseligkeit und die Ressentiments zwischen den Rassen politisch auszuschlachten, ohne sich explizit auf das Thema Rasse zu beziehen.64 Er wetterte gegen sogenannte »Welfare Queens«, zumeist alleinerziehende Mütter, die sich angeblich mithilfe von Sozialleistungen ein schönes Leben machten, und zog gegen kriminelle »Raubtiere« zu Felde. So errang er die Präsidentschaft mit Unterstützung der unzufriedenen weißen Arbeiterklasse, die sich von der Befürwortung der Bürgerrechte durch die Demokratische Partei verraten fühlte. Wie ein Insider bemerkte, beruhte Reagans Anziehungskraft vor allem auf dem ideologischen Eifer des rechten Flügels der Republikanischen Partei und »der Nöte jener, die Angst oder Abneigung gegenüber den Negern empfanden und die von Reagan erwarteten, sie ›an ihrem Platz‹ zu halten oder zumindest ihrer eigenen Wut und Enttäuschung eine Stimme zu geben«.65 Reagan verstand es, die Frustration der Weißen in rassenneutraler Sprache unterschwellig anzusprechen. Weiße (und schwarze) Wähler hörten aus seinen oberflächlich »farbenblinden« Sätzen über Verbrechen, Sozialleistungen und die Rechte der Bundesstaaten sehr deutlich die rassistischen Untertöne heraus, auch wenn sich dies nirgends konkret festmachen ließ. Ein Beispiel: Als Reagan seine Kandidatur für das Präsidentenamt auf der jährlich stattfindenden Neshoba County Fair bei Philadelphia im Bundesstaat Mississippi verkündete – in einer Stadt, in der 1964 drei Bürgerrechtsaktivisten ermordet worden waren –, versicherte er der Menge: »Ich glaube an die Rechte der Bundesstaaten«, und versprach, ihren Einfluss zusammen mit dem der Kommunalverwaltungen zu stärken.66 Seine Kritiker warfen ihm sofort vor, dies sei eine rassistische Botschaft, mit der Reagan bei den Gegnern der Bürgerrechte anzukommen versuche, doch Reagan bestritt dies entschieden und zwang damit die Liberalen in eine Position, die bald vertraut werden sollte – sie behaupteten, etwas sei rassistisch gemeint, konnten es aber nicht nachweisen, da keinerlei explizit rassistische СКАЧАТЬ